Als
ich vor einigen Jahren das erste Mal auf das Thema „Triggerwarnungen in
Büchern“ stieß, hielt ich das Ganze noch für einen Scherz. Für etwas, das sich
ganz sicher nicht durchsetzen würde. Doch nun werden nicht nur in den USA und
England die Forderungen danach immer lauter, sondern auch in Deutschland. Dass
es hier seit Anfang 2019 öfter besprochen wird, ist mir bis dato entgangen,
weil die meisten Diskussionen online geführt werden, was bereits eine Menge über
das Alter der meisten Beteiligten aussagen dürfte.
Als
ich mich näher eingelesen habe, wurde mir klar, dass ich eine Triggerwarnung
für die meisten Beiträge gebraucht hätte – und genau deswegen schreibe ich
diesen Artikel. Ich bin gegen Triggerwarnungen, das möchte ich vorausschicken.
Ich verstehe jedoch teilweise die Forderung danach, auch wenn es etwas gedauert
hat, ehe ich mich dem Thema neutral nähern konnte. Aber es handelt sich
ebenfalls um ein Thema, das in die völlig falsche Richtung läuft und sehr, sehr
gefährlich werden kann. Wie ich das meine und warum ich gegen Triggerwarnungen
bin, möchte ich näher darlegen.
Zunächst
einmal musste ich verstehen lernen, was eine Triggerwarnung ist und von wem für
wen sie gedacht zu sein scheint. Dabei mache ich inzwischen zwei
Unterscheidungen. Zum einen werden solche Warnungen von Studenten von ihren
Professoren gefordert, also im „professionellen“ Bereich. Zum anderen fordern
Leser von zumeist Unterhaltungsliteratur eine solche, was demzufolge den
„privaten“ Bereich betrifft.
Triggerwarnungen
sehen – bisher auf unterschiedliche formale Weise – Wörter oder ganze Sätze
vor, die Szenen oder Themen aufgreifen, mit denen der Leser im folgenden
Schriftstück konfrontiert wird. Das kann von #Selbstverletzung oder #Vergewaltigung
reichen bis hin zu #Rassismus oder #Tierquälerei. Was genau als Trigger
klassifiziert wird, ist nicht näher umrissen worden, im Grunde bisher alles. Einig
ist man sich offenbar nur darin, dass es um negative Trigger geht. Wo hier jedoch
die Grenze verläuft, ist bisher noch völlig unklar.
Wenn
man erst einmal den Grundgedanken einer Triggerwarnung verstanden hat, scheint
es schwer, sich diesem zu entziehen. Immerhin tut es der großen Masse nicht weh
und könnte einzelnen Lesern helfen, so heißt es. An diesem Punkt geriet ich ins
Grübeln. All die Texte, die ich zum Thema gelesen habe, gingen stets nur vom
Einzelindividuum aus, egal, ob dafür oder dagegen: „Ich könnte gespoilert werden“, versus: „Ich könnte getriggert werden“. Natürlich sind wir es seit
mindestens zwei Generationen so gewohnt, nicht mehr das Gemeinwohl ins Zentrum
zu stellen, sondern das jedes Einzelnen. Ob das gut oder schlecht ist, sei
einmal dahingestellt. Was ich aber gern in die Diskussion einbringen würde, ist
eben dieser Gedanke um das große Ganze. Wenn man Triggerwarnungen loslöst von
einzelnen möglichen Betroffenen und es von außen betrachtet, was ändert sich?
Schnell
wird an dieser Stelle ersichtlich, dass es durchaus noch komplizierter werden
kann. Bereits im Mai 2011 habe ich folgenden Text verfasst: „Politisch Korrekt?(Buchgedanken)“.
Denn
zusätzlich zu den Triggerwarnungen kommen noch die „Bereinigungen“ vor allem
von älteren Werken, vorgeblich, um sie dem modernen Sprachgebrauch anzupassen. Oder
aber „negative Begriffe“ zu vermeiden, die andere herabsetzen oder „triggern“ könnten.
Vor
knapp zwanzig Jahren war ich zwecks Abi-Fahrt mit meinem Jahrgang in Rom und
wir machten auch einen Tagesausflug nach Pompeji. Jene Stadt, die einst vom
Ausbruch des Vesuvs überrascht und quasi vollständig ausgelöscht wurde. Als sie
wiederentdeckt wurde, hat man sich in vielen, vielen Jahren daran gemacht, sie
wieder auszugraben und konnte so das archäologisch-alltägliche Bild einer knapp
zweitausend Jahre alten Stadt und ihrer Bewohner wiederbeleben. Als wir durch
die Straßen schritten, fielen uns die zahlreichen Wegweiser an den Häuserecken
auf, an denen von Archäologen gearbeitet wurde. Wir fragten nach und erfuhren,
warum die Menschen damals Penisse mit Mörtel auf die Wände zeichneten. Pompeji
war eine Hafenstadt und so gab es einen regen Durchgangsverkehr. Die meisten
Matrosen auf Landgang waren nach getaner Arbeit an Amüsements interessiert. Die
Penisse, die in verschiedene Richtungen zeigten, gaben an, wo an der Stelle, wo
man stand, das nächste Hurenhaus zu finden war. Witzige Geschichte? Nicht in
den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die „Gesellschaft“ fand die
Penis-Zeichnungen so anstößig, dass sie sie überzeichneten. Die Archäologen,
die wir nun 1999 gesehen hatten, waren eifrig dabei, diese Überzeichnungen
(Mörtel) wieder zu entfernen, um die Stadt in ihren Originalzustand zu
versetzen. Vermutlich, weil man bereits Geschehenes nicht „bereinigen“ kann
(und sollte) und weil es ein Bild von der eigenen Vergangenheit zeigt, das
nicht der Realität entspricht (, sondern wie man sie haben möchte).
Mit
großer Sorge beobachte ich die „Bereinigungen“ unserer Sprache und vor allem
älterer Werke. Die Anmaßung dahinter macht mich schier sprachlos. Jedes
literarische Werk ist natürlich auch immer ein Spiegel seiner Zeit. Wer als
Leser nicht weiß, wie er es historisch, wissenschaftlich und kulturell
einzuordnen hat, sollte die Wahl seiner bisherigen Lektüre dringend überdenken
– und seine Allgemeinbildung gleich mit. Das ist auch etwas, das mich an der
„professionellen“, aber auch „privaten“ Forderung nach Triggerwarnungen so
verstört. Selbstverständlich wird man im Literaturstudium (oder in der Schule) mit
sog. Klassikern konfrontiert, die zumeist eine erhebliche Anzahl an Jahren auf
dem Buckel haben. Solche Werke zu verstehen, scheint schon längst nicht mehr
allen gegeben zu sein und besonders der neuen Generation Schwierigkeiten zu
bereiten.
