Freitag, 13. September 2019

(Buchgedanken) Bücher lesen ist gefährlich


Als ich vor einigen Jahren das erste Mal auf das Thema „Triggerwarnungen in Büchern“ stieß, hielt ich das Ganze noch für einen Scherz. Für etwas, das sich ganz sicher nicht durchsetzen würde. Doch nun werden nicht nur in den USA und England die Forderungen danach immer lauter, sondern auch in Deutschland. Dass es hier seit Anfang 2019 öfter besprochen wird, ist mir bis dato entgangen, weil die meisten Diskussionen online geführt werden, was bereits eine Menge über das Alter der meisten Beteiligten aussagen dürfte.
Als ich mich näher eingelesen habe, wurde mir klar, dass ich eine Triggerwarnung für die meisten Beiträge gebraucht hätte – und genau deswegen schreibe ich diesen Artikel. Ich bin gegen Triggerwarnungen, das möchte ich vorausschicken. Ich verstehe jedoch teilweise die Forderung danach, auch wenn es etwas gedauert hat, ehe ich mich dem Thema neutral nähern konnte. Aber es handelt sich ebenfalls um ein Thema, das in die völlig falsche Richtung läuft und sehr, sehr gefährlich werden kann. Wie ich das meine und warum ich gegen Triggerwarnungen bin, möchte ich näher darlegen. 

