Autorin:
Huw Lewis-Jones (Hrsg.)
Originaltitel:
The Writer's Map: An Atlas of Imaginary Lands
Verlag: wbg
Theiss
ISBN: 978-3806239317
Euro: 34,00
Veröffentlichungsdatum:
Juni 2019
Seiten: 256
Serie: nein
Come in:
vorablesen
Meinung
Es
ist äußerst selten, dass ich nur die Inhaltsangabe eines Werkes lese und danach
weiß, dass ich es haben muss. Aber genau so erging es mir bei Huw Lewis-Jones’
„Verrückt nach Karten“.
Das
immerhin einunddreißig Zentimeter hohe und recht schwere Buch ist vor allem für
Fantasyleser und Fans von fiktiven Karten geeignet. Es schadet indes nicht,
ebenfalls über gutes Allgemeinwissen zu verfügen und literarisch bewandert zu
sein.
Lewis-Jones
hat eine in Wort und Bild künstlerische Anthologie herausgegeben, in der er
verschiedene Leute aus dem engen und weiten Umkreis der Phantastik zu Wort
kommen lässt. Diese befassen sich mit ihrem jeweiligen Teilgebiet der
(fiktiven) Karte und erzählen in der Ich-Form neben erstaunlichen und
lehrreichen Informationen auch Anekdoten aus ihrem eigenen Leben.
Dabei
wurde das Buch wie folgt aufgeteilt:
Prolog
Teil
eins – Täuschend echt
Teil
zwei – Literarische Karten
Teil
drei – Karten erstellen
Teil
vier – Karten lesen
Epilog
Philip
Pullman („Der Goldene Kompass“) erzählt etwas zu seiner Figur Adelaide, die im
vierten Band der Sally-Lockhart-Bücher vom armen Straßenmädchen zur Prinzessin
wird. Dazu erdachte er ein fiktives kleines Land in Europa. „Mein Wunsch war ein
kleines Königreich, eingeklemmt zwischen Böhmen und … irgendwas neben Böhmen:
Preußen vielleicht.“ Die Hauptstadt Eschtenburg zeichnete er schließlich auf
Papier – sie ist selbstverständlich ganzseitig enthalten. Aber Pullman hat noch
mehr zu erzählen, über seine Werke und über Karten.
Auch
der Herausgeber selbst hat zur Tastatur gegriffen und über seine Leidenschaft
zu Karten erzählt. Seine erste zeichnete er mit acht Jahren, als er sich im Zoo
verlaufen hatte. Er nimmt Bezug zu vielen Klassikern des Genres, die gelesen zu
haben nicht schadet. Es ist ein weiter Umriss, der viele Details beinhaltet –
die zumindest ich teilweise noch nicht kannte. Es folgt ein historischer
Abriss, der schließlich in aktuell sehr bekannten Fantasygeschichten – die alle
über Karten verfügen – mündet.
Cressida
Cowell („Drachenzähmen leicht gemacht“) berichtet von ihren Anfängen rund um
Karten, erzählt viel zu Peter Pan (und Nimmerland!) und dass Mary Shepard die
Mary-Poppins-Bücher von Pamela L. Travers illustriert hat. Überhaupt ist ihr
die Erwähnung von Autorinnen und Künstlerinnen sehr wichtig. „Karten helfen,
imaginäre Orte real zu machen. Je mehr Details Sie in Ihre schöne Täuschung
stecken und je mehr Sie diese auf wahre Dinge stützen, desto lebensechter wird
sie, für Sie selbst und für Ihre Leser. (…) Sobald ich also eine Karte von Berk
gezeichnet habe, weiß ich genau, wie lange es dauert, um vom Raufbold-Dorf zum
Hafen zu gelangen, und ich kann diesen Zeitraum stimmig in Hicks Welt
einpassen. Je stärker die Fantasie in Zeit und Raum verankert ist, desto
glaubwürdiger ist sie.“
Es
folgen lesenswerte Worte über ihre eigenen Werke und ihre eigenen gezeichneten
Karten.
Robert
MacFarlane („Karte der Wildnis“) hat sehr viel über Karten zu erzählen – leider
sind die meisten seiner Bücher noch nicht übersetzt worden, was sich aber bald
ändern wird. „Die Schatzinsel“, ein Buch, das jeder kennen dürfte, nahm ihren
Anfang, als ihr Autor eine Karte für ein gelangweiltes Kind gezeichnet hatte. Der
Autor erzählt über Kartografie, über Details von Karten und ihren Aufbau, auch
weltweit, denn nicht alle Karten wurden immer gleich angelegt.
