Freitag, 20. Januar 2023

Weibliche Unsichtbarkeit: Wie alles begann - Marylène Patou-Mathis

 

Ein feministischer Blick in die Ur- und Frühgeschichte, der aber leider nicht sehr in die Tiefe geht und Objektivität vermissen lässt.

 

 


Titel: Weibliche Unsichtbarkeit: Wie alles begann
Autorin: Marylène Patou-Mathis
Originaltitel: L'homme préhistorique est aussi une femme. Une histoire de l'invisibilité des femmes
Verlag: Carl Hanser Verlag
ISBN:  978-3446271005
Euro: 24,00
Veröffentlichungsdatum: Oktober 2021
Seiten: 288
Serie: nein
Come in: Tausch

 

 

 

Inhalt/Klappentext
Wie Frauen die Geschichte prägten – und warum wir nichts davon wissen. Ein feministischer Blick auf die Urgeschichte
Über weite Strecken der Geschichte sind Frauen unsichtbar – erst recht in der Ur- und Frühgeschichte. Es sind Männer, die jagten, die Werkzeuge und Waffen erfanden, die Höhlenmalereien hinterließen und als Erfinder zivilisatorischer Errungenschaften gelten. Frauen, so das gängige Bild, hielten sich im Heim auf und damit: im Hintergrund. Marylène Patou-Mathis rückt dieses Bild gerade und zeigt: Es gibt keine Fakten, die diese Annahmen stützen. Neue archäologische Funde haben ergeben, dass prähistorische Frauen mitnichten das unterworfene Geschlecht waren, zu dem männliche Wissenschaftler der Neuzeit sie gemacht haben. Eine überfällige Analyse der weiblichen Unsichtbarkeit, die den Frauen zu ihrem rechtmäßigen Platz in der Geschichte verhilft.

 

 


Meinung

Ein Sachbuch, auf das ich mich sehr gefreut hatte und daher beinahe Geld dafür in die Hand genommen hätte. Ein glücklicher Zufall spielte es mir über eine Buchtauschbörse in die Hand. Ich hatte bereits vermutet, dass es im aktuellen Zeitgeist (Feminismus betreffend) geschrieben sein könnte. Dies allerdings so stark, dass es mich, wohlgemerkt als Frau, verärgert hat. Solch ein Buch muss objektiv verfasst werden (!), davon jedoch findet sich nichts. Deswegen kann leider auch meine Bewertung nur subjektiv ausfallen.

Das Buch erscheint „im Rahmen des Förderprogramms des französischen Außenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin.“ In Erwartung der Schilderung von Frauen(-leben) in der Ur- und Frühgeschichte, gab es zunächst einen langgezogen Exkurs in die Darstellung von Frauen von Männern der Historie. Das so ein Kapitel nicht fehlen darf, ist klar. Aber es ist so sprunghaft, schon allein zeitlich, und zudem so emotional aufgeladen, dass es Stehvermögen braucht, um durchzukommen. Wer sich mit dem Thema bereits auseinandergesetzt hat, findet keine neuen Erkenntnisse. Wer nicht, könnte verwirrt sein, da die Autorin zwar auf bekannte Namen zurückgreift, diese aber nicht jünger als knapp einhundert Jahre sind. Geordnet, einmal was die zeitliche Abfolge anbelangt, damit auch die Zeitalter oder auch was die Überlegungen an sich von Männern zu Frauen anbelangt (und damit eben auch jeweils warum), und weniger subjektiv (bei allem Verständnis) wäre es ein grandioser Einstieg ins Buch gewesen.

Es folgt ein eine Art Nennung von Frauen in der prähistorischen Zeit. Leider ohne stärkeren Bezug, ohne Bilder (im gesamten Buch gibt es kein einziges!) und ohne je irgendwo in die Tiefe zu gehen. Im Prinzip hätte ich mir Zettelchen daneben legen und Seiten markieren müssen, um die genannten Fundorte und Schaustücke später im Internet nachzuschlagen. Wünschenswert wäre es gewesen, sich ein Fundstück, sterbliche Überreste plus Beigaben, herauszusuchen und auf diese näher einzugehen. Stattdessen wird zwar gesagt, dass X am Ort Y gefunden wurde und bei Frauen oft Pferde als Bezug gelten (in etwa bei Höhlenmalereien), aber auch, wenn das für mich ein Erkenntnisgewinn war, ist es zu wenig. Später erfolgt in einem Nebensatz der Hinweis, dass viele Überreste keinem Geschlecht mehr zugewiesen werden können, da nicht genug DNA in den Knochen verblieben ist. Aber was genau heißt das, eben in Bezug zu Frauen und deren Interpretationen (von wem auch immer)? Solche Dinge fehlen komplett im ganzen Werk.