Hier
liegt auch ein ganz großes Problem unserer Gesellschaft durch Individuen
zugrunde.
Im
November 2014 war ich zu einer Fachtagung der Stiftung Lesen eingeladen.
Das
Thema hieß „Digitale Medien: Chancen für das Lesen“. Ich erfuhr an diesem Tag
sehr viele interessante Dinge, über die ich lange nachdenken musste und die
immer deutlicher zutage treten. In etwa gab es einen für mich faszinierenden
Vortrag eines Profs aus Berlin, „der sehr anschaulich und verständlich an die
unterschiedlichen Arten des Lesens heranführte. Wie liest man einen Text Print,
wie einen Text (mit weiterführenden Links) digital? Wie können die Chancen zum
gegenseitigen Lesen genutzt werden? Stichworte: Deep Attention (das Eintauchen
in Texte) und Hyper Attention (Drüberfliegen). Aber das neue Lesen erfordere
auch das Schreiben und Grenzen zwischen Autor und Leser verschwämmen immer
mehr, was er schließlich an einem Modellsystem erklärte, das im letzten Schritt
zu "es gibt keinen abgegrenzten Text mehr, es gibt nur noch
Kommunikationsimpulse" geführt hat.“
Am
Ende des Tages war deutlich, dass wir ohne das digitale Lesen nicht mehr
auskommen werden. Aber was macht es mit Kindern, die nicht, wie in etwa meine
Altersklasse, erst linear in Büchern lesen und dann an Digitales herangeführt
werden, sondern die gleich in Letzteres einsteigen? Wie verändert sich das
Lesen und wie verändert sich damit die Art wie wir lesen und damit letztendlich
lesen und verstehen?
Triggerwarnungen
und „Bereinigungen“ gehen Hand in Hand, besonders, wenn sie überaus bekannte
Werke, die oft unter großen Repressalien veröffentlicht wurden, betreffen. Auch
heute noch gibt es Orte auf dieser Welt, in denen Verleger oder Autoren in
Gefängnissen sitzen oder mit dem Leben bedroht werden, weil sie etwas
veröffentlicht haben, das anderen nicht genehm war. Man stelle sich vor, diese
Menschen, mit allem, was sie zu erdulden hatten, erführen, was aus ihren Werken
geworden ist. Stellen gestrichen oder abgeändert, weil es „zu schrecklich“ sei,
Worte gegen andere ausgetauscht, weil sich jemand herabgesetzt fühlen könnte.
Was soll das anderes sein als Zensur? Die Veränderung des Lesen und Denkens?
Als
ich aber einmal an dieser Stelle des Nachdenkens war (und das ist alles nur sehr
kurz umrissen), fragte ich mich, was genau sich eigentlich an den Werken und
wie sie niedergeschrieben wurden verändert haben könnte. Es ist kein Geheimnis,
dass das Schreiben und die Art sich auszudrücken sich stetig wandeln. Das wird
sogar an Universitäten gelehrt. Letztendlich ist der Buchmarkt eben auch genau
das: ein Markt. Und wie jeder Markt wird er bestimmt durch Angebot und
Nachfrage.
Ich
plane schon länger einen Artikel, den ich „Liest du noch oder konsumierst du
schon?“ nennen wollte, für den mir aber bisher immer die Zeit gefehlt hat. Das
ist eine Frage, mit der sich Kollegen in der Textarbeit und ich im Privaten
schon eine ganze Weile auseinandersetzen (müssen). Wir leben (leider) in einer
Zeit, in der es quasi jedem möglich ist, ein Werk zu veröffentlichen. Aber
statt die große Chance darin zu begreifen, haben viele das auf
Oberflächlichkeiten und Quantität heruntergebrochen. Autoren, die zwischen drei
und sieben (mehrere hundert Seiten) Werken im Jahr veröffentlichen, können sich keine Zeit für die
entscheidenden Dinge an einem Roman nehmen. Viele wollen das auch gar nicht.
Ich erlebe selbst immer wieder Autoren, die noch nie ein Buch in dem Genre
gelesen haben, in dem sie gerade ein Werk bei mir abgeliefert haben. Die hauptberuflich
Autoren sind, denen aber völlig egal ist, was genau sie schreiben und ob das,
was sie niederschreiben, Sinnhaft ist oder nicht.
Demgegenüber
steht eine wachsende Anzahl an Lesern, die angeben, sie läsen lediglich zum
Vergnügen, sie wollten entspannen und sonst nichts. Es bleibt an dieser Stelle
zu hinterfragen, was ein Buch eigentlich ist. Heute. Und damals? Einst schrieb
Kafka: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Ein Satz,
dem wir häufiger begegnen, digital, aber auch analog.
„Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche
Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns
nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das
Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich
wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns
glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben.“, heißt es kurz zuvor.
Und weil ich es besser auch nicht hätte ausdrücken können, zitiere ich ihn auch
damit.
Was
aber geschieht, wenn die, die Bücher machen und dann eben auch zwangsläufig
die, die Bücher lesen, das nicht mehr des Inhaltes wegen tun? Wenn Bücher lesen
wie fernsehen geworden ist? Eben oberflächlich, bunt, Effektheischend – und
völlig sinnlos? Wenn quasi jeder die Bücher, die niemandem etwas geben, selbst
schreibt, wie Kafka es formuliert?