Zunächst einmal musste ich verstehen lernen, was eine Triggerwarnung ist und von wem für wen sie gedacht zu sein scheint. Dabei mache ich inzwischen zwei Unterscheidungen. Zum einen werden solche Warnungen von Studenten von ihren Professoren gefordert, also im „professionellen“ Bereich. Zum anderen fordern Leser von zumeist Unterhaltungsliteratur eine solche, was demzufolge den „privaten“ Bereich betrifft.
Triggerwarnungen sehen – bisher auf unterschiedliche formale Weise – Wörter oder ganze Sätze vor, die Szenen oder Themen aufgreifen, mit denen der Leser im folgenden Schriftstück konfrontiert wird. Das kann von #Selbstverletzung oder #Vergewaltigung reichen bis hin zu #Rassismus oder #Tierquälerei. Was genau als Trigger klassifiziert wird, ist nicht näher umrissen worden, im Grunde bisher alles. Einig ist man sich offenbar nur darin, dass es um negative Trigger geht. Wo hier jedoch die Grenze verläuft, ist bisher noch völlig unklar.
Wenn man erst einmal den Grundgedanken einer Triggerwarnung verstanden hat, scheint es schwer, sich diesem zu entziehen. Immerhin tut es der großen Masse nicht weh und könnte einzelnen Lesern helfen, so heißt es. An diesem Punkt geriet ich ins Grübeln. All die Texte, die ich zum Thema gelesen habe, gingen stets nur vom Einzelindividuum aus, egal, ob dafür oder dagegen: „Ich könnte gespoilert werden“, versus: „Ich könnte getriggert werden“. Natürlich sind wir es seit mindestens zwei Generationen so gewohnt, nicht mehr das Gemeinwohl ins Zentrum zu stellen, sondern das jedes Einzelnen. Ob das gut oder schlecht ist, sei einmal dahingestellt. Was ich aber gern in die Diskussion einbringen würde, ist eben dieser Gedanke um das große Ganze. Wenn man Triggerwarnungen loslöst von einzelnen möglichen Betroffenen und es von außen betrachtet, was ändert sich?
Schnell wird an dieser Stelle ersichtlich, dass es durchaus noch komplizierter werden kann. Bereits im Mai 2011 habe ich folgenden Text verfasst: „Politisch Korrekt?(Buchgedanken)“.
Denn zusätzlich zu den Triggerwarnungen kommen noch die „Bereinigungen“ vor allem von älteren Werken, vorgeblich, um sie dem modernen Sprachgebrauch anzupassen. Oder aber „negative Begriffe“ zu vermeiden, die andere herabsetzen oder „triggern“ könnten.
Vor knapp zwanzig Jahren war ich zwecks Abi-Fahrt mit meinem Jahrgang in Rom und wir machten auch einen Tagesausflug nach Pompeji. Jene Stadt, die einst vom Ausbruch des Vesuvs überrascht und quasi vollständig ausgelöscht wurde. Als sie wiederentdeckt wurde, hat man sich in vielen, vielen Jahren daran gemacht, sie wieder auszugraben und konnte so das archäologisch-alltägliche Bild einer knapp zweitausend Jahre alten Stadt und ihrer Bewohner wiederbeleben. Als wir durch die Straßen schritten, fielen uns die zahlreichen Wegweiser an den Häuserecken auf, an denen von Archäologen gearbeitet wurde. Wir fragten nach und erfuhren, warum die Menschen damals Penisse mit Mörtel auf die Wände zeichneten. Pompeji war eine Hafenstadt und so gab es einen regen Durchgangsverkehr. Die meisten Matrosen auf Landgang waren nach getaner Arbeit an Amüsements interessiert. Die Penisse, die in verschiedene Richtungen zeigten, gaben an, wo an der Stelle, wo man stand, das nächste Hurenhaus zu finden war. Witzige Geschichte? Nicht in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die „Gesellschaft“ fand die Penis-Zeichnungen so anstößig, dass sie sie überzeichneten. Die Archäologen, die wir nun 1999 gesehen hatten, waren eifrig dabei, diese Überzeichnungen (Mörtel) wieder zu entfernen, um die Stadt in ihren Originalzustand zu versetzen. Vermutlich, weil man bereits Geschehenes nicht „bereinigen“ kann (und sollte) und weil es ein Bild von der eigenen Vergangenheit zeigt, das nicht der Realität entspricht (, sondern wie man sie haben möchte).
Mit großer Sorge beobachte ich die „Bereinigungen“ unserer Sprache und vor allem älterer Werke. Die Anmaßung dahinter macht mich schier sprachlos. Jedes literarische Werk ist natürlich auch immer ein Spiegel seiner Zeit. Wer als Leser nicht weiß, wie er es historisch, wissenschaftlich und kulturell einzuordnen hat, sollte die Wahl seiner bisherigen Lektüre dringend überdenken – und seine Allgemeinbildung gleich mit. Das ist auch etwas, das mich an der „professionellen“, aber auch „privaten“ Forderung nach Triggerwarnungen so verstört. Selbstverständlich wird man im Literaturstudium (oder in der Schule) mit sog. Klassikern konfrontiert, die zumeist eine erhebliche Anzahl an Jahren auf dem Buckel haben. Solche Werke zu verstehen, scheint schon längst nicht mehr allen gegeben zu sein und besonders der neuen Generation Schwierigkeiten zu bereiten.
Hier liegt auch ein ganz großes Problem unserer Gesellschaft durch Individuen zugrunde.
Im November 2014 war ich zu einer Fachtagung der Stiftung Lesen eingeladen.
Das Thema hieß „Digitale Medien: Chancen für das Lesen“. Ich erfuhr an diesem Tag sehr viele interessante Dinge, über die ich lange nachdenken musste und die immer deutlicher zutage treten. In etwa gab es einen für mich faszinierenden Vortrag eines Profs aus Berlin, „der sehr anschaulich und verständlich an die unterschiedlichen Arten des Lesens heranführte. Wie liest man einen Text Print, wie einen Text (mit weiterführenden Links) digital? Wie können die Chancen zum gegenseitigen Lesen genutzt werden? Stichworte: Deep Attention (das Eintauchen in Texte) und Hyper Attention (Drüberfliegen). Aber das neue Lesen erfordere auch das Schreiben und Grenzen zwischen Autor und Leser verschwämmen immer mehr, was er schließlich an einem Modellsystem erklärte, das im letzten Schritt zu "es gibt keinen abgegrenzten Text mehr, es gibt nur noch Kommunikationsimpulse" geführt hat.“
Am Ende des Tages war deutlich, dass wir ohne das digitale Lesen nicht mehr auskommen werden. Aber was macht es mit Kindern, die nicht, wie in etwa meine Altersklasse, erst linear in Büchern lesen und dann an Digitales herangeführt werden, sondern die gleich in Letzteres einsteigen? Wie verändert sich das Lesen und wie verändert sich damit die Art wie wir lesen und damit letztendlich lesen und verstehen?
Triggerwarnungen und „Bereinigungen“ gehen Hand in Hand, besonders, wenn sie überaus bekannte Werke, die oft unter großen Repressalien veröffentlicht wurden, betreffen. Auch heute noch gibt es Orte auf dieser Welt, in denen Verleger oder Autoren in Gefängnissen sitzen oder mit dem Leben bedroht werden, weil sie etwas veröffentlicht haben, das anderen nicht genehm war. Man stelle sich vor, diese Menschen, mit allem, was sie zu erdulden hatten, erführen, was aus ihren Werken geworden ist. Stellen gestrichen oder abgeändert, weil es „zu schrecklich“ sei, Worte gegen andere ausgetauscht, weil sich jemand herabgesetzt fühlen könnte. Was soll das anderes sein als Zensur? Die Veränderung des Lesen und Denkens?
Als ich aber einmal an dieser Stelle des Nachdenkens war (und das ist alles nur sehr kurz umrissen), fragte ich mich, was genau sich eigentlich an den Werken und wie sie niedergeschrieben wurden verändert haben könnte. Es ist kein Geheimnis, dass das Schreiben und die Art sich auszudrücken sich stetig wandeln. Das wird sogar an Universitäten gelehrt. Letztendlich ist der Buchmarkt eben auch genau das: ein Markt. Und wie jeder Markt wird er bestimmt durch Angebot und Nachfrage.
Ich plane schon länger einen Artikel, den ich „Liest du noch oder konsumierst du schon?“ nennen wollte, für den mir aber bisher immer die Zeit gefehlt hat. Das ist eine Frage, mit der sich Kollegen in der Textarbeit und ich im Privaten schon eine ganze Weile auseinandersetzen (müssen). Wir leben (leider) in einer Zeit, in der es quasi jedem möglich ist, ein Werk zu veröffentlichen. Aber statt die große Chance darin zu begreifen, haben viele das auf Oberflächlichkeiten und Quantität heruntergebrochen. Autoren, die zwischen drei und sieben (mehrere hundert Seiten) Werken im Jahr veröffentlichen, können sich keine Zeit für die entscheidenden Dinge an einem Roman nehmen. Viele wollen das auch gar nicht. Ich erlebe selbst immer wieder Autoren, die noch nie ein Buch in dem Genre gelesen haben, in dem sie gerade ein Werk bei mir abgeliefert haben. Die hauptberuflich Autoren sind, denen aber völlig egal ist, was genau sie schreiben und ob das, was sie niederschreiben, Sinnhaft ist oder nicht.
Demgegenüber steht eine wachsende Anzahl an Lesern, die angeben, sie läsen lediglich zum Vergnügen, sie wollten entspannen und sonst nichts. Es bleibt an dieser Stelle zu hinterfragen, was ein Buch eigentlich ist. Heute. Und damals? Einst schrieb Kafka: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Ein Satz, dem wir häufiger begegnen, digital, aber auch analog.
 „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben.“, heißt es kurz zuvor. Und weil ich es besser auch nicht hätte ausdrücken können, zitiere ich ihn auch damit.
Was aber geschieht, wenn die, die Bücher machen und dann eben auch zwangsläufig die, die Bücher lesen, das nicht mehr des Inhaltes wegen tun? Wenn Bücher lesen wie fernsehen geworden ist? Eben oberflächlich, bunt, Effektheischend – und völlig sinnlos? Wenn quasi jeder die Bücher, die niemandem etwas geben, selbst schreibt, wie Kafka es formuliert?
Das ändert natürlich die Art, wie geschrieben wird. Es ändert die Art, wie Dinge niedergeschrieben werden, es ändert die Herangehensweise an Themen. Und macht es hier dann nicht tatsächlich Sinn, eine Triggerwarnung voranzustellen? Nicht, weil z.B. das Thema #Suizid im Text vorkommt, sondern weil er auf eine Art und Weise vor- und dargestellt wird, die deutlich macht, dass sich der Niederschreibende der Ernsthaftigkeit nicht bewusst ist oder eben bewusst in Kauf nimmt, dass das Thema Schaden anrichten könnte und das nur, weil es sich besser verkauft. Ich denke hier mit Grauen an die Werke, die ich in meinem Beruf abgelehnt habe, weil sie meist Frauen bzw. sehr junge Mädchen in diversen sexualisierten Darstellungen zeigten, die keinen Sinn, außer eben diese Darstellungen genau zu beschreiben, ergaben. Werke, die eben auf unsere urinstinktiven Bedürfe wirken sollen – und sonst nichts. Erschreckenderweise sahen die jeweiligen Autorinnen das auch ein. Sie wüssten darum, aber es gäbe eben Leser, die das mögen würden und Geld stinkt nicht.
Wenn uns die Verantwortlichkeit verloren geht, jene, die wir für uns selbst empfinden genauso, wie jene, die wir für andere empfinden sollten (und zudem eine Art Kontrollinstanz fehlt), dann kann daraus nichts Gutes erwachsen. Wenn das einhergeht mit Forderungen nach Triggerwarnungen, sollten wir uns alle fragen, ob das eigentliche Problem nicht ganz woanders liegt.
Nehmen wir an dieser Stelle ein Buch als Beispiel, das vermutlich alle kennen: „Harold und Maude“. Es wurde 1971 von Colin Higgins geschrieben und damals auch sehr erfolgreich verfilmt.  Der knapp Zwanzigjährige, der durch fingierte Selbstmorde versucht, eine Regung zu seiner Person bei seiner Mutter auszulösen. Der vom Tod fasziniert ist, in einem Leichenwagen herumfährt und gern auf Beerdigungen geht. Und demgegenüber die knapp Achtzigjährige, die sein genaues Pendant zu sein scheint: lebensfroh und unkonventionell. Harold, der sich gegen seine Mutter und deren Pläne für sein Leben wehren muss und Maude lernen sich immer besser kennen und lieben. Aber Maude hat beschlossen, mit achtzig abzutreten und auch Harold kann sie nicht mehr retten.
Zwar fiel die Geschichte bei Erscheinen durch, wird jedoch heute als Kultfilm verehrt und nicht selten im Englischunterricht gelesen. Es treten zwei große Themen an: Die Bestimmung des Zeitpunkts des eigenen Todes und die Beziehung zweier Menschen mit großem Altersunterschied. Damals ein Skandal, eine genaue Liebesszene wurde untersagt. Aber nicht diese war es, die das „gefrorene Meer“ zum Beben brachte. Wie würde heute, fünfzig Jahre später, so eine Geschichte aussehen? Wie würde sie dargestellt, wie niedergeschrieben werden?
Und welche Version bräuchte wohl eher eine Triggerwarnung?
Aber all diese Dinge, die berühren (sollten), sind beim Publikum oft nicht (mehr) gefragt. Sie sind nicht entspannend, sie strengen an. Darum möchten viele Leser eben diese Dinge, die sie anstrengen oder aufregen umgehen. Dafür wurden diverse Seiten im Internet gegründet, in denen sich Nutzer gegenseitig darauf hinweisen können, in welchen Filmen oder Büchern „der Hund stirbt“ oder andere unangenehme Dinge geschehen. In einem Artikel einer größeren Seite fand ich die Aussage, dass es zu viele frauenfeindliche Geschichten in TV und Kino (z.B. Crime, GoT) gäbe und man sich eine solche Warnung vorab wünschen würde, damit man gar nicht erst einschalten müsste. Obwohl ich der Autorin zustimmen möchte, dass die Darstellung der meisten Frauen … sagen wir mal: nicht ganz optimal ist (dieser Blog ist voller Hinweise dazu), hat sie es doch damit unabsichtlich auf den Punkt gebracht. Aber seit wann lösen wir Probleme, indem wir eine Warnung vorn an sie dranschreiben und sie damit umgehen?
Wenn es Themen wie #Sexismus oder #Rassismus in der filmischen oder schriftlichen Umsetzung nur wegen ihrer (oft überzogenen) Darstellung gibt – vielleicht, um dieses besser zu verkaufen? – sollte sich jeder Nutzer fragen, ob er das verwenden möchte oder es lieber dahin schiebt, wo es hingehört: den Papierkorb. Letztendlich beginnt all das nämlich bei uns selbst, den Individuen: Das, was wir lesen oder ansehen überdenken und hinterfragen. Denn alles, was uns umgibt, formt uns. Und wer, wenn nicht wir selbst, sollte die Entscheidung darüber treffen, was wir wie an uns heranlassen oder eben nicht? Das ist etwas, das wir nicht aus der Hand geben dürfen! Es wird letztendlich die ganze Gesellschaft prägen, wenn Dinge umgangen oder „bereinigt“ werden. Die Gesellschaft kann und sollte nicht die Verantwortung für jedes einzelne Individuum in ihr übernehmen – und diese sollten sich ihre Selbstbestimmung nicht aus der Hand nehmen lassen. Es gibt an dieser Stelle genug Klassiker (meist in der Phantastik), die sich mit dieser Thematik befasst haben. Wenn ein Individuum merkt, dass es  diese Selbstverantwortung nicht tragen kann, sollte es sich professionelle Hilfe suchen. Denn auch eine Triggerwarnung kann die Probleme, die hinter dem eigentlichen Trigger stecken, nicht lösen. Und weil es so viele verschiedene Probleme in ganz vielen individuellen Lebensentwürfen und -geschehnissen gibt, kann es im Grunde auch keine Standardisierung bei Triggerwarnungen geben. Da Bücher immer Geschichten von Individuen mit ihren jeweiligen Erlebnissen, oft in einen bestimmten zeitlichen Rahmen, sind, können sie und sollten sie auch keine safe places zeigen und/oder schaffen. Die gibt es im Leben nun einmal nicht. Das ist bitter, aber real. Und sind es nicht gerade diese realen, echten und oft auch traurigen Geschichten, die uns im Gedächtnis verhaftet geblieben sind? Die vielleicht sogar Anstoß gaben, Veränderungen herbeizuführen?
Triggerwarnungen brechen die Probleme (unserer Zeit wie derer, die vor uns waren) zu sehr auf Individuen herunter, wo sie mehr gesellschaftlich aufgegriffen und diskutiert werden sollten. Das hat auch mit Verdrängung zu tun. Wenn es vermieden wird, über bestimmte Dinge öffentlich zu reden oder zu schreiben, weil sie einen (oft sehr kleinen) Teil der Gesellschaft triggern oder verstören könnte, werden eben diese Dinge aus dem Bewusstsein aller Einzelindividuen, die eine Gesellschaft bilden, herausgedrängt. Dabei ist es ganz einfach: Wenn wir Probleme nicht benennen, können wir sie nicht lösen.
