Autorin:
Nina Böhmer
Originaltitel
Verlag:
HarperCollins
ISBN:
978-3749900923
Euro:
10,00
Veröffentlichungsdatum:
Juli 2020
Seiten:
208
Serie:
nein
Come
in: vom Verlag
Inhalt/Klappentext
Nina Böhmer arbeitet in der Pflege, seit sie
sechzehn ist. Ihr Beruf macht ihr großen Spaß. Eigentlich. Doch als sich
während der Corona-Krise die ohnehin schlechten Arbeitsbedingungen für die
Pflegekräfte noch mal verschärfen, platzt ihr der Kragen. Auf Facebook
veröffentlicht sie eine Wutbotschaft, in der sie erklärt, warum sie viele
Entscheidungen der Politik nicht nachvollziehen kann und warum sie es irgendwie
als Hohn empfindet, wenn ihr auf einmal Applaus von Balkonen entgegenschallt. –
Wo war der eigentlich vorher? Und wieso war er so schnell wieder vorbei?
Nina Böhmer nimmt uns mit an die Front ihres
Berufsalltags und bringt es auf den Punkt: Profitabilität darf nicht der
alleinige Maßstab unseres Gesundheitssystems sein. Es muss um die bestmögliche
Behandlung der Patienten und zugleich um die Menschen gehen, die sich von
Berufs wegen um Kranke und Pflegebedürftige kümmern. Es geht in ihrem Buch aber
auch um Sexismus am Arbeitsplatz, um kaum haltbare Bedingungen während der
Ausbildung, die Nonstop-Belastung im Alltag und Bürokratie im Job sowie um das
Modell des ‚Leasings‘ von Pflegekräften.
Meinung
Nina Böhmer ist
Krankenschwester, keine Autorin. Diesen Aspekt muss sich der Leser vor Augen
halten, ehe er zu diesem Buch greift, denn die Autorin, die ohne Ghostwriter
gearbeitet hat, schreibt, wie sie vermutlich auch spricht: salopp, leger und
manchmal etwas unüberlegt. Daher klingt es nicht sehr geschliffen, wenn sie von
eigenen Erfahrungen berichtet und sicher auch oft recht polemisierend. Aber
genau das macht auch den Reiz des Buches aus; jemand aus dem Krisengebiet, der
mit eigener, unverstellter Stimme spricht.
Dabei beginnt Böhmer zunächst,
von ihrem eigenen Werdegang im Pflegebereich zu erzählen. Ihr Entschluss,
Krankenschwester zu werden, ist schon früh herangereift, allerdings werden ihr
mehrere Steine in den Weg gelegt. So gibt es vor einigen Jahren noch höhere
Zugangsvoraussetzungen, in etwa ein gewisser Bildungsabschluss (Abitur), um zur
Ausbildung zugelassen zu werden. Persönlich war ich immer für diesen, schon
allein, weil die Schüler dann auch etwas älter und (hoffentlich) emotional
reifer sind. Böhmer nimmt zunächst einen kleinen Umweg, wird Sozialassistentin,
ehe sie zur Ausbildung zugelassen wird. Ihren Partner findet sie in England,
wohin sie nun öfter einmal reist. Im Dezember 2019 erfährt sie das erste Mal
von dem neuartigen Virus und dann geschieht erst einmal gar nichts und
schließlich alles Schlag auf Schlag. Dadurch entstehen sehr viele Widersprüche,
die gerade für das Pflegepersonal nicht die besten Voraussetzungen schafft. Im
März 2020 macht sich Böhmer in einem Facebook-Eintrag Luft, den sie
versehentlich nicht auf privat, sondern öffentlich stellt. Schnell geht er
viral, Böhmer erhält viele Anfragen, auch aus den Medien und viel Zuspruch, vor
allem von anderen Krankenschwestern.