Das
ändert natürlich die Art, wie geschrieben wird. Es ändert die Art, wie Dinge
niedergeschrieben werden, es ändert die Herangehensweise an Themen. Und macht
es hier dann nicht tatsächlich Sinn, eine Triggerwarnung voranzustellen? Nicht,
weil z.B. das Thema #Suizid im Text vorkommt, sondern weil er auf eine Art und
Weise vor- und dargestellt wird, die deutlich macht, dass sich der
Niederschreibende der Ernsthaftigkeit nicht bewusst ist oder eben bewusst in
Kauf nimmt, dass das Thema Schaden anrichten könnte und das nur, weil es sich
besser verkauft. Ich denke hier mit Grauen an die Werke, die ich in meinem
Beruf abgelehnt habe, weil sie meist Frauen bzw. sehr junge Mädchen in diversen
sexualisierten Darstellungen zeigten, die keinen Sinn, außer eben diese
Darstellungen genau zu beschreiben, ergaben. Werke, die eben auf unsere
urinstinktiven Bedürfe wirken sollen – und sonst nichts. Erschreckenderweise
sahen die jeweiligen Autorinnen das auch ein. Sie wüssten darum, aber es gäbe
eben Leser, die das mögen würden und Geld stinkt nicht.
Wenn
uns die Verantwortlichkeit verloren geht, jene, die wir für uns selbst
empfinden genauso, wie jene, die wir für andere empfinden sollten (und zudem
eine Art Kontrollinstanz fehlt), dann kann daraus nichts Gutes erwachsen. Wenn
das einhergeht mit Forderungen nach Triggerwarnungen, sollten wir uns alle
fragen, ob das eigentliche Problem nicht ganz woanders liegt.
Nehmen
wir an dieser Stelle ein Buch als Beispiel, das vermutlich alle kennen: „Harold
und Maude“. Es wurde 1971 von Colin Higgins geschrieben und damals auch sehr
erfolgreich verfilmt. Der knapp
Zwanzigjährige, der durch fingierte Selbstmorde versucht, eine Regung zu seiner
Person bei seiner Mutter auszulösen. Der vom Tod fasziniert ist, in einem
Leichenwagen herumfährt und gern auf Beerdigungen geht. Und demgegenüber die
knapp Achtzigjährige, die sein genaues Pendant zu sein scheint: lebensfroh und
unkonventionell. Harold, der sich gegen seine Mutter und deren Pläne für sein
Leben wehren muss und Maude lernen sich immer besser kennen und lieben. Aber
Maude hat beschlossen, mit achtzig abzutreten und auch Harold kann sie nicht
mehr retten.
Zwar
fiel die Geschichte bei Erscheinen durch, wird jedoch heute als Kultfilm
verehrt und nicht selten im Englischunterricht gelesen. Es treten zwei große
Themen an: Die Bestimmung des Zeitpunkts des eigenen Todes und die Beziehung
zweier Menschen mit großem Altersunterschied. Damals ein Skandal, eine genaue
Liebesszene wurde untersagt. Aber nicht diese war es, die das „gefrorene Meer“
zum Beben brachte. Wie würde heute, fünfzig Jahre später, so eine Geschichte
aussehen? Wie würde sie dargestellt, wie niedergeschrieben werden?
Und
welche Version bräuchte wohl eher eine Triggerwarnung?
Aber
all diese Dinge, die berühren (sollten), sind beim Publikum oft nicht (mehr)
gefragt. Sie sind nicht entspannend, sie strengen an. Darum möchten viele Leser
eben diese Dinge, die sie anstrengen oder aufregen umgehen. Dafür wurden
diverse Seiten im Internet gegründet, in denen sich Nutzer gegenseitig darauf
hinweisen können, in welchen Filmen oder Büchern „der Hund stirbt“ oder andere
unangenehme Dinge geschehen. In einem Artikel einer größeren Seite fand ich die
Aussage, dass es zu viele frauenfeindliche Geschichten in TV und Kino (z.B.
Crime, GoT) gäbe und man sich eine solche Warnung vorab wünschen würde, damit
man gar nicht erst einschalten müsste. Obwohl ich der Autorin zustimmen möchte,
dass die Darstellung der meisten Frauen … sagen wir mal: nicht ganz optimal ist
(dieser Blog ist voller Hinweise dazu), hat sie es doch damit unabsichtlich auf
den Punkt gebracht. Aber seit wann lösen wir Probleme, indem wir eine Warnung
vorn an sie dranschreiben und sie damit umgehen?
Wenn
es Themen wie #Sexismus oder #Rassismus in der filmischen oder schriftlichen
Umsetzung nur wegen ihrer (oft überzogenen) Darstellung gibt – vielleicht, um
dieses besser zu verkaufen? – sollte sich jeder Nutzer fragen, ob er das verwenden
möchte oder es lieber dahin schiebt, wo es hingehört: den Papierkorb.
Letztendlich beginnt all das nämlich bei uns selbst, den Individuen: Das, was
wir lesen oder ansehen überdenken und hinterfragen. Denn alles, was uns umgibt,
formt uns. Und wer, wenn nicht wir selbst, sollte die Entscheidung darüber treffen,
was wir wie an uns heranlassen oder eben nicht? Das ist etwas, das wir nicht
aus der Hand geben dürfen! Es wird letztendlich die ganze Gesellschaft prägen,
wenn Dinge umgangen oder „bereinigt“ werden. Die Gesellschaft kann und sollte
nicht die Verantwortung für jedes einzelne Individuum in ihr übernehmen – und
diese sollten sich ihre Selbstbestimmung nicht aus der Hand nehmen lassen. Es
gibt an dieser Stelle genug Klassiker (meist in der Phantastik), die sich mit
dieser Thematik befasst haben. Wenn ein Individuum merkt, dass es diese Selbstverantwortung nicht tragen kann,
sollte es sich professionelle Hilfe suchen. Denn auch eine Triggerwarnung kann die Probleme, die hinter dem
eigentlichen Trigger stecken, nicht lösen. Und weil es so viele verschiedene Probleme in ganz
vielen individuellen Lebensentwürfen und -geschehnissen gibt, kann es im Grunde
auch keine Standardisierung bei Triggerwarnungen geben. Da Bücher immer
Geschichten von Individuen mit ihren jeweiligen Erlebnissen, oft in einen
bestimmten zeitlichen Rahmen, sind, können sie und sollten sie auch keine safe places zeigen und/oder schaffen.
Die gibt es im Leben nun einmal nicht. Das ist bitter, aber real. Und sind es
nicht gerade diese realen, echten und oft auch traurigen Geschichten, die uns
im Gedächtnis verhaftet geblieben sind? Die vielleicht sogar Anstoß gaben,
Veränderungen herbeizuführen?
