Unter dem Hashtag #metoo geben derzeit hunderttausende Frauen weltweit
zu, dass auch sie bereits Opfer einer mal mehr mal weniger stark
ausgeprägten sexuellen Gewalt geworden sind. Auch wenn das in der
Filmfabrik Hollywood begann, werden inzwischen Fälle aus allen möglichen
Branchen, nicht zuletzt auch der Politik, bekannt. Neu ist das nicht
und gewusst hat es auch jeder - darüber zu sprechen und das Thema
aktuell auf den Tisch zu legen, schadet indes nicht. Die eigentliche
Problematik liegt jedoch völlig woanders. Denn warum
ist es denn möglich gewesen, dass sexuelle und/oder verbale Gewalt in
diesem Umfang noch immer möglich ist und zudem in den meisten Fällen
stillschweigend geduldet wird? Die Antwort ist einfach, wenn auch nicht
gern gehört: Die Entscheidungsgewalt und damit Macht liegt fast
ausschließlich in männlicher Hand. Frauen sind zwar prinzipiell in allen
Branchen möglich, ihre Aufstiegschancen aber oft nur ein schlechter
Witz. Da, wo es etwas zu entscheiden gibt, da wird kaum eine Frau zu
finden sein. Frauen verdienen oft nach wie vor weniger als Männer,
Frauen sind nie so stark von Altersarmut gefährdet gewesen wie heute ...
Die alten Strukturen haben sich festgefahren, sie zu durchbrechen ist
kaum zu schaffen. Gelingt es dann einmal, ist das Geschrei groß, ganz
besonders, wenn eine weibliche Person in ein eher männlich besetztes
Ressort vorgedrungen ist. Als in etwa Claudia Neumann 2016 (!) ein
Fußballspiel kommentierte, waren sie und ihre (auch männlichen) Kollegen
über die Reaktionen in den sozialen Medien erschüttert, wohlgemerkt
trotz der Tatsache, dass sie auf genau diese vorbereitet gewesen seien.
Es
sind eben manchmal tatsächlich nur kleine Dinge, die wir mehrheitlich
für selbstverständlich halten und die wir deswegen auch nicht
hinterfragen - bis sie sich verändern.
Als ich mich nach längerer
Zeit mal wieder näher mit Hörbüchern befassen wollte und daraufhin die
lange Liste an entsprechender hörbarer Fantasyliteratur durchscrollte,
fiel mir eines schnell auf: Fantasy wird nicht von weiblichen Sprechern
gelesen. Jedenfalls nicht, solange es sich nicht um Jugendbücher oder
Romantasy oder eben etwas mit erkennbarem weiblichen Stempel handelt. Die meisten Sprecherinnen lesen Frauenunterhaltung,
Kinderbuch oder historische Romane.
Irritierend dabei ist, dass
selbst Geschichten von Autorinnen, wie in etwa J.K. Rowling, Cornelia
Funke, Robin Hobb, Cassandra Clare, Mary Shelley oder V. E. Schwab von
männlichen Sprechern vorgelesen werden. Sehr bekannte Werke im Genre von
Autoren wie z.B. George R. R. Martin, Anthony Ryan, Peter V. Brett, Jim
Butcher oder Dmitry Glukhovsky werden ausschließlich von männlichen
Sprechern gelesen.
Einzig Trudi Canavan, Genevieve Cogman, Juliet
Marillier, Alison Croggon, Marion Zimmer Bradley oder Vonda N. McIntyre
werden von Sprecherinnen vorgestellt. Wer allerdings im Fantasygenre
etwas bewandert ist, sieht vermutlich auf den ersten Blick weshalb.
Es
brauchte ein sehr genaues Auge und einige Zeit, um Werke männlicher
Autoren gesprochen von einer Sprecherin zu finden: Martin Alexanders
"Die Chimäre", Christoph Marzis "Somnia", zwei Kurzgeschichten von
Stephen King, Autoren einer Reihe, in der auch Frauen mitschreiben.
