Dienstag, 13. August 2019

Verrückt nach Karten: Geniale Geschichten von fantastischen Ländern - Huw Lewis-Jones (Hrsg.)


Titel: Verrückt nach Karten: Geniale Geschichten von fantastischen Ländern.
Autorin: Huw Lewis-Jones (Hrsg.)
Originaltitel: The Writer's Map: An Atlas of Imaginary Lands
Verlag: wbg Theiss
ISBN: 978-3806239317
Euro: 34,00
Veröffentlichungsdatum: Juni 2019
Seiten: 256
Serie: nein
Come in: vorablesen









Meinung
Es ist äußerst selten, dass ich nur die Inhaltsangabe eines Werkes lese und danach weiß, dass ich es haben muss. Aber genau so erging es mir bei Huw Lewis-Jones’ „Verrückt nach Karten“.
Das immerhin einunddreißig Zentimeter hohe und recht schwere Buch ist vor allem für Fantasyleser und Fans von fiktiven Karten geeignet. Es schadet indes nicht, ebenfalls über gutes Allgemeinwissen zu verfügen und literarisch bewandert zu sein.
Lewis-Jones hat eine in Wort und Bild künstlerische Anthologie herausgegeben, in der er verschiedene Leute aus dem engen und weiten Umkreis der Phantastik zu Wort kommen lässt. Diese befassen sich mit ihrem jeweiligen Teilgebiet der (fiktiven) Karte und erzählen in der Ich-Form neben erstaunlichen und lehrreichen Informationen auch Anekdoten aus ihrem eigenen Leben.
Dabei wurde das Buch wie folgt aufgeteilt:
Prolog
Teil eins – Täuschend echt
Teil zwei – Literarische Karten
Teil drei – Karten erstellen
Teil vier – Karten lesen
Epilog