Triggerwarnungen
brechen die Probleme (unserer Zeit wie derer, die vor uns waren) zu sehr auf
Individuen herunter, wo sie mehr gesellschaftlich aufgegriffen und diskutiert
werden sollten. Das hat auch mit Verdrängung zu tun. Wenn es vermieden wird,
über bestimmte Dinge öffentlich zu reden oder zu schreiben, weil sie einen (oft
sehr kleinen) Teil der Gesellschaft triggern oder verstören könnte, werden eben
diese Dinge aus dem Bewusstsein aller Einzelindividuen,
die eine Gesellschaft bilden, herausgedrängt. Dabei ist es ganz einfach: Wenn
wir Probleme nicht benennen, können wir sie nicht lösen.
Viele
Geschichten sind überdies niedergeschrieben worden, um ein bestimmtes Ereignis,
das dem Autor selbst wiederfahren ist, besser verstehen und verarbeiten zu
können. Ich denke da nicht nur an all die Werke, die #Rassismus behandeln und
meist von Autoren erdacht wurden, denen selbst rassistische Übergriffe verbal
oder sogar körperlich passiert sind. Wie und mit welchen Warnungen versieht man
diese Werke und wie stehen die Autoren dazu?
Triggerwarnungen
schaffen Verdrängung, keine Veränderung.
Letztendlich
ist es die Aufgabe eines (guten) Autors, sich schreiberisch eines Problems
anzunehmen, vielleicht um es ins Bewusstsein der Menschen zu bringen,
vielleicht um es selbst zu verarbeiten, vielleicht sogar um es zu lösen. Dazu
muss man nicht die Weltliteratur nach „Onkel Toms Hütte“ oder „1984“
absuchen. Doch das, was uns heute auf dem großen Buchmarkt, in dem ein
einzelnes Werk oft kaum noch eine Chance hat, wahrgenommen zu werden, weil die
schiere Anzahl an Büchern von den Lesern gar nicht gelesen werden kann, begegnet, hinterfragt hinter
überbunten Covern nur noch selten. Was wiederum dazu führt, dass auch der Leser
nur noch selten hinterfragt, sich nach hinten lehnt und sich berieseln lässt.
Und wird Kritik nicht ohnehin überschätzt? Darf
man überhaupt kritisieren? Also so richtig, eben negativ? Obwohl ich die Frage wahnsinnig
widersinnig finde, wundert sie mich wenig. Wir haben es jetzt mit einer
Generation, manche nennen sie Generation Snowflake, zu tun, die mit absoluter Fairness aufgewachsen ist, die
nicht in gegenseitige Konkurrenz treten sollte, sondern sich in erster Linie
wohlfühlen. Bei der am Ende alle gewonnen haben und es ohnehin nur um den Spaß
an der Freude ging. Deren Bezug zu Kritik darin besteht, ein Like zu geben –
oder eben nicht. Die ganz bestimmt (vordergründig) niemandes Befinden stören
(oder "unfair" sein) wollen und mit einer ziemlich Perwoll
gewaschenen, digitalen Schein-Media-Welt aufgewachsen ist, die sie 24h/Tag um
sich hatten und haben. Zudem handelt es sich dabei um ein zweischneidiges
Schwert. Auch der Kritiker steht im Rampenlicht, kann nicht ausweichen, wenn
das öffentliche Bild der Scheinwelt kippt: alle Links, Hashtags und
Kommentarfelder sind auf ihn wie Schnellfeuergewehre gerichtet und wehe es sind
zu deutliche Worte gefallen. Da spielt es keine Rolle, ob diese berechtigt sind
oder nicht, ob sie im passenden regelkonformen Ton verfasst wurden oder nicht.
Mein Ratschlag: Statt zu diskutieren, ob man ein Werk kritisieren darf, macht
es Sinn, zunächst zu lernen, was Kritik eigentlich ist und warum es wichtig
ist, auch das hinzuschreiben, was einem Unbehagen bereitet. Vielleicht sogar
besonders das.
Wir
können (und sollten) nicht alle gleich (kuschelig?) sein. Denn wir leben in
einer sehr großen und bunten Welt, die reich an Wissen und Kultur ist. Eine („bereinigte“)
Monokultur schaffen zu wollen, macht keinen Sinn, wenn wir die Vielfalt leben
sollten. Wir brauchen, als Individuum, aber auch als Gesellschaft, Vorbilder,
an denen wir uns orientieren und denen wir nacheifern können. Was gar nicht so
einfach ist, wenn z.B. (soziale) Medien unsere Wahrnehmung massiv beeinflussen
und uns etwas vorgaukeln, das es so vermutlich gar nicht gibt. Dinge, die
früher kaum relevant waren, werden nun mit einem Mausklick oder mittels der
Fernbedienung ins eigene Wohnzimmer transportiert. Leider fehlt es eben an
echten Vorbildern, viele sog. Promis werden durch Quantität, nicht Qualität und
zudem für eine Rolle ausgewählt – das ist inzwischen auch in der Buchwelt nicht
anders. Charles Pépin schreibt in „Sich selbst vertrauen: Kleine Philosophieder Zuversicht“, das sei so, damit möglichst viele Menschen sich mit ihnen
assoziieren können. Wohin es führt, wenn Leute dadurch quasi nicht mehr nach
Höherem streben, weil auch Mittelmäßigkeit oder schlimmer: Belanglosigkeit
etwas (Zweifelhaftes) erreichen kann, ist bereits nach wenigen Jahren deutlich
zu sehen.
An
dieser Stelle sei dringend erwähnt, dass es einen Unterschied zwischen „gleich“
und „gleichberechtigt“ gibt, der nicht außer Acht gelassen werden darf.
Irritierend
finde ich besonders die zahlreichen, oft sehr persönlich geführten Kreuzzüge,
wo eigentlich eine offene Diskussion auf Augenhöhe stattfinden sollte. Als
kürzlich ein sehr gelungener Artikel in der Federwelt #137 erschien, der sich
auf humorige Weise dem Thema Triggerwarnungen annahm, gab es eine, meiner
Wahrnehmung nach eher überschaubare, Gruppe, die sehr aktiv in den sozialen
Medien Wiedergutmachung forderte. Das ging so weit, dass „personelle
Konsequenzen“ verlangt wurden und ein Teilen der eigenen Beiträge
vorangetrieben wurde, in denen die Auflösung von Abonnements für die
Zeitschrift besprochen wurde. Dass hinter allem auch menschliche Existenzen
stehen, die plötzlich gefährdet wurden, dass eine bisher tadellose Arbeit in
kürzester Zeit herabgewürdigt und im (digitalen) öffentlichen Bild eine Wahrnehmung
heraufbeschworen wurde, die besagt, dass all das, was Literatur in
Jahrhunderten, wenn nicht länger, ausmachte, plötzlich auf eine Art gefährlich
wird, die uns alle Kopf und Kragen kosten könnte, schien dieser Gruppe dabei nicht
einmal aufzufallen.
