Samstag, 17. Juni 2023

(Buchempfehlungen zum 70. Gedenken) 17. Juni 1953

 

Wer erinnert sich an dieses Datum oder hat generell schon einmal davon gehört? Laut diverser Medien dieser Tage kennt es nur jeder zweite in Deutschland. Das ist schade.
Da Bücherwürmer sich einem Thema gern literarisch nähern, habe ich eine lose Auswahl an Büchern diverser Gattungen zusammengestellt, die sich mit diesen wenigen Tagen beschäftigen. Schon die Klappentexte erzählen ganz viel davon.

 

 


Zweierlei Grün - Marita Rock
Die Zeit des Kalten Krieges. Deutschland ist zwischen den vier Siegermächten aufgeteilt. In Berlin prallen die Systeme aufeinander. Berlin ist Frontstadt und Schaufenster. Die Bevölkerung versucht, das alltägliche Leben zu meistern.
Die Unruhen 1953 polarisieren die Berliner mehr als je zu vor.
So auch die Familien Riemer und Fichte. Beide Familien werden zerreißen, ein Teil geht in den Westen, der andere bleibt in Ost-Berlin. Dazwischen steht Marie Christine Riemer, die nicht wählen darf, weil sie noch ein Kind ist. Als 1961 die Mauer errichtet wird, als sichtbares Fanal der Teilung, ist die Trennung endgültig.
Der Zwiespalt spitzt sich für Christine Riemer im Laufe der Jahre zu, sie sucht ihren Weg, sie sucht ihr individuelles Glück. Sie schwankt zwischen Anpassung und Ungehorsam, Gehen oder Bleiben.

 


Die Plebejer proben den Aufstand: Ein deutsches Trauerspiel - Günter Grass
Am 17. Juni 1953 gingen die Bauarbeiter der Berliner Stalinallee auf die Straße, um gegen unzumutbare Normerhöhungen zu demonstrieren. So begann ein spontaner Aufstand aus konkretem Anlass, der manchem Intellektuellen nicht durchdacht genug erschien. In "Die Plebejer proben den Aufstand", der wichtigsten Theaterarbeit von Günter Grass, geht es um Macht und Ohnmacht, um Hochmütige und Kleinmütige, um Panzer und Steinewerfer - Themen, die nichts von ihrer Brisanz verloren haben.

 


Der Tag X - Titus Müller
Das Leben der Gymnasiastin Nelly Findeisen wird mit jedem Tag komplizierter. Es reicht nicht, dass sie ihren Vater, der vor sieben Jahren nach Russland abkommandiert wurde, nie mehr sieht, auch ihre Mutter wird ihr zusehends fremder. Hinzu kommt ihr Engagement in einer kirchlichen Jugendorganisation, was im Frühjahr 1953 zum Rauswurf aus der Schule führt. Trost könnte sie bei dem jungen Uhrmacher Wolf Uhlitz finden, der sich in sie verliebt hat. Er will ihr helfen, legt sich dafür sogar mit seinem Vater an, entwendet staatliche Dokumente und landet im Gefängnis. Was Wolf nur vage ahnt: Die junge Nelly steht in einer geheimnisvollen Verbindung mit einem russischen Spion namens Ilja, der sie mit Nachrichten über ihren verschleppten Vater versorgt und den Austausch von Briefen mit ihm vermittelt. Wie Wolf träumt auch Ilja von einem Leben mit Nelly – aber als sich in Berlin und Halle die Unzufriedenheit mit dem Regime in Massendemonstrationen entlädt, hängt ihrer aller Leben an seidenen Fäden.
Titus Müller erzählt eindringlich und packend vom Leben der Aufbegehrenden und entfaltet authentisch und detailgenau das Panorama eines Aufstandes, der beispielhaft wurde.

 


Fünf Tage im Juni - Stefan Heym
Am Sonnabend, dem 13. Juni, um 14 Uhr sagte Bangartz: 'Entweder du hältst dich an die Parteibeschlüsse Genosse Witte, oder du ziehst die Konsequenzen. So einfach ist das.' Bangartz und Witte, Parteifunktionär der eine und Gewerkschaftler der andere, sind Gegenspieler in einem spannenden Drama, das sich im Schicksal einzelner ebenso vollzieht wie im Zusammenstoß politischer Kräfte. Stefan Heym erzählt aus der Perspektive derer, die das Geschehen in den berühmten 5 Tagen im Juni 1953 in Berlin mitgetragen und mitverantwortet haben, und benutzt dafür unter Beifügung authentischer Dokumente die Form von Stundenprotokollen, die den Leser die Vorgänge bis zum Abend des 17. Juni miterleben lassen.

 


Sommergewitter - Erich Loest
Ein großer Roman über den Volksaufstand 1953: Mit »Sommergewitter« aus dem Jahr 2005 widmet Erich Loest dem Volksaufstand von 1953 einen großen und den ersten überzeugend realistischen Roman. Er schildert die Schicksale unterschiedlichster Menschen während des 17. Juni. Er erzählt von Mutigen und Mitläufern, Nachdenklichen und Nachbetern. Sie geraten mitten hinein in die Ereignisse dieses historischen Tages, an dem eine unbedachte Äußerung, eine leichtsinnige Unterschrift, ein übermütiger Auftritt über Knast oder Karriere entscheidet.