Warum
ist das so? Was qualifiziert einen männlichen Sprecher mehr als einen
weiblichen? Welchen Unterschied macht das Genre bei Hörbüchern aus, wenn
es darum geht, einen Mann oder eine Frau als Sprecher auszuwählen?
Ausbildung
und Professionalität können es nicht sein, denn gerade bei den
bekanntesten Sprechern (die leider mehrheitlich männlich sind) sind
dahingehend kaum Qualitätsunterschiede auszumachen. Darum sind
vermutlich schlicht die alten und eingefahrenen Geschlechterstereotypen
schuld. Haben wir je darüber nachgedacht, wann uns, wo und in welcher
Situation eine männliche oder weibliche Stimme begegnet? Ob
beispielsweise in der Werbung nicht genau geplante
Entscheidungsstrategien hinter einer solchen Wahl stecken - und wie
diese wohl aussehen mögen? Eine kurze Recherche ergab, dass die Frage
nach dem Geschlecht der Stimme bereits seit Jahrzehnten im Raum steht,
gerade im Rundfunk- und Fernsehbereich. Da ist das bereits erwähnte
Beispiel um eine weibliche Fußballkommentatorin fast nur Pillepalle.
Was
verbinden wir mit Stimmen und damit letztendlich mit dem jeweils
dazugehörenden Geschlecht? Sind Männer tatsächlich integerer,
aussagestärker und glaubwürdiger? Frauen dagegen emphatischer,
gefühlvoller und tröstlicher?
Verlieren Fantasygeschichten an Reiz
und Wirkung, wenn sie von einer Frau eingesprochen werden? Werden sie
weich, unglaubhaft oder langweilig?
Die Antwort liegt auf der Hand und sie ist bitter: Das ist Alltagssexismus.
Also,
was qualifiziert nun eine professionelle Sprecherin für
Fantasyliteratur? Offenbar leider nichts, denn sie kann (und will) ihr
Geschlecht nicht ändern.
Und was qualifiziert uns, diese
eingefahrenen Strukturen mitzumachen? Genau. Darum ändern wir das am
besten so schnell wie möglich. #dasgroßegeschrei geht nämlich vorüber
und irgendwann hinterfragt niemand mehr, dass eine Frau die "harten"
Nachrichten wie Politik und Sport verliest - oder sie sogar macht. Nur
#einemussanfangen.
Mal davon abgesehen, dass ich dir zu den anderen Punkten im Beitrag uneingeschränkt zustimme, ist meine persönliche Erfahrung mit Hörbüchern aller Genres (auch Fantasy), dass das Geschlecht des Sprechers/der Sprecherin hauptsächlich von dem Geschlecht der Hauptperson/Hauptperspektive bestimmt wird - und das empfinde ich auch als sehr stimmig. Das Geschlecht des Autors/der Autorin wäre da für mich bei dieser Frage nicht entscheidend. Daher fand ich es beim Hören als passend, dass Harry Potter und The Name of the Wind von einem männlichen Sprecher gelesen wird; City of Bones und The Perilous Gard dagegen von einer weiblichen. Oft gibt es auch einen Spracher und eine Sprecherin, je nachdem, wer gerade die Perspektive hat (z.B. viele Romane von Maggie Stiefvater, "Gargoyle" von Andrew Davidson).
AntwortenLöschenMhm, liegt das Problem dann vielleicht noch mal ganz woanders?
LöschenMir ist das mit der Stimme neulich im Bus aufgefallen. Die Frauenstimme sagte mir wo ich bin und "bitte aussteigen", die Männerstimme erinnerte mich daran, dass ich mich bitte festhalten solle. Obwohl ich tatsächlich sehr zufällig auf das Thema gekommen bin, muss ich sagen, dass ich tatsächlich inzwischen verstärkt darauf achte.