Und
plötzlich bin ich wieder Im Jahr 1988 und sitze in meiner Klasse in der
Grundschule des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates DDR. Damals hatte
ich einen sehr christlich gläubigen Jungen in der Klasse, der sich weigerte, bei
den Pionieren einzutreten. Pioniere. Wir sind alle gleich – ob wir wollen oder
nicht. Was Du denken und sagen sollst, wird Dir suggeriert (oder klar
vorgegeben). Seine Nichtteilnahme schloss ihn kategorisch von allen
Klassenfahrten und Wandertagen und natürlich den wöchentlichen
Pioniernachmittagen aus. Ich glaube, damit konnte er eigentlich ganz gut leben.
Aber leider nimmt die Masse – wir sind schließlich alle gleich, verdammt noch
mal – ein Anderssein nicht einfach hin. Ständig wurde er, meist vorgetreten vor
der ganzen Klasse (wir waren acht, neun Jahre alt) wegen völlig Belanglosem
heruntergeputzt. „Also hier, in der Klassenarbeit, da hast du zwar mit einem
Lineal unterstrichen, aber guck mal, wie schief die Linie ist!“ Wie er das
ausgehalten hat, frage ich mich heute noch. Dass wir doch bitte in der Schule
nicht mit ihm zu spielen haben, versteht sich von selbst.
Diesen
einen, einzigen, richtigen Weg, der uns momentan in allen Medien suggeriert
wird, den gibt es nicht. Was in diesen Tagen unerlässlich ist, ist zu lernen,
was die wichtigste Frage hinter allem ist: Warum? Dieses kleine Wort sollte
jedes Individuum neu lernen und auch in Kauf nehmen, dass die Beantwortung
davon etwas längere Recherche erfordern könnte. Schließlich ist es nicht
unerheblich, sich zu fragen, wer denn derjenige ist, der den „einen einzigen
richtigen“ Weg vorgibt. Das sind in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte
nie die Gleichen gewesen und sie alle hatten Hintergedanken, wenn sie glaubten,
die Welt nach ihrem Ebenbild formen zu können. Aber nicht selten hat eben
dieser eine einzige richtige Weg in eine völlige Katastrophe geführt. Und er
begann nicht selten mit der „Bereinigung“ der Art wie Dinge gesagt oder
geschrieben – und damit über kurz oder lang auch gedacht – wurden.
Heute
scheint es, dass Autoren (und andere Künstler) bereits darüber nachdenken,
Themen aus- oder wegzulassen, Dinge „sanfter“ zu formulieren, um
Triggerwarnungen zu umgehen oder niemanden „zu schädigen“. Verlage lassen von
bestimmten Themen die Finger, um sich eben diese nicht zu verbrennen – greifen
lieber zu den suggeriert richtigen.
Wie
konnte es nur jemals soweit kommen? Genau so!
Nach
all dem (und mir ist bewusst, wie unzureichend und kurzgefasst ich es dargelegt
habe) lässt sich nur eines feststellen: Triggerwarnungen sind nicht das
Problem, sie sind nur ein Symptom. Wie wir Individuen uns dessen annehmen, wird
die Gesellschaft von morgen bedingen.
Und
Du? Bist Du dabei oder schaust Du nur zu?
Huhu Soleil,
AntwortenLöschendanke für deine ausführlichen Gedanken!
Das Ausmaß, dass die Forderungen nach Triggerwarnungen aktuell in einigen Kreisen annimmt, erschreckt mich auch. Mich hat vor allem verwirrt, dass in den USA Literaturstudenten Triggerwarnungen fordern. Wenn ich jemand bin, der etwas traumatisches erlebt hat und von mir selbst denke, dass mich mögliche Inhalte in Büchern triggern könnten, dann würde ich doch nicht Literatur studieren. Wie du schon schreibst, Bücher spiegeln auch immer den Zeitgeist wider und da sollte man doch eine ungefähre Vorstellung haben, was in welchem Genre aus welcher Zeit zu erwarten ist.
Allerdings gibt es z.B. bei Videospielen auch "Triggerwarnungen" bzw. eher "Content Notes". Sowas könnte ich mir für Bücher tatsächlich auch noch vorstellen, da es doch eher allgemein gehalten ist, der Leser aber trotzdem weiß, ob ihn z.B. Gewalt erwartet, obwohl der Klappentext das nicht hergibt.
Wer jedoch wirklich etwas traumatisches erlebt hat, der wird oft durch sehr spezielle "Eindrücke" getriggert - sowas können Triggerwarnungen ohnehin nicht abbilden. Daher finde ich die Diskussion auch überwiegend nicht zielführend.
Was mich auch ziemlich stört: Es wird irgendwie zunehmend gefordert, in Geschichten eine perfekte, makellose Welt darzustellen. Dabei sind Bücher für mich gerade ein guter Weg, um auf Missstände aufmerksam zu machen, den Leser zum Nachdenken und vielleicht sogar Umdenken anzuregen. Wenn man alles sanft und vorsichtig formuliert, wie sollen Probleme dann behandelt werden?
Joa, jedenfalls kein so einfach abzuhandelndes Thema. :D
Schöne Grüße
Alica
Ist ziemlich viel Text, aber ausführlich abhandeln konnte ich es leider nicht (da schriebe ich einen ganzen Roman). :) Betroffene können und sollen alles studieren, was sie wollen (und können), aber Trigger werden sie überall finden, vor allem, wie Du schreibst, die speziellen, auch sie persönlich abgestimmten. Bei Videospielen kenne ich mich leider nicht aus, aber da sollte es eigentlich der FSK tun so wie auch bei Filmen. Bücher erzählen ja oft schon über ihre Verpackung (Cover, Autor, Verlag ...) wie und wo sie einzuordnen sind.