Viele Geschichten sind überdies niedergeschrieben worden, um ein bestimmtes Ereignis, das dem Autor selbst wiederfahren ist, besser verstehen und verarbeiten zu können. Ich denke da nicht nur an all die Werke, die #Rassismus behandeln und meist von Autoren erdacht wurden, denen selbst rassistische Übergriffe verbal oder sogar körperlich passiert sind. Wie und mit welchen Warnungen versieht man diese Werke und wie stehen die Autoren dazu?
Triggerwarnungen schaffen Verdrängung, keine Veränderung.
Letztendlich ist es die Aufgabe eines (guten) Autors, sich schreiberisch eines Problems anzunehmen, vielleicht um es ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, vielleicht um es selbst zu verarbeiten, vielleicht sogar um es zu lösen. Dazu muss man nicht die Weltliteratur nach „Onkel Toms Hütte“ oder „1984“ absuchen. Doch das, was uns heute auf dem großen Buchmarkt, in dem ein einzelnes Werk oft kaum noch eine Chance hat, wahrgenommen zu werden, weil die schiere Anzahl an Büchern von den Lesern gar nicht gelesen werden kann, begegnet, hinterfragt hinter überbunten Covern nur noch selten. Was wiederum dazu führt, dass auch der Leser nur noch selten hinterfragt, sich nach hinten lehnt und sich berieseln lässt. Und wird Kritik nicht ohnehin überschätzt? Darf man überhaupt kritisieren? Also so richtig, eben negativ? Obwohl ich die Frage wahnsinnig widersinnig finde, wundert sie mich wenig. Wir haben es jetzt mit einer Generation, manche nennen sie Generation Snowflake, zu tun, die mit absoluter Fairness aufgewachsen ist, die nicht in gegenseitige Konkurrenz treten sollte, sondern sich in erster Linie wohlfühlen. Bei der am Ende alle gewonnen haben und es ohnehin nur um den Spaß an der Freude ging. Deren Bezug zu Kritik darin besteht, ein Like zu geben – oder eben nicht. Die ganz bestimmt (vordergründig) niemandes Befinden stören (oder "unfair" sein) wollen und mit einer ziemlich Perwoll gewaschenen, digitalen Schein-Media-Welt aufgewachsen ist, die sie 24h/Tag um sich hatten und haben. Zudem handelt es sich dabei um ein zweischneidiges Schwert. Auch der Kritiker steht im Rampenlicht, kann nicht ausweichen, wenn das öffentliche Bild der Scheinwelt kippt: alle Links, Hashtags und Kommentarfelder sind auf ihn wie Schnellfeuergewehre gerichtet und wehe es sind zu deutliche Worte gefallen. Da spielt es keine Rolle, ob diese berechtigt sind oder nicht, ob sie im passenden regelkonformen Ton verfasst wurden oder nicht. Mein Ratschlag: Statt zu diskutieren, ob man ein Werk kritisieren darf, macht es Sinn, zunächst zu lernen, was Kritik eigentlich ist und warum es wichtig ist, auch das hinzuschreiben, was einem Unbehagen bereitet. Vielleicht sogar besonders das.
Wir können (und sollten) nicht alle gleich (kuschelig?) sein. Denn wir leben in einer sehr großen und bunten Welt, die reich an Wissen und Kultur ist. Eine („bereinigte“) Monokultur schaffen zu wollen, macht keinen Sinn, wenn wir die Vielfalt leben sollten. Wir brauchen, als Individuum, aber auch als Gesellschaft, Vorbilder, an denen wir uns orientieren und denen wir nacheifern können. Was gar nicht so einfach ist, wenn z.B. (soziale) Medien unsere Wahrnehmung massiv beeinflussen und uns etwas vorgaukeln, das es so vermutlich gar nicht gibt. Dinge, die früher kaum relevant waren, werden nun mit einem Mausklick oder mittels der Fernbedienung ins eigene Wohnzimmer transportiert. Leider fehlt es eben an echten Vorbildern, viele sog. Promis werden durch Quantität, nicht Qualität und zudem für eine Rolle ausgewählt – das ist inzwischen auch in der Buchwelt nicht anders. Charles Pépin schreibt in „Sich selbst vertrauen: Kleine Philosophieder Zuversicht“, das sei so, damit möglichst viele Menschen sich mit ihnen assoziieren können. Wohin es führt, wenn Leute dadurch quasi nicht mehr nach Höherem streben, weil auch Mittelmäßigkeit oder schlimmer: Belanglosigkeit etwas (Zweifelhaftes) erreichen kann, ist bereits nach wenigen Jahren deutlich zu sehen.
An dieser Stelle sei dringend erwähnt, dass es einen Unterschied zwischen „gleich“ und „gleichberechtigt“ gibt, der nicht außer Acht gelassen werden darf.
Irritierend finde ich besonders die zahlreichen, oft sehr persönlich geführten Kreuzzüge, wo eigentlich eine offene Diskussion auf Augenhöhe stattfinden sollte. Als kürzlich ein sehr gelungener Artikel in der Federwelt #137 erschien, der sich auf humorige Weise dem Thema Triggerwarnungen annahm, gab es eine, meiner Wahrnehmung nach eher überschaubare, Gruppe, die sehr aktiv in den sozialen Medien Wiedergutmachung forderte. Das ging so weit, dass „personelle Konsequenzen“ verlangt wurden und ein Teilen der eigenen Beiträge vorangetrieben wurde, in denen die Auflösung von Abonnements für die Zeitschrift besprochen wurde. Dass hinter allem auch menschliche Existenzen stehen, die plötzlich gefährdet wurden, dass eine bisher tadellose Arbeit in kürzester Zeit herabgewürdigt und im (digitalen)  öffentlichen Bild eine Wahrnehmung heraufbeschworen wurde, die besagt, dass all das, was Literatur in Jahrhunderten, wenn nicht länger, ausmachte, plötzlich auf eine Art gefährlich wird, die uns alle Kopf und Kragen kosten könnte, schien dieser Gruppe dabei nicht einmal aufzufallen.
Und plötzlich bin ich wieder Im Jahr 1988 und sitze in meiner Klasse in der Grundschule des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates DDR. Damals hatte ich einen sehr christlich gläubigen Jungen in der Klasse, der sich weigerte, bei den Pionieren einzutreten. Pioniere. Wir sind alle gleich – ob wir wollen oder nicht. Was Du denken und sagen sollst, wird Dir suggeriert (oder klar vorgegeben). Seine Nichtteilnahme schloss ihn kategorisch von allen Klassenfahrten und Wandertagen und natürlich den wöchentlichen Pioniernachmittagen aus. Ich glaube, damit konnte er eigentlich ganz gut leben. Aber leider nimmt die Masse – wir sind schließlich alle gleich, verdammt noch mal – ein Anderssein nicht einfach hin. Ständig wurde er, meist vorgetreten vor der ganzen Klasse (wir waren acht, neun Jahre alt) wegen völlig Belanglosem heruntergeputzt. „Also hier, in der Klassenarbeit, da hast du zwar mit einem Lineal unterstrichen, aber guck mal, wie schief die Linie ist!“ Wie er das ausgehalten hat, frage ich mich heute noch. Dass wir doch bitte in der Schule nicht mit ihm zu spielen haben, versteht sich von selbst.
Diesen einen, einzigen, richtigen Weg, der uns momentan in allen Medien suggeriert wird, den gibt es nicht. Was in diesen Tagen unerlässlich ist, ist zu lernen, was die wichtigste Frage hinter allem ist: Warum? Dieses kleine Wort sollte jedes Individuum neu lernen und auch in Kauf nehmen, dass die Beantwortung davon etwas längere Recherche erfordern könnte. Schließlich ist es nicht unerheblich, sich zu fragen, wer denn derjenige ist, der den „einen einzigen richtigen“ Weg vorgibt. Das sind in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte nie die Gleichen gewesen und sie alle hatten Hintergedanken, wenn sie glaubten, die Welt nach ihrem Ebenbild formen zu können. Aber nicht selten hat eben dieser eine einzige richtige Weg in eine völlige Katastrophe geführt. Und er begann nicht selten mit der „Bereinigung“ der Art wie Dinge gesagt oder geschrieben – und damit über kurz oder lang auch gedacht – wurden.
Heute scheint es, dass Autoren (und andere Künstler) bereits darüber nachdenken, Themen aus- oder wegzulassen, Dinge „sanfter“ zu formulieren, um Triggerwarnungen zu umgehen oder niemanden „zu schädigen“. Verlage lassen von bestimmten Themen die Finger, um sich eben diese nicht zu verbrennen – greifen lieber zu den suggeriert richtigen.
Wie konnte es nur jemals soweit kommen? Genau so!
Nach all dem (und mir ist bewusst, wie unzureichend und kurzgefasst ich es dargelegt habe) lässt sich nur eines feststellen: Triggerwarnungen sind nicht das Problem, sie sind nur ein Symptom. Wie wir Individuen uns dessen annehmen, wird die Gesellschaft von morgen bedingen.
Und Du? Bist Du dabei oder schaust Du nur zu?


