Samstag, 11. Juni 2022

Die neue Wildnis - Diane Cook

 


Titel: Die neue Wildnis

Autorin: Diane Cook

Originaltitel: The New Wilderness

Verlag: Heyne

ISBN: 978-3453321588

Euro: 16,00

Veröffentlichungsdatum: Mai 2022

Seiten: 544

Serie: nein

Come in: vom Verlag

 

 

 

Inhalt
In einer Zukunft wohnen die meisten Menschen in einer überbevölkerten Stadt mit schlechter Luft und desolater Versorgung alltäglicher Güter. Nur eine Handvoll lebt in einem Naturschutzpark; ein wissenschaftliches Experiment, in dem das Überleben in der Wildnis untersucht werden soll und das bis an alle auszuhaltenden Grenzen geht. Bea hat sich einst zugunsten ihrer kleinen Tochter Agnes dazu entschlossen. Sechs Jahre und etliche Erfahrungen später stoßen neue Mitglieder zu ihnen und die Ranger, die das Experiment überwachen, setzen der Gruppe mehr zu als je zuvor. Es dauert nicht lange, bis klar wird, dass das Experiment abgebrochen werden soll. Aber niemand will zurück.

 


Meinung

Eine Geschichte, die es keinem Leser leicht machen wird und bei der äußerst schwer zu erkennen ist, was die Autorin damit eigentlich sagen möchte. Vermutlich liest jeder etwas anderes heraus, denn vom Beziehungsgeflecht der Charaktere her handelt es sich um eine äußerst komplexe Story, die nur ein aufmerksames Lesen verträgt.

Die äußere, „zivilisierte“ Welt kommt nur am Rande vor, entweder in Rückblicken oder einzelnen Stichworten. Die Luft ist so schlecht, dass Agnes Blut spukte und klar war, dass sie wohl nicht erwachsen werden würde. Also entschloss sich ihre Mutter Bea ihrem Mann, der nicht Agnes Vater ist, in ein spektakuläres Experiment zu folgen, das er selbst initiiert hat. Ein Leben, das aufs Äußerste getrieben wird, die Mitglieder kleiden sich sechs Jahre später in Felle, jagen mit Pfeil und Bogen, essen, was die Natur bietet und sind stetig auf der Suche nach Wasser. Hygiene ist meist nicht möglich. Etliche ursprüngliche Teilnehmer sind bereits ums Leben gekommen, einige wurden neu geboren. Es ist ein äußerst hartes Leben. Das wird bereits auf den ersten Seiten deutlich, als der Leser Bea kennenlernt, die gerade eine Fehlgeburt erleidet. Immerhin ist zu erkennen, dass es ein Mädchen geworden wäre. Mit solchen Dingen geht die Gruppe inzwischen anders um. Der Tod gehört zum Leben und es verbraucht nur wertvolle Ressourcen, lange zu trauern. Diese Sichtweise muss der Leser lernen auszuhalten, denn es wird etliche Unfälle geben.

Das Experiment wird von den Rangern des Naturschutzgebietes überwacht, die sich jedoch stark im Hintergrund halten. Sie überwachen, dass sich die Gruppe nicht zu lange an einem Fleck aufhält und nichts, auch keinen Mikromüll, zurücklässt. Die Gruppe trifft an Hütten auf Ranger, wird dort gewogen, untersucht und lässt Blut. Dann erhalten sie neue Anweisungen, die auch beinhalten, wohin sie als Nächstes gehen sollen, Mitspracherecht haben sie nicht.

Wer großartige Action erwartet, ist fehl am Platz. Die Geschichte ist vordergründig ruhig, es gibt keine spektakulären Ereignisse. In dieser Story geht es vor allem um die Menschen, ihre Beziehungen, ihre (inneren) Kämpfe innerhalb einer Gruppe, die aufeinander angewiesen ist. Es geht um ein kleines Mädchen, das in dieser harten Welt erwachsen werden muss, frühzeitig erwachsen wird und schließlich sogar eine Führungsrolle einnimmt. Die nicht immer einfache Mutter-Tochter-Beziehung. Die zwischen Männern und Frauen. Überlegungen, was geschieht, wenn die Gruppe getrennt oder neu zusammengesetzt wird. Bea ist dieses Leben nach sechs Jahren ziemlich leid und als ihre Mutter stirbt, setzt sie sich ab. Sie hält es jedoch nicht lange aus, nach einigen Monaten ist sie zurück – und sie kämpft. Um ihren Mann Glen und die Zuneigung ihrer Tochter, in erster Linie aber um deren Überleben, auch wenn das die Beziehung zum neuen Alphamännchen bedeutet.

Das Ende hält natürlich kein Happy End bereit, allerdings ist es auch recht abstrus gelungen. Ratlos kratzt sich der Leser am Kopf. Sympathische Charaktere gibt es kaum, denn niemand erhält Gelegenheit, sich zu beweisen, es sei denn im täglichen Überlebenskampf, aber der fordert eher Opfer. Hätte die Autorin das Leben in der Megacity stärker geschildert oder zumindest etwas näher gezeigt (nur eine Stadt, keine globale Welt vorhanden), könnte noch erraten werden, dass „Überleben in der Wildnis“ für alle Welten und Orte gilt, nur dass sich die „Wildnis“ unterscheidet, der Mensch dagegen stetig der gleiche bleibt. Der Gruppe zuzuschauen, wirkt oft wie eine Doku über Schimpansen. Nur das die Gruppe einst hochgebildete Menschen waren, alle mit Positionen an der Uni, die sie – in der Theorie, klar – für ein Leben im Nationalpark vorbereitet haben sollte. Obwohl sie eine Büchertasche mit sich herumtragen, die eigentlich nur unnützes Gewicht ist und mit das Letzte, das sie mit der alten Welt verbindet, hat die Wildnis bzw. die Welt, in der sie nun leben, sie zu neuen Menschen geformt. Die Anforderungen haben sich geändert, die Gruppe ist darauf eingestiegen, manche haben es überlebt, andere nicht.

Zunächst erzählt Bea die Geschichte der Gruppe, bis ihre Mutter stirbt und Agnes allein zurückbleibt, die dann die Erzählung übernimmt. Sie, die kein anderes Leben kennt und sich nicht erinnert, blickt aus anderen Augen auf das Leben vor Ort. Der Perspektivenwechsel ist spannend.

Was genau eigentlich studiert wird, bleibt bis zum Ende ungewiss. Wie das Experiment ausgeht ebenfalls. Ob überhaupt jemand die Ergebnisse ausgewertet hat auch. Nur die Neuen in der Gruppe geben Hinweise darauf, dass sich inzwischen viele für dieses Leben beworben haben, sei es auch nur, um ihrer Welt zu entfliehen. So bleibt im Prinzip alles, was sich nicht im Nationalpark befindet, eine schlichte graue Masse.

„Die neue Wildnis“ liest sich sehr gut weg und es gibt nur wenige Stellen, wo es sich etwas zieht. Der Roman wurde hervorragend recherchiert, was das Leben in freier Natur anbelangt ebenso, wie das Zusammenleben einer Gruppe, die weiß, dass sie am nächsten Tag sterben könnte. Die eigentliche Aussage ist nur leider viel zu schwammig. Wer gern intensiver liest, sollte reinschauen, wer eher Action und „Handlung“ braucht, besser nicht.

 

 

Diane Cook lebt mit ihrer Familie in Brooklyn, New York. Sie war Produzentin der Radiosendung »This American Life« und wurde 2016 mit einem Stipendium des National Endowment for the Arts ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Die neue Wildnis« war ein großer Erfolg und wurde 2020 für den Booker Prize nominiert.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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