LöschenWie könnten Triggerwarnungen und "perfekte Welt" zusammenhängen? ;-)
Ich finde es bisher schade, dass, wo immer dieses Thema in der deutschsprachigen Welt aufgetaucht ist, kein Dialog entstanden ist, es gab nur ein Draufhacken und jede Menge (unschöner) Unterstellungen, aber keine niveauvolle Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Das wäre in der Tat etwas, das ich mir diesbezüglich wünschen würde, vielleicht auch schlicht in Blogposts. Aber wenn ich überlege, wie lange ich brauchte, um mich durchzuringen, obigen Text zu veröffentlichen ...
Ich habe generell das Gefühl, dass es immer schwerer wird, zu kritischen Themen sachlich zu diskutieren und Meinungen auszutauschen. Schließlich gibt es zu fast allem mehrere Sichtweisen und nicht jeder kann jede Sichtweise nachvollziehen, wenn sie nicht erklärt wird. Dann einfach nur draufzuhacken, ist soooo kontra-produktiv. :(
LöschenJa, leider ist das Internet kein guter Ort, um brandtaktuelle Themen angemessen durchzusprechen. Dabei sollte es das gerade sein, denn schriftlich hat man immer die Möglichkeit, sich noch einmal zu besinnen und eventuelle etwas zu löschen oder umzuschreiben ehe es gepostet wird, im realen Leben ist gesagt nun einmal gesagt, auch wenn man es vielleicht gar nicht so heftig gemeint hat.
LöschenMir fällt an der Stelle noch "Serverland" von Josefine Rieks ein.
https://verlorene-werke.blogspot.com/2018/11/serverland-josefine-rieks.html
Triggerwarnungen haben doch vom Ursprungsgedanken überhaupt nichts mit Bereinigung oder irgendeiner Art von Textänderung oder gar Zensur zu tun. Tatsächlich geht es doch eigentlich um genau das, was Alica oben von Computerspielen erwähnt: "Content Notes"
AntwortenLöschenDass die Diskussionen offenbar in die falsche Richtung laufen und in jedem möglichen und unmöglichen Zusammenhang gleich von Triggern gesprochen wird, ändert meiner Meinung nach nichts daran, dass Triggerwarnungen oder Content Notes vom eigentlichen Gedanken her sinnvoll und hilfreich sind.
Ich finde ja, dass diese beiden Artikel es sehr gut beschreiben und erläutern:
https://eleabrandt.de/2019/04/12/mythbusting-triggerwarnungen-in-buechern/
https://alpakawolken.de/die-triggerdebatte/
Interessant übrigens, wie unterschiedlich teilweise die Wahrnehmungen sind: Ich kämpfe eher damit zu schreiben, DASS ich Triggerwarnungen prinzipiell gut finde, da ich den Eidnruck habe, dass man das kaum äußern darf, wenn man nicht Spott, Wut und dem Vorwurf "Dann unterstützt du also Zensur in Büchern" ausgesetzt werden möchte.
Insofern stimme ich natürlich zu, dass eine niveauvolle Auseinandersetzung zu dem Thema gut wäre. Leider werde ich trotzdem nicht so schnell den Mut dazu aufbringen, dazu etwas auf meinem Blog zu schreiben - zumal ich solche Dinge ohnehin nicht gut in Worte fassen kann und vermutlich auch zu dünnhäutig dafür bin.
Aber vielleicht würde tatsächlich mal ein Dialog (zw. uns beiden) entstehen, es gibt nämlich in der Tat vieles, das ich da noch nicht ganz durchblicke (darum gerne ein Artikel von Deiner Seite!). Die beiden Links kenne ich (an denen kommt man bei dem Thema verbunden mit Thema: Buch nicht vorbei) und ich finde sie leider nicht überzeugend. Vor allem auch, weil es u.a. die Personen sind, die ich oben und im Kommentar angesprochen habe. Wer so agiert (und genug Beispiele gab es ja), den kann ich einfach nicht ernst nehmen, tut mir leid.
LöschenDer Grundgedanke, schreibe ich ja, klingt erst mal nicht schlecht. Aber gerade bei einem so extremen Thema reicht ein Grundgedanke leider nicht aus. Als alte SoWi-Tante komme ich nicht umhin, in alle Richtungen zu denken. Oben habe ich leider nur Themen angerissen, aber nach fast neun Seiten musste ich auch mal zum Ende kommen :) Für mich liegt das Problem klar ganz woanders. Triggerwarnungen sind nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen, das, wie ich finde, schon ins Auge gehen sollte. Gerade auch bei (sehr) Buchaffinen Leuten.
Beispiel: Kürzlich stieß ich auf diesen Artikel: https://www.zeit.de/kultur/2019-09/lateinunterricht-sexuelle-gewalt-antike-texte-metoo-10nach8 in dem die Frage gestellt wird, ob man die Kinder noch lateinische, hist. Texte lesen lassen soll, weil in denen Frauen nicht so gut wegkommen. Da war mein Text übrigens schon lange fertig. Und selbst wenn man sagt, ja soll man, aber eine "Warnung" (wie immer die formal aussehen mag) drüberschreiben, wäre auch hier das Problem an einer anderen Stelle zu suchen.
Zum Thema "Content Notes in Videospielen" ist leider nur wenig über die Suchmaschine zu finden. Die neg. Beispiele, wo jemand getriggert wurde, sind leider auch solche Beispiele, wo das jeweilige Spiel an sich schon für etwas steht, das man durchaus vor dem Spielbeginn wissen und einschätzen kann. Kann man das nicht ... auch dazu schreibe ich oben etwas.
Mir geht es vor allem darum, dass das Thema komplexer ist, als es bisher abgehandelt wurde bzw. mir die bisherige "Diskussion" zu einseitig geführt wurde - und eben nicht miteinander.
Ich muss mich etwas kürzer halten, weil ich gerade auf dem Sprung zum Zug bin, mir aber gestern zu dem Thema noch etwas eingefallen ist: Und zwar scheint es in Großbritannien durchaus schon gang und gäbe zu sein, dass es Content Warnings (das war das richtige Wort, nicht Content Notes - vielleicht hast du deshalb nichts zu den Videospielen gefunden) vor Filmen gibt. Als ich im Sommer in Schottland war, war ich zweimal im Kino (einmal ein kleines Programmkino, einmal ein großes) und da gab es Content Warnings vor den Filmen.