Philip Pullman („Der Goldene Kompass“) erzählt etwas zu seiner Figur Adelaide, die im vierten Band der Sally-Lockhart-Bücher vom armen Straßenmädchen zur Prinzessin wird. Dazu erdachte er ein fiktives kleines Land in Europa. „Mein Wunsch war ein kleines Königreich, eingeklemmt zwischen Böhmen und … irgendwas neben Böhmen: Preußen vielleicht.“ Die Hauptstadt Eschtenburg zeichnete er schließlich auf Papier – sie ist selbstverständlich ganzseitig enthalten. Aber Pullman hat noch mehr zu erzählen, über seine Werke und über Karten.
Auch der Herausgeber selbst hat zur Tastatur gegriffen und über seine Leidenschaft zu Karten erzählt. Seine erste zeichnete er mit acht Jahren, als er sich im Zoo verlaufen hatte. Er nimmt Bezug zu vielen Klassikern des Genres, die gelesen zu haben nicht schadet. Es ist ein weiter Umriss, der viele Details beinhaltet – die zumindest ich teilweise noch nicht kannte. Es folgt ein historischer Abriss, der schließlich in aktuell sehr bekannten Fantasygeschichten – die alle über Karten verfügen – mündet.
Cressida Cowell („Drachenzähmen leicht gemacht“) berichtet von ihren Anfängen rund um Karten, erzählt viel zu Peter Pan (und Nimmerland!) und dass Mary Shepard die Mary-Poppins-Bücher von Pamela L. Travers illustriert hat. Überhaupt ist ihr die Erwähnung von Autorinnen und Künstlerinnen sehr wichtig. „Karten helfen, imaginäre Orte real zu machen. Je mehr Details Sie in Ihre schöne Täuschung stecken und je mehr Sie diese auf wahre Dinge stützen, desto lebensechter wird sie, für Sie selbst und für Ihre Leser. (…) Sobald ich also eine Karte von Berk gezeichnet habe, weiß ich genau, wie lange es dauert, um vom Raufbold-Dorf zum Hafen zu gelangen, und ich kann diesen Zeitraum stimmig in Hicks Welt einpassen. Je stärker die Fantasie in Zeit und Raum verankert ist, desto glaubwürdiger ist sie.“
Es folgen lesenswerte Worte über ihre eigenen Werke und ihre eigenen gezeichneten Karten.
Robert MacFarlane („Karte der Wildnis“) hat sehr viel über Karten zu erzählen – leider sind die meisten seiner Bücher noch nicht übersetzt worden, was sich aber bald ändern wird. „Die Schatzinsel“, ein Buch, das jeder kennen dürfte, nahm ihren Anfang, als ihr Autor eine Karte für ein gelangweiltes Kind gezeichnet hatte. Der Autor erzählt über Kartografie, über Details von Karten und ihren Aufbau, auch weltweit, denn nicht alle Karten wurden immer gleich angelegt.
Francis Hardinge („Der Lügenbaum“) ergreift wie ihre Vorgänger die Chance von den ersten Karten ihres Lebens zu berichten. Aber nur ein einziges ihrer eigenen Werke enthält eine Karte: „Gullstruck Island“. Ihre Verleger meinten, eine Karte zu dieser tropischen „eigenartigen“ Insel wäre schön; solch eine zu zeichnen, will aber gelernt sein. Was einfach klingt, ist es für gewöhnlich nicht.
Joanne Harris („Feuervolk“) nimmt starken Bezug zu den nordischen Karten, der Welt der Wikinger rund um die Weltenesche Yggdrasil und die Götter, die einst verehrt wurden.
David Mitchell („Der Wolkenatlas“) erzählt ebenfalls über seine Anfänge, die zur Faszination von Karten und Karten zeichnen führte. Es werden Bilder aus seinen Notizbüchern begleitend gezeigt.
Kiran Millwood Hargrave („The Cartographer's Daughter“), die es leider noch nicht in die deutsche Übersetzung geschafft hat, schreibt vornehmlich Kinderbücher. Auch sie hat ihre Leidenschaft fürs Genre über Karten erfahren. „Egal auf welcher Karte, vom Hundert-Morgen-Wald bis Erdsee, der Scheibenwelt bis Hogwarts, von Smith bis Kircher, ich stelle mich stets ins Zentrum. Bei jeder Geschichte sind Sie immer selbst der einzige Fixpunkt, und deshalb machen Karten die meisten Bücher besser.“
Piers Torday („Die große Wildnis“), der einen großen Hang zu Natur und Tieren besitzt, wollte unbedingt eine Karte in seinem ersten Buch. Der Verleger wünschte sich eine vom Autor gezeichnete; nicht einfach, wenn man Karten stets nur angesehen, aber noch nie selbst umgesetzt hat. Die handgemalten Versuche sind in dieser Kartenanthologie enthalten.
Helen Moss („Adventure Island“), die es leider ebenfalls noch nicht in die deutsche Übersetzung geschafft hat, erzählt unter anderem, dass ihre liebste Frage von Kindern bei Lesungen die wäre, ob es ihre fiktive Insel wirklich gebe, weil das alles so echt wirke. Nicht zuletzt wegen der Karte.
Abi Elphinstone („The Dreamsnatcher“), die sich auch als Legasthenikerin auf Visuelles stützen muss, erzählt von ihrer Herangehensweise an Karten und Geschichten. „Eine Fantasy-Karte zu zeichnen ist, als würde man einen Kontinent herbeizaubern, den bislang niemand gefunden hat.“
Miraphora Minas Handschrift als Grafikdesignerin zieht sich durch alle Harry-Potter-Filme quer durch alle Arten von Druck- und Merchandise-Produkten. Sie erzählt, wie es dazu kam, dass sie fünfzehn Jahre am Potter-Projekt mitwirken konnte. „Das Allererste, das ich schuf, war der Brief, mit dem Harry nach Hogwarts gebeten wird.“ Und danach folgte noch eine ganze Menge. Was und wie sie es umgesetzt hat, davon erzählt die Künstlerin.
Daniel Reeve bekannt „durch seine Kalligrafie und Kartografie in den Filmreihen Der Herr der Ringe und Der kleine Hobbit“ weiß viele Anekdoten auf seinem Weg zur perfekten Karte zu berichten.
Reif Larsen („Die Karte meiner Träume“) ist wie alle anderen von Karten fasziniert.
Russ Nicholson hat als Grafiker an vielen Fantasywerken künstlerisch mitgewirkt, in etwa Spielbüchern. Darüber berichtet er.
Isabel Greenberg („Die Enzyklopädie der Frühen Erde“) hat eine Graphic Novel rund um Karten erdacht, was eine kleine zusätzliche Herausforderung darstellt.
Roland Chambers („Nelly und die abenteuerliche Suche nach Kapitän Wellenflieger“) bringt es mit dem letzten Satz auf den Punkt: „Denn was ist das Leben anderes als eine Schatzsuche?“
Coralie Bickford-Smith, Autorin und Buchgestalterin, fragt sich, wie man einen guten Text auch optisch aufwerten kann. Im englischen Original hat sie vielen Klassikern ein neues Äußeres verpasst, wovon sie in ihrem Beitrag erzählt.
Peter Firmin, Künstler, Autor und Puppenmacher, ist vor allem für sein Wirken für Fernsehsendungen bekannt geworden.
Lev Grossman („Fillory“) ist der Erste, der in Teil vier des Buchs zum Karten lesen Stellung nimmt und das sehr unterhaltsam. Es werden sich einige ältere Fans des Genres wiedererkennen.
Sandi Toksvig, Autorin und Moderatorin, hat sich das Thema Frauen und Karten – viele alte und berühmte Karten stammen aus Frauenhand – herausgesucht und eine sehr geistreiche Abhandlung darüber verfasst.
Brian Selznick („Die Entdeckung des Hugo Cabret“) erzählt davon, wie seine Freude an Karten durch alte Filme erwacht ist und wie es ihn schließlich zum Illustrator-Dasein inspirierte.
Chris Ridell („Ada von Goth“) schreibt „Bücher sind Portale“ und beginnt damit einen wunderbaren Text über seine Anfänge im Lesen und bibliophil werden.