Francis
Hardinge („Der Lügenbaum“) ergreift wie ihre Vorgänger die Chance von den ersten
Karten ihres Lebens zu berichten. Aber nur ein einziges ihrer eigenen Werke
enthält eine Karte: „Gullstruck Island“. Ihre Verleger meinten, eine Karte zu
dieser tropischen „eigenartigen“ Insel wäre schön; solch eine zu zeichnen, will
aber gelernt sein. Was einfach klingt, ist es für gewöhnlich nicht.
Joanne
Harris („Feuervolk“) nimmt starken Bezug zu den nordischen Karten, der Welt der
Wikinger rund um die Weltenesche Yggdrasil und die Götter, die einst verehrt
wurden.
David
Mitchell („Der Wolkenatlas“) erzählt ebenfalls über seine Anfänge, die zur
Faszination von Karten und Karten zeichnen führte. Es werden Bilder aus seinen
Notizbüchern begleitend gezeigt.
Kiran
Millwood Hargrave („The Cartographer's Daughter“), die es leider noch nicht in
die deutsche Übersetzung geschafft hat, schreibt vornehmlich Kinderbücher. Auch
sie hat ihre Leidenschaft fürs Genre über Karten erfahren. „Egal auf welcher
Karte, vom Hundert-Morgen-Wald bis Erdsee, der Scheibenwelt bis Hogwarts, von
Smith bis Kircher, ich stelle mich stets ins Zentrum. Bei jeder Geschichte sind
Sie immer selbst der einzige Fixpunkt, und deshalb machen Karten die meisten
Bücher besser.“
Piers
Torday („Die große Wildnis“), der einen großen Hang zu Natur und Tieren
besitzt, wollte unbedingt eine Karte in seinem ersten Buch. Der Verleger
wünschte sich eine vom Autor gezeichnete; nicht einfach, wenn man Karten stets
nur angesehen, aber noch nie selbst umgesetzt hat. Die handgemalten Versuche
sind in dieser Kartenanthologie enthalten.
Helen
Moss („Adventure Island“), die es leider ebenfalls noch nicht in die deutsche
Übersetzung geschafft hat, erzählt unter anderem, dass ihre liebste Frage von
Kindern bei Lesungen die wäre, ob es ihre fiktive Insel wirklich gebe, weil das
alles so echt wirke. Nicht zuletzt wegen der Karte.
Abi
Elphinstone („The Dreamsnatcher“), die sich auch als Legasthenikerin auf
Visuelles stützen muss, erzählt von ihrer Herangehensweise an Karten und
Geschichten. „Eine Fantasy-Karte zu zeichnen ist, als würde man einen Kontinent
herbeizaubern, den bislang niemand gefunden hat.“
Miraphora
Minas Handschrift als Grafikdesignerin zieht sich durch alle Harry-Potter-Filme
quer durch alle Arten von Druck- und Merchandise-Produkten. Sie erzählt, wie es
dazu kam, dass sie fünfzehn Jahre am Potter-Projekt mitwirken konnte. „Das
Allererste, das ich schuf, war der Brief, mit dem Harry nach Hogwarts gebeten
wird.“ Und danach folgte noch eine ganze Menge. Was und wie sie es umgesetzt
hat, davon erzählt die Künstlerin.
Daniel
Reeve bekannt „durch seine Kalligrafie und Kartografie in den Filmreihen Der Herr der Ringe und Der kleine Hobbit“ weiß viele Anekdoten
auf seinem Weg zur perfekten Karte zu berichten.
Reif
Larsen („Die Karte meiner Träume“) ist wie alle anderen von Karten fasziniert.
Russ
Nicholson hat als Grafiker an vielen Fantasywerken künstlerisch mitgewirkt, in
etwa Spielbüchern. Darüber berichtet er.
Isabel
Greenberg („Die Enzyklopädie der Frühen Erde“) hat eine Graphic Novel rund um
Karten erdacht, was eine kleine zusätzliche Herausforderung darstellt.
Roland
Chambers („Nelly und die abenteuerliche Suche nach Kapitän Wellenflieger“) bringt
es mit dem letzten Satz auf den Punkt: „Denn was ist das Leben anderes als eine
Schatzsuche?“
Coralie
Bickford-Smith, Autorin und Buchgestalterin, fragt sich, wie man einen guten
Text auch optisch aufwerten kann. Im englischen Original hat sie vielen
Klassikern ein neues Äußeres verpasst, wovon sie in ihrem Beitrag erzählt.
Peter
Firmin, Künstler, Autor und Puppenmacher, ist vor allem für sein Wirken für
Fernsehsendungen bekannt geworden.
Lev
Grossman („Fillory“) ist der Erste, der in Teil vier des Buchs zum Karten lesen
Stellung nimmt und das sehr unterhaltsam. Es werden sich einige ältere Fans des
Genres wiedererkennen.
Sandi
Toksvig, Autorin und Moderatorin, hat sich das Thema Frauen und Karten – viele alte und berühmte Karten stammen aus
Frauenhand – herausgesucht und eine sehr geistreiche Abhandlung darüber
verfasst.