Spannender Artikel, vor allem, da ich ja ein riesengroßer Hörbuchfan ist.
AntwortenLöschenDer immer und immer wieder betont, dass er (ist das eigentlich auch sexistisch?) weibliche Sprecherinnen bevorzugt.
Allerdings bekomme ich immer wieder gesagt - und zwar sowohl von Leuten von hinter den Kulissen, als auch aber vor allem von leidenschaftlichen Hörbuchhörern - dass sie männliche Sprecher bevorzugen und - noch krasser - mit weiblichen Sprechern einfach nicht warm werden.
Mich überrascht dabei immer wieder, dass diese Aussage überwiegend von weiblichen Hörbuchhörern kommt! Und wirklich kein Einzelfall ist. Das sind auch Leute, die es immer mal wieder mit weiblichen Sprechern probieren.
Mir hingegen geht es anders rum. Ich hör auch ab und an mal einen männlichen Sprecher, bin aber meist von den weiblichen mehr begeistert. (Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen).
Mit mein liebster Hörbuchsprecher überhaupt ist eine Frau: Tanja Geke.
Allerdings höre ich auch überwiegend englischsprachige Hörbücher, und da gibt's unglaublich viele von Frauen eingelesene.
Wobei ich das (subjektive) Gefühl habe, dass gerade im Thriller-Bereich auch auf Deutsch viel von Frauen eingelesen wird.(?)
Hi, schön, dass Du mal wieder reinschaust.
LöschenWie es mehrheitlich in anderen Genres ausschaut, kann ich leider nicht beurteilen. Mir ist es nur bei der Fantasyliteratur aufgefallen, da ich hier die Listen durchgegangen bin und einige Hörproben genossen habe. Dann habe ich auf die Sprecherinnennamen geklickt und da ist relativ eindeutig, was Frauen sprechen. Allerdings war das nur ein Anbieter, vielleicht ist es bei anderen ja anders?
Und ja, Sexismus funktioniert in beide Richtungen. ;-)
Mich interessiert momentan, was ich am Ende nur kurz angerissen habe: Wo begegnen uns Stimmen und warum haben sie das jeweilige Geschlecht? Hier mal anzusetzen, schadet sicher nicht.
Danke Dir für Deine Meinung! :)
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich diese #metoo-Geschichte in den sozialen Netzwerken sehr zwiegespalten gesehen habe. Tue ich immer noch.
AntwortenLöschenSelbstverständlich ist es gut, dass endlich offen darüber gesprochen wird, aber es ist nun nicht die große Entdeckung Amerikas. Wie sonst sind Begriffe wie Besetzungs-Couch entstanden. Die war sicherlich nicht zum Sitzen gedacht.
Zu den Hörbüchern: Ich muss ehrlich gestehen, dass mir männliche Stimmen als Erzähler und Vorleser einfach besser gefallen. Die meisten weiblichen Stimmen empfinde ich auf Dauer als sehr nervig, selbst die eigene Stimme auf de Mailbox ist ätzend. Was Qualifikation angeht, da gibt es sicherlich überhaupt keine Unterschiede. Ich habe schon Hörbücher abgebrochen, weil ich es grottenschlecht gelesen fand, meist von Männern. Hier muss ich also Darkstar zustimmen.
Ob das nun wirklich Alltagssexismus ist, weiß ich nicht. Wenn man die Medienlandschaft ansieht, so gibt es mittlerweile genauso viele Nachrichtensprecherinnen wie Nachrichtensprecher. Deswegen werden doch die News nicht unglaubwürdiger. Gleiches gilt für Radio. Das Argument lasse ich also auch für Fantasy nicht gelten.
Und wieder ein Thema für Kaffee ;-)
LöschenDie eigene Stimme ist immer ätzend, wenn ich meine auf dem AB höre, zucke ich immer zusammen. Allerdings nicht, weil sie weiblich ist, das ist mir ehrlich gesagt in diesem Fall sogar ganz recht. ;-)