Ich bin von „Verrückt nach Karten“ absolut hingerissen. Wenn ich etwas kritisieren sollte, dann wäre es eher ein Wunsch: Die kurzen Biografien sollten direkt unter Titel und Autor zu finden sein, denn es macht mehr Spaß, wenn man weiß, wer gerade erzählt – und nicht alle Namen sind jedem Leser geläufig. Zudem habe ich in einer anderen Meinung zum Buch gelesen, man hätte nicht herausfinden können, wer die Ich-Stimme sei; das liegt natürlich nicht unbedingt am Buch selbst, aber es würde klarer ersichtlich sein, wer gerade neu erzählt.
Es ist ein sehr persönliches Buch, die mitwirkenden Autoren erzählen Episoden aus ihren eigenen Leben, mal mehr mal weniger persönlich. Alle wurden als Kind von Büchern inspiriert, von Klassikern, von Filmen. Oft waren es Abenteuer- oder Kinderbücher, die schließlich dazu führten, dass wir heute über eine große und breit angelegte Phantasik-Welt verfügen können.
An „Verrückt nach Karten: Geniale Geschichten von fantastischen Ländern“ stimmt einfach alles, sogar an eine besondere, extravagante Typografie wurde gedacht. Aus rechtlichen Gründen ist es leider nicht gestattet, Bilder aus dem Werk zu zeigen, aber im Internet kursieren doch ein paar. Wer noch eine Entscheidungshilfe zur Anschaffung benötigt, sollte sie sich ansehen. Ein Werk, das nicht ganz preiswert ist, zugegeben, aber trotzdem in keinem Regal fehlen sollte.


Huw Lewis-Jones ist promovierter Historiker und forscht über Entdeckungsgeschichte, Literatur, Fotografie und Umwelt. Der preisgekrönte Autor hat einen PhD der Universität von Cambridge und war Kurator am Scott Polar Research Institute, Cambridge, und am National Maritime Museum, London.
Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, die mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt sind.
Wenn er sich nicht gerade mit dem Schreiben von Büchern oder der Planung internationaler Ausstellungen beschäftigt ist, verbringt er den Großteil seiner Zeit mit Expeditionen und arbeitet als Naturforscher. Er lebt in Cornwall in einem vom Meer umtosten Haus, dessen Wände mit Karten tapeziert sind.



6 Kommentare:

  1. Ich fand das Buch auch ganz toll - in so vielen der Anekdoten habe ich meine eigenen Erfahrungen mit Karten wiedergefunden. Grafisch ist das Buch auch wunderbar, daher hat sich der Preis dafür auf jeden Fall gelohnt. Ärgerlich war nur, dass - kurz nachdem ich mir die englische Version gekauft hatte - wir in der Arbeit ein Rezensionsexemplar der deutschen Übersetzung angeboten bekamen ... %-)

    Bei den Biografien stimme ich dir zu. Mir ist es beim Lesen nicht direkt aufgefallen, aber das hätte in der Tat das Leseerlebnis noch verbessert.

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    1. Für Bücherliebhaber und dann aus besagtem Genre ein Muss, oder? :)
      Aber das ist doch gut, wenn Du dann beide Ausgaben hast. Ich frage mich oft, ob und wenn ja wie sich die verschiedenen Ausgaben (außer Cover) unterscheiden. Aber gut ja, das Geld ...
      Mir ging das mit den Biografien auch erst zum Schluss auf, als ich eben jene gelesen habe. :)

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    2. Nein, ich habe nur die englische Ausgabe, weil wir das Rezensionsexemplar abgelehnt haben. Thematisch hätte es nicht zum Rezensieren für unsere Fachzeitschrift gepasst und ich war die einzige, die persönlich daran Interesse gehabt hätte, aber hatte es ja schon.

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    3. Schade. Aber Hauptsache dabei. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass sich die Übersetzung so großartig unterscheidet. Ich glaube nur, mein Englisch wäre nicht gut genug für die meisten der Texte. Wenn das aber passt, steht dem Lesevergnügen nichts im Weg! :)

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  2. Ui, das klingt toll. Meine Buchhandlung hat es wohl auch vorrätig - da gucke ich morgen mal rein. ;)

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    1. Super! Sag Bescheid, wie es Dir gefallen hat!

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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