Brian
Selznick („Die Entdeckung des Hugo Cabret“) erzählt davon, wie seine Freude an
Karten durch alte Filme erwacht ist und wie es ihn schließlich zum
Illustrator-Dasein inspirierte.
Chris
Ridell („Ada von Goth“) schreibt „Bücher sind Portale“ und beginnt damit einen
wunderbaren Text über seine Anfänge im Lesen und bibliophil werden.
Ich
bin von „Verrückt nach Karten“ absolut hingerissen. Wenn ich etwas kritisieren
sollte, dann wäre es eher ein Wunsch: Die kurzen Biografien sollten direkt
unter Titel und Autor zu finden sein, denn es macht mehr Spaß, wenn man weiß,
wer gerade erzählt – und nicht alle Namen sind jedem Leser geläufig. Zudem habe
ich in einer anderen Meinung zum Buch gelesen, man hätte nicht herausfinden
können, wer die Ich-Stimme sei; das liegt natürlich nicht unbedingt am Buch
selbst, aber es würde klarer ersichtlich sein, wer gerade neu erzählt.
Es
ist ein sehr persönliches Buch, die mitwirkenden Autoren erzählen Episoden aus
ihren eigenen Leben, mal mehr mal weniger persönlich. Alle wurden als Kind von
Büchern inspiriert, von Klassikern, von Filmen. Oft waren es Abenteuer- oder
Kinderbücher, die schließlich dazu führten, dass wir heute über eine große und
breit angelegte Phantasik-Welt verfügen können.
An
„Verrückt nach Karten: Geniale Geschichten von fantastischen Ländern“ stimmt
einfach alles, sogar an eine besondere, extravagante Typografie wurde gedacht.
Aus rechtlichen Gründen ist es leider nicht gestattet, Bilder aus dem Werk zu
zeigen, aber im Internet kursieren doch ein paar. Wer noch eine
Entscheidungshilfe zur Anschaffung benötigt, sollte sie sich ansehen. Ein Werk,
das nicht ganz preiswert ist, zugegeben, aber trotzdem in keinem Regal fehlen
sollte.
Huw Lewis-Jones ist
promovierter Historiker und forscht über Entdeckungsgeschichte, Literatur,
Fotografie und Umwelt. Der preisgekrönte Autor hat einen PhD der Universität
von Cambridge und war Kurator am Scott Polar Research Institute, Cambridge, und
am National Maritime Museum, London.
Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht,
die mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt sind.
Wenn er sich nicht gerade mit dem
Schreiben von Büchern oder der Planung internationaler Ausstellungen
beschäftigt ist, verbringt er den Großteil seiner Zeit mit Expeditionen und
arbeitet als Naturforscher. Er lebt in Cornwall in einem vom Meer umtosten
Haus, dessen Wände mit Karten tapeziert sind.
Ich fand das Buch auch ganz toll - in so vielen der Anekdoten habe ich meine eigenen Erfahrungen mit Karten wiedergefunden. Grafisch ist das Buch auch wunderbar, daher hat sich der Preis dafür auf jeden Fall gelohnt. Ärgerlich war nur, dass - kurz nachdem ich mir die englische Version gekauft hatte - wir in der Arbeit ein Rezensionsexemplar der deutschen Übersetzung angeboten bekamen ... %-)
AntwortenLöschenBei den Biografien stimme ich dir zu. Mir ist es beim Lesen nicht direkt aufgefallen, aber das hätte in der Tat das Leseerlebnis noch verbessert.
Für Bücherliebhaber und dann aus besagtem Genre ein Muss, oder? :)
LöschenAber das ist doch gut, wenn Du dann beide Ausgaben hast. Ich frage mich oft, ob und wenn ja wie sich die verschiedenen Ausgaben (außer Cover) unterscheiden. Aber gut ja, das Geld ...
Mir ging das mit den Biografien auch erst zum Schluss auf, als ich eben jene gelesen habe. :)
Nein, ich habe nur die englische Ausgabe, weil wir das Rezensionsexemplar abgelehnt haben. Thematisch hätte es nicht zum Rezensieren für unsere Fachzeitschrift gepasst und ich war die einzige, die persönlich daran Interesse gehabt hätte, aber hatte es ja schon.
LöschenSchade. Aber Hauptsache dabei. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass sich die Übersetzung so großartig unterscheidet. Ich glaube nur, mein Englisch wäre nicht gut genug für die meisten der Texte. Wenn das aber passt, steht dem Lesevergnügen nichts im Weg! :)
LöschenUi, das klingt toll. Meine Buchhandlung hat es wohl auch vorrätig - da gucke ich morgen mal rein. ;)
AntwortenLöschenSuper! Sag Bescheid, wie es Dir gefallen hat!
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