16 Kommentare:

  1. Huhu Soleil,

    danke für deine ausführlichen Gedanken!
    Das Ausmaß, dass die Forderungen nach Triggerwarnungen aktuell in einigen Kreisen annimmt, erschreckt mich auch. Mich hat vor allem verwirrt, dass in den USA Literaturstudenten Triggerwarnungen fordern. Wenn ich jemand bin, der etwas traumatisches erlebt hat und von mir selbst denke, dass mich mögliche Inhalte in Büchern triggern könnten, dann würde ich doch nicht Literatur studieren. Wie du schon schreibst, Bücher spiegeln auch immer den Zeitgeist wider und da sollte man doch eine ungefähre Vorstellung haben, was in welchem Genre aus welcher Zeit zu erwarten ist.

    Allerdings gibt es z.B. bei Videospielen auch "Triggerwarnungen" bzw. eher "Content Notes". Sowas könnte ich mir für Bücher tatsächlich auch noch vorstellen, da es doch eher allgemein gehalten ist, der Leser aber trotzdem weiß, ob ihn z.B. Gewalt erwartet, obwohl der Klappentext das nicht hergibt.

    Wer jedoch wirklich etwas traumatisches erlebt hat, der wird oft durch sehr spezielle "Eindrücke" getriggert - sowas können Triggerwarnungen ohnehin nicht abbilden. Daher finde ich die Diskussion auch überwiegend nicht zielführend.

    Was mich auch ziemlich stört: Es wird irgendwie zunehmend gefordert, in Geschichten eine perfekte, makellose Welt darzustellen. Dabei sind Bücher für mich gerade ein guter Weg, um auf Missstände aufmerksam zu machen, den Leser zum Nachdenken und vielleicht sogar Umdenken anzuregen. Wenn man alles sanft und vorsichtig formuliert, wie sollen Probleme dann behandelt werden?

    Joa, jedenfalls kein so einfach abzuhandelndes Thema. :D
    Schöne Grüße
    Alica

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    1. Ist ziemlich viel Text, aber ausführlich abhandeln konnte ich es leider nicht (da schriebe ich einen ganzen Roman). :) Betroffene können und sollen alles studieren, was sie wollen (und können), aber Trigger werden sie überall finden, vor allem, wie Du schreibst, die speziellen, auch sie persönlich abgestimmten. Bei Videospielen kenne ich mich leider nicht aus, aber da sollte es eigentlich der FSK tun so wie auch bei Filmen. Bücher erzählen ja oft schon über ihre Verpackung (Cover, Autor, Verlag ...) wie und wo sie einzuordnen sind.
      Wie könnten Triggerwarnungen und "perfekte Welt" zusammenhängen? ;-)
      Ich finde es bisher schade, dass, wo immer dieses Thema in der deutschsprachigen Welt aufgetaucht ist, kein Dialog entstanden ist, es gab nur ein Draufhacken und jede Menge (unschöner) Unterstellungen, aber keine niveauvolle Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Das wäre in der Tat etwas, das ich mir diesbezüglich wünschen würde, vielleicht auch schlicht in Blogposts. Aber wenn ich überlege, wie lange ich brauchte, um mich durchzuringen, obigen Text zu veröffentlichen ...

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    2. Ich habe generell das Gefühl, dass es immer schwerer wird, zu kritischen Themen sachlich zu diskutieren und Meinungen auszutauschen. Schließlich gibt es zu fast allem mehrere Sichtweisen und nicht jeder kann jede Sichtweise nachvollziehen, wenn sie nicht erklärt wird. Dann einfach nur draufzuhacken, ist soooo kontra-produktiv. :(

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    3. Ja, leider ist das Internet kein guter Ort, um brandtaktuelle Themen angemessen durchzusprechen. Dabei sollte es das gerade sein, denn schriftlich hat man immer die Möglichkeit, sich noch einmal zu besinnen und eventuelle etwas zu löschen oder umzuschreiben ehe es gepostet wird, im realen Leben ist gesagt nun einmal gesagt, auch wenn man es vielleicht gar nicht so heftig gemeint hat.
      Mir fällt an der Stelle noch "Serverland" von Josefine Rieks ein.
      https://verlorene-werke.blogspot.com/2018/11/serverland-josefine-rieks.html

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  2. Triggerwarnungen haben doch vom Ursprungsgedanken überhaupt nichts mit Bereinigung oder irgendeiner Art von Textänderung oder gar Zensur zu tun. Tatsächlich geht es doch eigentlich um genau das, was Alica oben von Computerspielen erwähnt: "Content Notes"

    Dass die Diskussionen offenbar in die falsche Richtung laufen und in jedem möglichen und unmöglichen Zusammenhang gleich von Triggern gesprochen wird, ändert meiner Meinung nach nichts daran, dass Triggerwarnungen oder Content Notes vom eigentlichen Gedanken her sinnvoll und hilfreich sind.
    Ich finde ja, dass diese beiden Artikel es sehr gut beschreiben und erläutern:
    https://eleabrandt.de/2019/04/12/mythbusting-triggerwarnungen-in-buechern/
    https://alpakawolken.de/die-triggerdebatte/

    Interessant übrigens, wie unterschiedlich teilweise die Wahrnehmungen sind: Ich kämpfe eher damit zu schreiben, DASS ich Triggerwarnungen prinzipiell gut finde, da ich den Eidnruck habe, dass man das kaum äußern darf, wenn man nicht Spott, Wut und dem Vorwurf "Dann unterstützt du also Zensur in Büchern" ausgesetzt werden möchte.
    Insofern stimme ich natürlich zu, dass eine niveauvolle Auseinandersetzung zu dem Thema gut wäre. Leider werde ich trotzdem nicht so schnell den Mut dazu aufbringen, dazu etwas auf meinem Blog zu schreiben - zumal ich solche Dinge ohnehin nicht gut in Worte fassen kann und vermutlich auch zu dünnhäutig dafür bin.

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    1. Aber vielleicht würde tatsächlich mal ein Dialog (zw. uns beiden) entstehen, es gibt nämlich in der Tat vieles, das ich da noch nicht ganz durchblicke (darum gerne ein Artikel von Deiner Seite!). Die beiden Links kenne ich (an denen kommt man bei dem Thema verbunden mit Thema: Buch nicht vorbei) und ich finde sie leider nicht überzeugend. Vor allem auch, weil es u.a. die Personen sind, die ich oben und im Kommentar angesprochen habe. Wer so agiert (und genug Beispiele gab es ja), den kann ich einfach nicht ernst nehmen, tut mir leid.
      Der Grundgedanke, schreibe ich ja, klingt erst mal nicht schlecht. Aber gerade bei einem so extremen Thema reicht ein Grundgedanke leider nicht aus. Als alte SoWi-Tante komme ich nicht umhin, in alle Richtungen zu denken. Oben habe ich leider nur Themen angerissen, aber nach fast neun Seiten musste ich auch mal zum Ende kommen :) Für mich liegt das Problem klar ganz woanders. Triggerwarnungen sind nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen, das, wie ich finde, schon ins Auge gehen sollte. Gerade auch bei (sehr) Buchaffinen Leuten.
      Beispiel: Kürzlich stieß ich auf diesen Artikel: https://www.zeit.de/kultur/2019-09/lateinunterricht-sexuelle-gewalt-antike-texte-metoo-10nach8 in dem die Frage gestellt wird, ob man die Kinder noch lateinische, hist. Texte lesen lassen soll, weil in denen Frauen nicht so gut wegkommen. Da war mein Text übrigens schon lange fertig. Und selbst wenn man sagt, ja soll man, aber eine "Warnung" (wie immer die formal aussehen mag) drüberschreiben, wäre auch hier das Problem an einer anderen Stelle zu suchen.
      Zum Thema "Content Notes in Videospielen" ist leider nur wenig über die Suchmaschine zu finden. Die neg. Beispiele, wo jemand getriggert wurde, sind leider auch solche Beispiele, wo das jeweilige Spiel an sich schon für etwas steht, das man durchaus vor dem Spielbeginn wissen und einschätzen kann. Kann man das nicht ... auch dazu schreibe ich oben etwas.
      Mir geht es vor allem darum, dass das Thema komplexer ist, als es bisher abgehandelt wurde bzw. mir die bisherige "Diskussion" zu einseitig geführt wurde - und eben nicht miteinander.

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    2. Ich muss mich etwas kürzer halten, weil ich gerade auf dem Sprung zum Zug bin, mir aber gestern zu dem Thema noch etwas eingefallen ist: Und zwar scheint es in Großbritannien durchaus schon gang und gäbe zu sein, dass es Content Warnings (das war das richtige Wort, nicht Content Notes - vielleicht hast du deshalb nichts zu den Videospielen gefunden) vor Filmen gibt. Als ich im Sommer in Schottland war, war ich zweimal im Kino (einmal ein kleines Programmkino, einmal ein großes) und da gab es Content Warnings vor den Filmen.
      Ist das nicht auch bei DVDs teilweise der Fall? Ich bin mir jetzt nicht sicher, aber damals im Kino kam mir diese Art von Content Warning sehr bekannt vor. Von der Beschreibung des einen Films hätte ich übrigens nicht erwartet, dass darin sexueller Missbrauch dargestellt werden würde. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob man tatsächlich aufgrund des Titels/des Inhalts/der Beschreibung auf entsprechende Themen schließen kann.

      Ansonsten fühle ich mich ehrlich gesagt auch einfach nicht qualifiziert, ausführlich etwas zu dem Thema zu schreiben.

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    3. Ich glaube, die meisten schreiben auch "Trigger", wenn es um Spiele (und anderes) geht, weil vermutlich hier die meisten Leute besser verstehen, was damit gemeint ist. Auch wenn sich beides doch zu unterscheiden scheint.
      Und na ja, wie geht der Spruch aus unserer Kindheit, den wir alle so geliebt haben? "Wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?"
      Warum man - egal in welchem Medium - Content Warnings oder auch Triggerwarnungen für nötig erachtet, kann eben auch an der Geschichte und der Art wie diese dargestellt wird liegen. Wie Du schreibst, warst Du von Dingen inhaltlich sehr überrascht. Wo also liegt da wirklich das Problem? Das ist es auch, was ich oben frage und was mir, nicht nur beruflich, sehr wichtig ist. Also sprich: Warum heute solche Warnungen (egal wie) und nicht schon vor fünf, zehn oder fünfzig Jahren? Was verändert sich? DAS wäre doch mal eine nähere Untersuchung wert. (Nicht nur inhaltlich, umsetzungsbedingt, sondern auch gesellschaftlich.)
      Aber Du hast eine Meinung ;-) Qualifiziert das nicht in jedem Fall, sich zu einem Thema zu äußern?

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    4. Warum ich meinte, dass ich nicht qualifiziert bin, ist, dass ich - zum Glück - keine Triggerwarnungen brauche. Aber es gibt Menschen in meiner Umgebung, für die das ein Thema ist und die mir auch dargelegt haben, weshalb das wichtig ist. Nur kann ich nicht deren Gedanken und Geschichten auf meinem Blog öffentlich darlegen. Ich habe aber das Gefühl, dass ich selbst es nicht entsprechend in Worte fassen kann, was es bedeutet, von wirklich traumatischen Szenen/Themen/Situationen wie Selbstmord, Vergewaltung etc. getriggert zu werden. Aber ich würde auf jeden Fall nicht wollen, dass jemand von meinen Romanen unvorbereitet und ohne Vorwarnung damit konfrontiert wird (tatsächlich spielt in einem der Romane ein Selbstmordversuch eine größere Rolle).

      Weshalb die Warnungen heute Thema sind und nicht vor 50 Jahren schon? Ich würde mal sagen, weil psychische Probleme früher mit einem Stigma belegt waren (bzw. es teilweise noch sind) und man diese Dinge auch einfach nicht offen thematisiert hat.

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    5. Mhm. Du meinst, dass sich nur solche Leser dazu äußern sollten, die selbst betroffen sind und Triggerwarnungen brauchen, und eben nicht alle Leser? An der Stelle reden wir dann vermutlich sehr weit aneinander vorbei, weil das genau das ist, was ich oben im Text thematisiert habe. Obwohl ich mich vermutlich auch gespannt mit etwas zu knabbern nach hinten lehnen würde und zuschauen, wie sich "Betroffene" allein bei der Frage halb zerfleischen, wer denn nun (mehr) betroffen ist und wer nicht so wirklich.
      (Ich habe während des Studiums auf einer psychatr. Station gearbeitet und würde daher niemals "Betroffene" irgendetwas entscheiden lassen. Sie haben nämlich gern eine eigene Sicht auf ihre (oft stark eingeschränkte/begrenzte) Welt.)
      Aber genau da geht das "über den Tellerrand" schauen eigentlich auch gerade erst los.
      Anders gefragt: Gab es denn früher in den Geschichten oft Vergewaltigungen, Morde, Selbsttötungen und ähnliches und das vielleicht auch noch äußerst genau dargestellt? Könnte das nicht eine Sache sein, die sich doch sehr verändert hat (in den letzten fünf, zehn oder fünfzig Jahren)? Und die Art _wie_ diese Dinge dargestellt werden: Könnte auch diese sich verändert haben? (Von einem Textarbeiter zum anderen gefragt.) Und weil ich leider sehr oft diese überzogenen Storys auf dem Tisch habe (auch privat), schreibe ich ja oben, verstehe ich die Forderungen sehr gut. Aber sie sind hier einfach nicht das Problem.
      Weiterhin gibt es zahlreiche Studien, die aufzeigen, dass psychische Probleme in den letzten Jahren (vor allem auch in Deutschland) enorm zugenommen haben (und nicht, weil es weniger "stigmatisiert" wäre und damit nun öfter offiziell behandelt). Wäre auch das nicht ein Problem, das noch vor Triggerwarnungen anzugehen wäre?
      Ich schreibe ja, dass ich die Triggerwarnungen nur für ein Symptom, aber nicht eine Ursache und schon gar keine Lösung ansehe. Solange die Grundprobleme nicht angegangen werden, werden auch keine Triggerwarnungen oder Content Warnings helfen.
      Zudem schreibe ich auch und danke, Jo, dass Du mich darauf gebracht und es selbst so formuliert hast: Gute Bücher _müssen_ triggern, sonst sind sie das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden. Aber: Auf welche Art "triggert" es - und da sind wir wieder bei einer meiner Grundfragen. Die Qualität der Text hat sich stark verändert, nicht nur im Zuge, dass nun quasi jeder "irgendwas" schreiben und veröffentlichen kann, es aber nicht unbedingt sollte. Auch hier wird keine Triggerwarnung das eigentliche Problem lösen können, es bleibt ein Symptom.
      Das Thema also nur auf schlichte und immer gleiche Schlagworte (z.B. Zensur) herunterzubrechen, ist nicht nur fade, sondern auch am Thema vorbei. Das Thema, das in der Grundidee so nett klingt, ist nämlich ein riesengroßes. Es gab historisch gesehen viele nette, tolle Grundideen, die dann aber in der Umsetzung eher gewöhnungsbedürftig waren und das oft, weil nicht richtig nachgedacht oder "über den Tellerrand" geschaut wurde. Das können wir übrigens auch gerade in der aktuellen Politik beobachten, wo etwas schnell und damit leider nicht genau durchdacht durchgesetzt werden soll, weil es sich nett anhört und das uns aber alle eine Menge (nicht nur Geld) kosten wird.
      Was mich interessiert ist, ob Befürworter neben dem "wir helfen Menschen"-Gedanken noch weitere Optionen mit einbeziehen. Bisher wirkt es leider nicht so.

