Samstag, 19. September 2020

(Rezension: gesammelt) Von einer schönen neuen Welt und schlechten Feministen

Schöne neue Welt – Aldous Huxley (Tausch)
1932 erschien eines der größten utopischen Bücher des 20. Jahrhunderts: ein heimtückisch verführerischer Aufriss unserer Zukunft, in der das Glück verabreicht wird wie eine Droge. Sex und Konsum fegen alle Bedenken hinweg und Reproduktionsfabriken haben das Fortpflanzungsproblem gelöst. Es ist die beste aller Welten – bis einer hinter die Kulissen schaut und einen Abgrund aus Arroganz und Bosheit entdeckt.

Durch Tausch bin ich offenbar in den Genuss der älteren Übersetzung gekommen, die tatsächlich in der Anschaffung überlegt sein will, da mit den veränderten neueren Begrifflichkeiten auch Unverständnis die Zeilen durchzieht. Leider war der Roman bei mir keine Schullektüre und den Missstand des Nichtkennens wollte ich nun beheben. Der Autor hat sehr treffend etwas erkannt, das vielen heute noch weit entfernt scheint, obwohl es quasi schon vor oder gar in der Tür steht. Das ist im Übrigen auch ihm selbst klargeworden und dazu verliert er einige Worte im Vorwort. Und natürlich gibt es einen Nachfolger „Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt“, in dem er in zwölf Essays die wichtigsten Themen noch einmal vertieft.

Die Erzählung ist schnell gelesen und atmet geradezu die Zeit, in der sie entstanden ist, aus. Nichtdestotrotz ist sie sehr vorausschauend; der Autor besitzt eine sehr gute Beobachtungsgabe. Seine Gegenüberstellung von Moderne und Vergangenem ist vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß, aber genau deswegen eben doch gerade. Wir sind alle das Produkt unserer Umwelt und deshalb ist es so wichtig zu hinterfragen, was/wer uns formt (und wie und warum). Wenn einer das verstanden hat, dann Huxley. Mir selbst fiel dabei einer meiner Blogtexte ein, der hier (Link) zu finden ist.
Das von der Gesellschaft isolierte Individuum ohne nennenswerte Beziehungen, das alles, sogar die Reproduktion, abgibt und nur noch arbeitet und konsumiert. Damit es glücklicher ist, wird es von seiner Historie und „neuen Erkenntnissen in Kultur und Wissenschaft“ abgekoppelt und mit Drogen ruhiggestellt. So gesehen ist die Tür vielleicht schon eingetreten worden. Oder? In jedem Fall wäre es spannend zu sehen, wie dieser Roman vielleicht eines Tages „bereinigt“ wird, da das Frauenbild aus heutiger Sicht antiquiert erscheint und es hin und wieder nicht frei von Rassismus ist.  Damit hätte sich Huxley aber wirklich selbst überholt. Und alle, denen das auch nur vage durch den Kopf gegangen sein mag: Lest „Schöne neue Welt“ noch mal ganz langsam. Lesen, nicht konsumieren. Danke.


Bad Feminst – Roxane Gay (Tausch)
Leider liebt sie Rapmusik, das Frauenbild: grauenvoll. Leider liest sie sehr gerne Fashion-Magazine, das Frauenbild: ebenfalls erschreckend. Und ihre Lieblingsfarbe ist leider: pink. In einer Zeit, in der Barack Obama sich als Feminist bezeichnet und sogar Modeimperien den Schriftzug in großer Zahl auf T-Shirts drucken, wahrscheinlich keine gute Idee. Feminismus ist chic geworden und angekommen in der Popkultur. Aber was kann guter Feminismus heute wirklich sein? In ihrem hochgelobten Essayband sprengt Roxane Gay das ideologische Korsett eines guten und starren Feminismus und erklärt sich selbst ironisch zum Bad Feminist – stimmgewaltig, bestechend klug und fern jeder Ideologie unterzieht sie unsere Gegenwart einer kritischen Analyse und zeigt, wie man alles auf einmal sein kann: eine der bedeutendsten Feministinnen der Gegenwart und dabei definitiv nicht perfekt.

Ein Buch, das im Original hohe Wellen geschlagen hat, an mir bis vor Kurzem vorbeigegangen ist. Als ich es in einer Tauschbörse fand, konnte ich nicht lange mit dem Lesen warten. Die Autorin hat verschiedene Essays zum Oberthema „Feminismus“ in Themenpaketen geschrieben: Ich, Gender&Sexualität, Race&Entertainment, Politik, Gender&Race, Zurück zu mir. Im Prinzip habe ich das auch alles sehr gern gelesen. Wünschenswert wäre ein tieferes Eintauchen gewesen. Manchmal war es inhaltlich und/oder sprachlich sehr einfach verfasst, so dass wichtige Themen leider sehr oberflächlich abgehandelt wurden. Leider ist es auch nötig, sich in der (amerikanischen) Buch-, Song- und Filmwelt näher auszukennen, sonst müssen ganze Essays oder große Abschnitte darin überblättert werden. Zusammengefasst: Die Zielgruppe ist mir zu jung angesetzt; von einer Autorin, die rund mein Alter haben muss, hätte ich mehr erwartet. Zudem heißt das Buch „Bad“, da hätte es vermutlich mehr Ansatzpunkte gegeben, die noch kritischer zu betrachten gewesen wären. Aber es runterzubrechen auf „niemand muss perfekt sein, man darf pink mögen und auch Rapmusik“ ist mir zu banal. Trotzdem ist es auch ein sehr persönliches, biografisch gehaltenes Buch; sehr mutig, das alles mit dem Leser zu teilen. Insgesamt gern gelesen, wenn auch einige Seiten unheimlich stocken. Die Übersetzung war gewiss nicht ganz einfach, so wird das Wort „race“ nicht übersetzt und auch andere Begriffe sind insofern schwierig, als dass sie aus einem kulturell-historisch anderen Kontext rüberschwappen. Es wäre vielleicht zu überlegen, ob wichtige Begrifflichkeiten nicht an die Neuzeit angepasst werden können und sollten – immerhin sind mehrere Generationen vergangen, zudem ist es komplizierter als es sein müsste, eben diese Begrifflichkeiten schlicht regional zu versetzen, ohne die damit verbundenen veränderten Prinzipien und Normen zu beachten (was sowohl für Feminismus, als auch Rassismus (uvm.) gilt). Aber das geht über dieses Werk hinaus, das zur Vollständigkeit halber gelesen werden sollte.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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