Schließlich greift die Autorin
verschiedene Aspekte aus dem Pflegeberuf auf, sowohl aus ihrer Ausbildung als
auch aus ihrem Alltag. Sie arbeitet inzwischen in Leiharbeit im Pflegeheim(en)
und findet das auch gar nicht so schlecht, da sie so gewissen Schichtdienst
vermeiden und mehr freie Tage erhalten kann. Außerdem kommt sie etwas herum und
kann sich hier und da noch etwas abgucken und dazulernen. Als Angehörige eines ehemaligen
Heimbewohners kann ich ihren Enthusiasmus leider nicht ganz teilen. Für Pfleger
ist es sicher angenehmer, aber bestimmte Krankheiten setzen einfach eine
Bezugspflege voraus und wenn die Pfleger immer wechseln, ist diese schlicht
nicht gegeben.
Böhmer greift noch mehr
Aspekte auf, den täglichen Sexismus, die Bezahlung, den Alltag. Als selbst im
Beruf tätig gewesen, habe ich entsetzt gelesen, dass sich in knapp fünfzehn
Jahren offenbar nichts geändert hat. Als Böhmer dann zu berichten weiß, wie
alle vor Corona gezittert haben, aber dennoch in die Krankenhäuser kamen, um
dort alles wegzufinden, was nicht niet- und nagelfest war (sogar das
Toilettenpapier aus der Besuchertoilette), war ich an ähnliche Vorfälle
erinnert. Auch bei uns ist damals einiges von Station verschwunden, sogar
Handtücher, Cremes, Handschuhe … es musste alles weggeschlossen werden, bis es
irgendwann aufhörte.
Böhmer übt einige Kritik an
der Politik der Regierung, allen voran Herrn Spahn. Das mal so gelistet zu
lesen, ist tatsächlich erschreckend und vermutlich zu überlegen, ob da nicht
rechtliche Schritte gefragt wären. Sie behält sich frei heraus vor, kritisch
sein zu dürfen und vor allem gewisse Fragen zu stellen, ohne dafür an einen
Pranger (und das geht heute leider wahnsinnig schnell) gestellt zu werden.
Bleibt zu hoffen, dass noch mehr Betroffene so direkt werden.
Nach der Lektüre von „Wuhan Diary: Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ schrieb ich in der Rezension: „Persönlich
bin ich sehr gespannt, ob sich an und in unserem Gesundheitssystem etwas ändern
wird, das seit Jahren kaputtgespart wurde. Allerdings sollten wir uns alle an
die Nase fassen, denn die Anzeichen waren da, es riefen genug Pflegepersonal,
Hebammen und Sanitäter öffentlich nach Unterstützung – und erfuhren kaum
welche. Ich hoffe sehr, dass die Öffentlichkeit nun genug sensibilisiert ist
und sich nicht wieder mit Allgemeinplätzen abspeisen lässt.“ Bisher lässt sich
dahingehend noch recht wenig erkennen, aber noch ist nicht aller Tage Abend.
Darum möchte ich Nina Böhmer selbst die letzten Worte dieser Meinung zum Buch
sprechen lassen:
„(…) Und euer Klatschen könnt ihr euch sonst wohin stecken, ehrlich
gesagt … Tut mir leid, es so zu sagen, aber wenn ihr helfen wollt oder zeigen
wollt, wie viel wir wert sind, dann helft uns, für bessere Bedingungen zu
kämpfen!“ (Seite 24)
Nina
Böhmer, Jahrgang
1992, ist in Brandenburg geboren und aufgewachsen. Nach der Schule machte sie
ihren Abschluss als staatlich anerkannte Sozialassistentin, arbeitet danach für
einen Pflegedienst und begann 2012 ihre Ausbildung zur Gesundheits- und
Krankenpflegerin. Seitdem arbeitet sie in Berliner Krankenhäusern. Nina Böhmer
wusste schon als Kind, dass sie einmal einen Beruf ausüben wollte, mit dem sie
Menschen hilft. Heute wünscht sie sich nichts mehr, als dass der Staat sich
stärker für das Gesundheitssystem und ihren Berufsstand einsetzt. Einer
breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde sie durch ihre Wutbotschaft »Euren
Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken«, die sie am 23. März 2020 auf
Facebook postete.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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