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  3. Ich finde es sehr gut, dass dieser Artikel erschienen ist. Tatsächlich wäre eine Dialog genau das richtige, denn bereits bei den Kommentaren hier sieht man, wie Begrifflichkeiten auftauchen und wieder verschwinden. Für mich sind Content Warnings war vollkommen anderes als Trigger und mit dieser Meinung stehe ich sicherlich nicht allein da.

    Zu den Triggerwarnungen habe ich die eigene Meinung auf meinem Blog veröffentlicht. So wie es momentan oft diskutiert wird, ist es eher populistisch denn nützlich.

    Erstaunt hat mich sehr, wie Federwelt gekuscht hatte, als Kritik an einem Artikel hierzu geäußert wurde. Diese Entwicklungen sind beunruhigend. Aber auch das nur meine Meinung.

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    1. Schön, dass Du mal wieder reinschaust :)
      Ich habe Deinen Text auch gelesen, war aber so entsetzt - ich bin danach erst einmal auf die online-Suche gegangen , weil ich das mit den Triggern für erledigt hielt -, dass ich nicht antworten konnte. Mir ging das Thema aber so im Kopf herum, dass der obige Text einfach rausmusste. Was ich neben einer anständigen Diskussion aber eben auch für wichtig halte ist, dass man sieht, dass es noch mehr Menschen gibt, die ähnlich denken, dass man nicht allein ist. Das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt.
      Ich danke für Deine Meinung! :)

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    2. Ich lese immer wieder rein, habe aber gerade wenig Zeit, um ausführlich zu kommentieren.
      Mir begegnet das Thema andauernd und es beschäftigt mich sehr. Auch andere Entwicklungen, die Kleinverlage und SP betreffen.
      Seltsame Zeiten.

      Lustig ist ja, dass es immer schwieriger wird, miteinander zu sprechen, obwohl es heute mehr Möglichkeiten zur Kommunikation gibt als früher. Auch das ist so ein Ding.

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    3. Umso schöner, wenn Du Dich reinmeldest. :)
      Lass uns das bei Gelegenheit vertiefen, das klingt, als könnte es mich interessieren.
      Ein Artikel über moderne Kommunikationsformen? Bin dabei ;-)

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  4. Woah, das ist ja mal ein ausführlicher Artikel!
    Im Großen und Ganzen bin auch kein Fan von Triggerwarnungen. Vor Allem weil ich sie nicht brauche. Ich lese gern Bücher, die mich fordern und die unbequem sind. Schwierige Themen können mich zwar auch aufwühlen, aber ich mag die Auseinandersetzung damit zuweilen sogar. Ich denke immer, dass Bücher für das Leben wappnen sollen und bei der Auseinandersetzung im echten Leben helfen können. Triggerwarnungen könnten mir von daher kaum egaler sein - ich halte sie für Spoiler und empfinde sie als nicht nötig. Außerdem weiß man oftmals welcher Natur ein Buch - und ist das dann überhaupt noch nötig eine solche Warnung auszusprechen?

    Was aber, wenn jemand eine traumatische Situation in seinem Leben verarbeiten muss und "noch nicht soweit ist"? Das kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen, dass das einen Menschen empfindlich treffen kann. An der Stelle möchte ich wiederum niemanden solche Warnungen verbieten. Sinnvoller fände ich es allerdings das so wie von der geschildert auf einer Webseite zu sammeln - da wo es nicht jeder sehen muss. Denn ich halte die Gruppe der Menschen, die Triggerwarnungen wirklich brauchen für einen kleinen Personenkreis.

    Davon mal abgesehen fiel mir dein Kommentar über das fernsehen auf. Zwar bin ich kein großer Free-TV-Schauer mehr, aber ich streame und netflixe viel. Es kann sein, dass das Programm zeitweilig oberflächlich ist. Aber ich denke da ist es wie mit allen Medien - es gibt solche und solche und dann gibts noch andere. Arte oder 3sat würde ich beispielsweise eher nicht als so beschreiben. Über Manga, die ich sehr gern lesen, wird auch gesagt, dass sie grell und doof sind. Solche gibt es. Aber es gibt auch mindestens genauso viele andere, die nicht doof oder grell sind. Und es gibt auch genug Bücher, die zumindest ich oberflächlich finde, worüber andere empört wären.

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    1. Hi und schön, dass Du mal wieder reinschaust :)
      Ja, is lang, ne? Leider scheint es, als sei es mir trotzdem nicht gelungen, meine Meinung insgesamt rüberzubringen, wir verharren leider immer noch in den gleichen Bahnen.
      Im Prinzip ist es mir auch "egal", ob vorn beim Impressum noch drei Sätze mehr stehen, die meisten Normalleser nehmen dieses nämlich oft nicht einmal wahr, erst wenn man sie darauf aufmerksam macht. Und so schwer, das zu überblättern ist es auch nicht, wenn man nicht gespoilert werden will.
      Doch damit geht es ja erst los. An dem Thema hängt noch sehr, sehr viel mehr dran. Dazu ist es aber auch notwendig, sich generell mit Büchern und vor allem deren "Herstellung", alle Abläufe in einem Verlag (und damit ist nicht Lektorat oder Cover gemeint) zu vergegenwärtigen. Ich denke nicht, dass das auf die meisten der oft sehr jungen Befürworter zutrifft. Und weg vom Individuum hin zur gesamtgesell. Auswirkung bewegt sich auch kaum jemand. Aber das gehört nun einmal alles dazu. Wäre das Thema ein Buch, wäre es leicht zu schreiben: "Die Grundidee ist super, die Umsetzung ... na ja." Und das ist eben das, was mich stört. Und jeder, der dagegen ist, will nur, dass andere Menschen leiden - jedenfalls zwischen den Zeilen gelesen. Auf so einer Basis kann man nicht diskutieren. Siehe auch dazu meine letzte Antwort zu Ney.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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