 


Die Streikbrecherzentrale. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und der 17. Juni 1953 - Manfred Wilke
"Generalstreik" forderten am 16. Juni 1953 die Bauarbeiter in Berlin als Antwort auf die Gesprächsverweigerung der SED-Führung über die Lohnsenkung ("Normenerhöhung"). Doch nicht der FDGB verhinderte den Generalstreik sondern der Ausnahmezustand der sowjetischen Besatzungsmacht. Deren Vorgehen wird in den erstmals veröffentlichten 17 Telegrammen des sowjetischen Hohen Kommissars an die Moskauer Regierung dokumentiert. Das Buch zeigt Rolle und Bedeutung des FDGB bei der Niederschlagung der Streiks seiner eigenen Mitglieder. Der FDGB erfüllte seine Pflicht: Streiks in den Betrieben verhindern und Rädelsführer festnehmen.

 


17. Juni 1953: Der unterdrückte Volksaufstand. Seine Vor- und Nachgeschichte -  Michael Gehler, Rolf Steininger
»Der 17. Juni 1953 ist ein Schlüsselereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Hunderttausende DDR-Bürger lehnten sich damals gegen das SED-Regime auf – vergebens. Sowjetische Panzer walzten den Aufstand nieder und retteten Walter Ulbricht und seine Genossen. Insofern war dieser 17. Juni eine unvollendete Revolution, allerdings mit Langzeitwirkung. Er wurde das Trauma der SED-Führung; seither saß ihr die Angst vor der eigenen Bevölkerung im Nacken und bestimmte weitgehend ihre Politik, die letztlich in den Untergang führte – trotz Mauer und Stasi. Als 1989 die Menschen erneut auf die Straße gingen, blieben die sowjetischen Panzer in den Kasernen. Das Schicksal der DDR war besiegelt. Die Autoren, ausgewiesene Kenner der deutschen Zeitgeschichte, haben sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Zwei ihrer bisherigen Arbeiten werden hier – aktualisiert und erweitert – vorgelegt. Michael Gehler vertritt die These, dass das Scheitern des Aufstandes allen Gegnern eines Kompromisses zwischen Ost und West nützte und jenen half, die an der Erhaltung ihrer Positionen und am Status quo interessiert waren: Dass der Westen das »keep the Germans down« durch seinen Gegner besorgen ließ und in Berlin zusah, wie dies geschah, ist im Fall des 17. Juni der Machiavellismus des »roll back« gewesen. Tatsächlich wurde mit Blick auf die kommunistische und deutsche Gefahr »doppelte Eindämmung« praktiziert. Rolf Steininger stellt die Thesen in Form von Fragen zur Diskussion, ob der 17. Juni der Anfang vom langen Ende der DDR war und ob die DDR nicht von ihrem Ende her zu deuten ist. Ergänzt wird der Band um eine Reihe noch unveröffentlichter Dokumente und Erinnerungen prominenter Zeitzeugen.

 


Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 - Edda Ahrberg u. a.
Zufällig Erschossene, willkürlich von sowjetischen Militärtribunalen Hingerichtete, nach DDR-Recht zum Tode durch die "Fallschwertmaschine" Verurteilte, Erschlagene: Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mit ihrem bis heute oft unbekannten Schicksal werden in diesem Band vorgestellt.
Den Allermeisten wurde ein normales Begräbnis im Familienkreis verweigert (mit Ausnahme der getöteten Polizisten und der in Westberlin Beigesetzten). Sie wurden totgeschwiegen und so noch einmal getötet. Vor dem Hintergrund der Propagandathese vom "faschistischen Putsch" wagte bis 1989 nahezu keiner der Hinterbliebenen in der DDR, über diesen Teil der eigenen Familiengeschichte zu sprechen.
Wo der Tod damals Lücken riss, werfen heute die Portraits der Getöteten Schlaglichter auf Zustände und Verhaltensweisen, die ein eindrückliches Gesamtbild ergeben von einer Zeit des Verschweigens und Verdrängens, die in besonderer Weise bis in die Gegenwart reicht.

 

 

Wer sich ein wenig intensiver mit dem Thema beschäftigt, wird schnell merken, dass es um mehr geht als russische Panzer, die den Aufstand blutig niedergeschlagen haben. Um sehr viel mehr. Interessant ist auch, wie sich Bürger und Funktionäre damals jeweils äußerten. Vergleicht man dies mit heutigen Aussagen zu heutigen Vorgängen, könnte, ja sollte, man aufhorchen. Denn wer die (eigene) Historie nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Und wer weiß, vielleicht begreifen wir heute doch noch den Mut und die Kraft, der hinter diesem Volksaufstand gestanden haben müssen.

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

Um die Übersicht über Kommentare zu behalten und Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar, IP-Adresse und Zeitstempel Ihres Kommentars. Sie können Ihre Kommentare später jederzeit wieder löschen. Detaillierte Informationen finden Sie unter "Datenschutz" oben unter dem Header. Wer keine Datenübertragung wünscht, hat die Möglichkeit, einen anonymisierten Kommentar zu hinterlassen. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden.