Neandertaler lebten mehrere Jahrhunderttausende vor uns auf diesem Planeten und haben in unseren Genen Spuren hinterlassen. Aber wie lebten sie?
Titel: Der verkannte Mensch: Ein neuer Blick auf Leben, Liebe und Kunst der Neandertaler
Autorin: Rebecca Wragg Sykes
Originaltitel: Kindred. Neanderthal life, love, death and art
Verlag: Goldmann
ISBN: 978-3442316564
Euro: 24,00
Veröffentlichungsdatum: April 2022
Seiten: 512
Serie: nein
Come in: Tausch
Inhalt/Klappentext
Gewalttätige Muskelprotze, die in eisiger
Einöde ein trostloses Leben fristeten und schließlich zugunsten des modernen
Homo sapiens für immer verschwanden: Obwohl wir heute wissen, dass wir den
Neandertalern auch genetisch näher stehen als lange angenommen, hält sich das
Bild vom unkultivierten Urmenschen in unseren Köpfen.
Die britische Archäologin Rebecca Wragg Sykes
hat aktuelle Forschungsergebnisse ausgewertet und wagt mit diesem Buch einen
neuen Blick auf das Leben unserer unterschätzten Verwandten. Einfühlsam und
poetisch zeichnet sie das faszinierende Bild der Neandertaler als kluge Kenner
ihrer Welt – technologisch erfinderisch, ökologisch anpassungsfähig,
ausgestattet mit einem ästhetischen Sinn und hoch entwickelten sozialen
Fähigkeiten. Die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit unseren alten
Verwandten, die über 300.000 Jahre lang auf dieser Welt lebten und dabei
extremen klimatischen Umwälzungen trotzten, lohnt im Zeitalter globaler
Pandemien und Umweltkatastrophen mehr denn je. Eine verblüffende Lektüre, die
uns Demut lehrt und unseren Ursprüngen näherbringt. Mit stimmungsvollen
Zeichnungen und informativem vierfarbigen Bildteil.
Meinung
Wer sich noch nie mit Archäologie und/oder dem Neandertaler beschäftigt hat, könnte ein wenig überfordert sein, denn Wragg Sykes greift absolut jeden Aspekt auf, der am Leben unserer Fast-Vorfahren beteiligt war. Dabei gibt es ebenfalls für im Forschungsfeld Stehende neue Erkenntnisse zu gewinnen und das macht dieses Buch zu einem Gewinn. Was teilweise nur aus einem Fingerknöchelchen oder Zähnen abzulesen ist, erstaunt. Dabei ist die Zeitbestimmung sehr wichtig. Einige zentrale Erkenntnisse sind leider verloren gegangen, da erste Funde zu einer Zeit gemacht wurden, als bestimmte Forschungsmethoden noch gar nicht erfunden waren. Zudem haben viele Hobbyforscher wahllos in Höhlen herumgebuddelt. Doch auch diese alten Funde werden nun aufgearbeitet und unterstützen die neueren. Erstaunlich, dass alte Speere aus Holz über zweihunderttausend Jahre (!) so gut erhalten blieben, dass man sagen kann, aus welchem Holz und mit welchen Verzierungen sie gefertigt wurden. Offenbar sammelten Neandertaler auch Muscheln und Federn, die bemalt und an der Kleidung befestigt wurden. Umgehauen hat mich, obwohl es auf der Hand liegt, dass Neandertaler wohl auch einen Teller, von der Größe zwischen Frühstücks- und Speiseteller angesiedelt, verwendet haben.
Die Kalorien, die ein Neandertaler benötigte, waren mehr als beim Homo Sapiens und daher waren sie wohl ständig auf der Jagd. Erlegen, zerlegen, ausnehmen – ein wichtiger Teil ihres Lebens. Und ihres Todes, denn auch ihre Verstorbenen weisen Spuren des Zerlegens auf. Welche Weltsicht, welcher Glauben sich dahinter verbirgt, kann heute leider nicht mehr gesagt werden, interessant, dass da etwas gewesen sein muss, ist es allemal.
Auch eine starke und andauernde Klimaveränderung musste der Neandertaler aushalten, was Auswirkungen auf sein Leben gehabt hat. Wenn sich die Baumgrenzen verändern, der Lebensraum der Tiere, so dass sich diese zurück- oder weiterziehen. Das Wetter, unbestreitbar. Und gelebt hat der Neandertaler wohl nicht dauerhaft in Höhlen, sondern draußen, auch wenn das leider etwas sprunghaft geschildert wurde, so dass ich es leider nicht ganz verstanden habe. Sinn macht es allemal, wenn nur ein Feuer in einer Höhle für eine giftige Rauchentwicklung sorgt und es brannten dort stets mehrere.
Vor etwa vierzigtausend Jahren verliert sich die Spur des Neandertalers, was genau passiert ist, kann die Forschung heute noch nicht sagen. Um das auszudrücken, benötigt die Autorin aber leider viele, viele und teilweise auch inhaltsleere Seiten. Immerhin, es könnte viele Ursachen haben, denn auch der Homo Sapiens war inzwischen in den Ursprungsgebieten des Neandertalers angekommen und es hat nachweislich eine Vermischung stattgefunden, sogar Aborigines in Australien besitzen Neandertalergene.
Am Ende gibt es knapp fünfzig Seiten, die mir persönlich zu viel waren und die ich als unnötig ansehe, da sie nichts mit dem Neandertaler zu tun haben, sondern größtenteils die Ansichten der Autorin zu unserer modernen Welt und unseren modernen Herausforderungen beinhalten.
Dennoch handelt es sich bei „Der verkannte Mensch“ um ein sehr unterhaltsam geschriebenes, sehr wissenschaftliches Buch über den Neandertaler und den neusten Stand der Forschung. Gerne gelesen und weiterempfohlen.
Die britische Archäologin Rebecca Wragg Sykes war schon als Kind von den Neandertalern fasziniert. Neben ihrer Forschungstätigkeit ist ihr sehr an der Wissenschaftskommunikation gelegen. Sie publiziert in Printmedien wie The Guardian und The New York Times und spricht in Wissenschaftssendungen über ihre Arbeit. Außerdem ist sie Mitbegründerin des TrowelBlazers Projekts, das sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Archäologie und den Geowissenschaften einsetzt. Der verkannte Mensch ist ihr erstes Buch, für das sie 2021 mit dem renommierten Hessell-Tiltman-Geschichtspreis ausgezeichnet wurde.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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