LöschenIst das nicht auch bei DVDs teilweise der Fall? Ich bin mir jetzt nicht sicher, aber damals im Kino kam mir diese Art von Content Warning sehr bekannt vor. Von der Beschreibung des einen Films hätte ich übrigens nicht erwartet, dass darin sexueller Missbrauch dargestellt werden würde. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob man tatsächlich aufgrund des Titels/des Inhalts/der Beschreibung auf entsprechende Themen schließen kann.
Ansonsten fühle ich mich ehrlich gesagt auch einfach nicht qualifiziert, ausführlich etwas zu dem Thema zu schreiben.
Ich glaube, die meisten schreiben auch "Trigger", wenn es um Spiele (und anderes) geht, weil vermutlich hier die meisten Leute besser verstehen, was damit gemeint ist. Auch wenn sich beides doch zu unterscheiden scheint.
LöschenUnd na ja, wie geht der Spruch aus unserer Kindheit, den wir alle so geliebt haben? "Wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?"
Warum man - egal in welchem Medium - Content Warnings oder auch Triggerwarnungen für nötig erachtet, kann eben auch an der Geschichte und der Art wie diese dargestellt wird liegen. Wie Du schreibst, warst Du von Dingen inhaltlich sehr überrascht. Wo also liegt da wirklich das Problem? Das ist es auch, was ich oben frage und was mir, nicht nur beruflich, sehr wichtig ist. Also sprich: Warum heute solche Warnungen (egal wie) und nicht schon vor fünf, zehn oder fünfzig Jahren? Was verändert sich? DAS wäre doch mal eine nähere Untersuchung wert. (Nicht nur inhaltlich, umsetzungsbedingt, sondern auch gesellschaftlich.)
Aber Du hast eine Meinung ;-) Qualifiziert das nicht in jedem Fall, sich zu einem Thema zu äußern?
Warum ich meinte, dass ich nicht qualifiziert bin, ist, dass ich - zum Glück - keine Triggerwarnungen brauche. Aber es gibt Menschen in meiner Umgebung, für die das ein Thema ist und die mir auch dargelegt haben, weshalb das wichtig ist. Nur kann ich nicht deren Gedanken und Geschichten auf meinem Blog öffentlich darlegen. Ich habe aber das Gefühl, dass ich selbst es nicht entsprechend in Worte fassen kann, was es bedeutet, von wirklich traumatischen Szenen/Themen/Situationen wie Selbstmord, Vergewaltung etc. getriggert zu werden. Aber ich würde auf jeden Fall nicht wollen, dass jemand von meinen Romanen unvorbereitet und ohne Vorwarnung damit konfrontiert wird (tatsächlich spielt in einem der Romane ein Selbstmordversuch eine größere Rolle).
LöschenWeshalb die Warnungen heute Thema sind und nicht vor 50 Jahren schon? Ich würde mal sagen, weil psychische Probleme früher mit einem Stigma belegt waren (bzw. es teilweise noch sind) und man diese Dinge auch einfach nicht offen thematisiert hat.
Mhm. Du meinst, dass sich nur solche Leser dazu äußern sollten, die selbst betroffen sind und Triggerwarnungen brauchen, und eben nicht alle Leser? An der Stelle reden wir dann vermutlich sehr weit aneinander vorbei, weil das genau das ist, was ich oben im Text thematisiert habe. Obwohl ich mich vermutlich auch gespannt mit etwas zu knabbern nach hinten lehnen würde und zuschauen, wie sich "Betroffene" allein bei der Frage halb zerfleischen, wer denn nun (mehr) betroffen ist und wer nicht so wirklich.
Löschen(Ich habe während des Studiums auf einer psychatr. Station gearbeitet und würde daher niemals "Betroffene" irgendetwas entscheiden lassen. Sie haben nämlich gern eine eigene Sicht auf ihre (oft stark eingeschränkte/begrenzte) Welt.)
Aber genau da geht das "über den Tellerrand" schauen eigentlich auch gerade erst los.
Anders gefragt: Gab es denn früher in den Geschichten oft Vergewaltigungen, Morde, Selbsttötungen und ähnliches und das vielleicht auch noch äußerst genau dargestellt? Könnte das nicht eine Sache sein, die sich doch sehr verändert hat (in den letzten fünf, zehn oder fünfzig Jahren)? Und die Art _wie_ diese Dinge dargestellt werden: Könnte auch diese sich verändert haben? (Von einem Textarbeiter zum anderen gefragt.) Und weil ich leider sehr oft diese überzogenen Storys auf dem Tisch habe (auch privat), schreibe ich ja oben, verstehe ich die Forderungen sehr gut. Aber sie sind hier einfach nicht das Problem.
Weiterhin gibt es zahlreiche Studien, die aufzeigen, dass psychische Probleme in den letzten Jahren (vor allem auch in Deutschland) enorm zugenommen haben (und nicht, weil es weniger "stigmatisiert" wäre und damit nun öfter offiziell behandelt). Wäre auch das nicht ein Problem, das noch vor Triggerwarnungen anzugehen wäre?
Ich schreibe ja, dass ich die Triggerwarnungen nur für ein Symptom, aber nicht eine Ursache und schon gar keine Lösung ansehe. Solange die Grundprobleme nicht angegangen werden, werden auch keine Triggerwarnungen oder Content Warnings helfen.
Zudem schreibe ich auch und danke, Jo, dass Du mich darauf gebracht und es selbst so formuliert hast: Gute Bücher _müssen_ triggern, sonst sind sie das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden. Aber: Auf welche Art "triggert" es - und da sind wir wieder bei einer meiner Grundfragen. Die Qualität der Text hat sich stark verändert, nicht nur im Zuge, dass nun quasi jeder "irgendwas" schreiben und veröffentlichen kann, es aber nicht unbedingt sollte. Auch hier wird keine Triggerwarnung das eigentliche Problem lösen können, es bleibt ein Symptom.
Das Thema also nur auf schlichte und immer gleiche Schlagworte (z.B. Zensur) herunterzubrechen, ist nicht nur fade, sondern auch am Thema vorbei. Das Thema, das in der Grundidee so nett klingt, ist nämlich ein riesengroßes. Es gab historisch gesehen viele nette, tolle Grundideen, die dann aber in der Umsetzung eher gewöhnungsbedürftig waren und das oft, weil nicht richtig nachgedacht oder "über den Tellerrand" geschaut wurde. Das können wir übrigens auch gerade in der aktuellen Politik beobachten, wo etwas schnell und damit leider nicht genau durchdacht durchgesetzt werden soll, weil es sich nett anhört und das uns aber alle eine Menge (nicht nur Geld) kosten wird.
Was mich interessiert ist, ob Befürworter neben dem "wir helfen Menschen"-Gedanken noch weitere Optionen mit einbeziehen. Bisher wirkt es leider nicht so.
Ich finde es sehr gut, dass dieser Artikel erschienen ist. Tatsächlich wäre eine Dialog genau das richtige, denn bereits bei den Kommentaren hier sieht man, wie Begrifflichkeiten auftauchen und wieder verschwinden. Für mich sind Content Warnings war vollkommen anderes als Trigger und mit dieser Meinung stehe ich sicherlich nicht allein da.
AntwortenLöschenZu den Triggerwarnungen habe ich die eigene Meinung auf meinem Blog veröffentlicht. So wie es momentan oft diskutiert wird, ist es eher populistisch denn nützlich.
Erstaunt hat mich sehr, wie Federwelt gekuscht hatte, als Kritik an einem Artikel hierzu geäußert wurde. Diese Entwicklungen sind beunruhigend. Aber auch das nur meine Meinung.
Schön, dass Du mal wieder reinschaust :)
LöschenIch habe Deinen Text auch gelesen, war aber so entsetzt - ich bin danach erst einmal auf die online-Suche gegangen , weil ich das mit den Triggern für erledigt hielt -, dass ich nicht antworten konnte. Mir ging das Thema aber so im Kopf herum, dass der obige Text einfach rausmusste. Was ich neben einer anständigen Diskussion aber eben auch für wichtig halte ist, dass man sieht, dass es noch mehr Menschen gibt, die ähnlich denken, dass man nicht allein ist. Das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt.
Ich danke für Deine Meinung! :)
Ich lese immer wieder rein, habe aber gerade wenig Zeit, um ausführlich zu kommentieren.
LöschenMir begegnet das Thema andauernd und es beschäftigt mich sehr. Auch andere Entwicklungen, die Kleinverlage und SP betreffen.
Seltsame Zeiten.
Lustig ist ja, dass es immer schwieriger wird, miteinander zu sprechen, obwohl es heute mehr Möglichkeiten zur Kommunikation gibt als früher. Auch das ist so ein Ding.
Umso schöner, wenn Du Dich reinmeldest. :)
LöschenLass uns das bei Gelegenheit vertiefen, das klingt, als könnte es mich interessieren.
Ein Artikel über moderne Kommunikationsformen? Bin dabei ;-)
Woah, das ist ja mal ein ausführlicher Artikel!
AntwortenLöschenIm Großen und Ganzen bin auch kein Fan von Triggerwarnungen. Vor Allem weil ich sie nicht brauche. Ich lese gern Bücher, die mich fordern und die unbequem sind. Schwierige Themen können mich zwar auch aufwühlen, aber ich mag die Auseinandersetzung damit zuweilen sogar. Ich denke immer, dass Bücher für das Leben wappnen sollen und bei der Auseinandersetzung im echten Leben helfen können. Triggerwarnungen könnten mir von daher kaum egaler sein - ich halte sie für Spoiler und empfinde sie als nicht nötig. Außerdem weiß man oftmals welcher Natur ein Buch - und ist das dann überhaupt noch nötig eine solche Warnung auszusprechen?
Was aber, wenn jemand eine traumatische Situation in seinem Leben verarbeiten muss und "noch nicht soweit ist"? Das kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen, dass das einen Menschen empfindlich treffen kann. An der Stelle möchte ich wiederum niemanden solche Warnungen verbieten. Sinnvoller fände ich es allerdings das so wie von der geschildert auf einer Webseite zu sammeln - da wo es nicht jeder sehen muss. Denn ich halte die Gruppe der Menschen, die Triggerwarnungen wirklich brauchen für einen kleinen Personenkreis.
Davon mal abgesehen fiel mir dein Kommentar über das fernsehen auf. Zwar bin ich kein großer Free-TV-Schauer mehr, aber ich streame und netflixe viel. Es kann sein, dass das Programm zeitweilig oberflächlich ist. Aber ich denke da ist es wie mit allen Medien - es gibt solche und solche und dann gibts noch andere. Arte oder 3sat würde ich beispielsweise eher nicht als so beschreiben. Über Manga, die ich sehr gern lesen, wird auch gesagt, dass sie grell und doof sind. Solche gibt es. Aber es gibt auch mindestens genauso viele andere, die nicht doof oder grell sind. Und es gibt auch genug Bücher, die zumindest ich oberflächlich finde, worüber andere empört wären.
Hi und schön, dass Du mal wieder reinschaust :)
LöschenJa, is lang, ne? Leider scheint es, als sei es mir trotzdem nicht gelungen, meine Meinung insgesamt rüberzubringen, wir verharren leider immer noch in den gleichen Bahnen.
Im Prinzip ist es mir auch "egal", ob vorn beim Impressum noch drei Sätze mehr stehen, die meisten Normalleser nehmen dieses nämlich oft nicht einmal wahr, erst wenn man sie darauf aufmerksam macht. Und so schwer, das zu überblättern ist es auch nicht, wenn man nicht gespoilert werden will.
Doch damit geht es ja erst los. An dem Thema hängt noch sehr, sehr viel mehr dran. Dazu ist es aber auch notwendig, sich generell mit Büchern und vor allem deren "Herstellung", alle Abläufe in einem Verlag (und damit ist nicht Lektorat oder Cover gemeint) zu vergegenwärtigen. Ich denke nicht, dass das auf die meisten der oft sehr jungen Befürworter zutrifft. Und weg vom Individuum hin zur gesamtgesell. Auswirkung bewegt sich auch kaum jemand. Aber das gehört nun einmal alles dazu. Wäre das Thema ein Buch, wäre es leicht zu schreiben: "Die Grundidee ist super, die Umsetzung ... na ja." Und das ist eben das, was mich stört. Und jeder, der dagegen ist, will nur, dass andere Menschen leiden - jedenfalls zwischen den Zeilen gelesen. Auf so einer Basis kann man nicht diskutieren. Siehe auch dazu meine letzte Antwort zu Ney.