Auch was das Vorurteil, das mich persönlich seit meiner Teenagerzeit aufregt, nur Männer hätten die Höhlenmalereien angefertigt, ist die Autorin leider nicht in der Lage, dieses zu entkräften. Dabei erinnere ich mich gut an eine grandiose Dokumentation, die ich vor Jahren einmal sah, als französische Forscher (sic!) Männer eines afrikanischen Stammes, der berühmt für seine Fährtenlesekunst ist, nach Frankreich holten, da es versteinerte Fußspuren in einer Höhle gab. Diese stammten mutmaßlich aus prähistorischen Zeiten und konnten den Wandmalereien zugeordnet werden. Und es stellte sich heraus, dass einige Fußspuren von jungen Mädchen und Frauen, die etwas Schweres auf der Hüfte trugen (Kind, schwerer Korb) stammten. Außerdem konnte gesagt werden, dass einige von ihnen getanzt hätten. Wusste die Autorin nichts davon? Und was ist mit der bekannten „Lucy“? Hätte sich die Autorin also näher mit nur einem dieser Fundstücke befasst, statt stets nur einige zu nennen und zum nächsten überzugehen, wäre das wesentlich fundierter und der Sache dienlicher gewesen. An der Bronzezeit wird noch deutlicher, was meinen Unmut erregt. Die Autorin sagt kurz, dass einige reich bestückte Gräber von Frauen darauf hindeuten, dass sie Herrscherinnen gewesen sein könnten. Aber nicht, wie sie darauf kommt. Dies muss der geneigte Leser später selbst nachlesen, sofern er nicht bereits genau das getan hat.

Schließlich arbeitet sich die Autorin von der Antike zum Mittelalter vor, macht einen Sprung zur Renaissance bis hin zur neuen Zeit. Der ausführliche Anhang reicht von Seite 199 bis 286. Wie genau diese Kapitel was auch immer aufzeigen bei einer Gesamtseitenzahl von 288, muss wohl nicht ausgebreitet werden. Zudem dreht es sich erneut um die Frage, wie Männer Frauen verklärt haben. Leider findet sich kein positives Beispiel, als Überlegungen der anderen Art entstanden bzw. jene „Strömungen“, die bereits vorhanden waren, sich stärker ausbreiteten. So etwas verärgert mich von jeher sehr, da Frauen in der Historie der Menschheit eben nicht die unterdrückte Minderheit waren, die nie etwas geleistet hat. Genau das aufzuzeigen, sollte im Vordergrund stehen. Aber Autorinnen wie Marylène Patou-Mathis zeigen eben nicht die Stärke der Frauen durch die Jahrhunderte hinweg, sie zeigen Opfer – und das in jeder Hinsicht.

Ich bin nicht ganz sicher, ob ich einfach mit falschen Vorstellungen an das Buch herangegangen bin oder sich die Autorin nicht entscheiden konnte. Nicht, ob sie die falschen Vorstellungen von Männern in Bezug auf Frauen zeigen wollte oder nicht doch lieber diese Frauen aufzeigen und richtigstellen, besonders eben in Bezug zur Ur- und Frühgeschichte. Es ist ein bisschen von beidem drin, aber beides nicht tiefgehend genug, um Eindruck zu hinterlassen. Selbst als kleinen Überblick für Neueinsteiger kann ich das Buch leider nicht empfehlen, da es zu viel Vorwissen voraussetzt und andernfalls verwirrend sein könnte.

 

 

Marylène Patou-Mathis, geboren 1955, ist eine Ur- und Frühhistorikerin, die sich vor allem mit ihren Arbeiten zur Archäologie der Neandertaler einen Namen gemacht hat. Sie ist Directrice de Recherche am CNRS und leitet als solche auch die Abteilung für Ur- und Frühgeschichte des Muséum national d’histoire naturelle.

2 Kommentare:

  1. Schade, thematisch wirklich interessant, aber klingt für mich jetzt so, als hätte die Autorin entweder zu wenig historisches Wissen, keine Ahnung, wie man ein gutes Sachbuch schreibt und/oder einfach selektiv Frauen als Opfer darstellen wollen. In jedem Fall nicht das, was ich unter guter Recherche und Aufarbeitung verstehe.
    LG Alica

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Anonym21.1.23

      Ja, das dachte ich auch und war enttäuscht. Ich hoffe ja generell, dass wir irgendwann wieder zu mehr Objektivität zurückkehren können, denn die neuen Möglichkeiten geben so viel Raum für mehr.

      Löschen

Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

Um die Übersicht über Kommentare zu behalten und Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar, IP-Adresse und Zeitstempel Ihres Kommentars. Sie können Ihre Kommentare später jederzeit wieder löschen. Detaillierte Informationen finden Sie unter "Datenschutz" oben unter dem Header. Wer keine Datenübertragung wünscht, hat die Möglichkeit, einen anonymisierten Kommentar zu hinterlassen. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden.