Dienstag, 10. November 2020

Konsum - Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen - Carl Tillessen

 

Titel: Konsum
Autor: Carl Tillessen

Originaltitel: Must Have

Verlag: HarperCollins

ISBN: 978-3959673952

Euro: 15,00

Veröffentlichungsdatum: September 2020

Seiten: 224

Serie: nein

Come in: vom Verlag

 

 

 

 

Inhalt/Klappentext

Die Pandemie hat uns vorübergehend auf einen kalten Konsum-Entzug gesetzt. Doch sie hat uns nicht geheilt. Wir kaufen einfach immer weiter – auch Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen. Was treibt uns dazu? Und was verändert sich gerade?
Trendforscher Carl Tillessen nimmt uns mit hinter die Kulissen einer globalen Maschinerie, deren Erfolg vor allem auf Manipulation und Ausbeutung basiert. Stück für Stück seziert er die psychologischen Mechanismen, die bei uns immer wieder greifen – und schärft dabei unser Bewusstsein: für unsere eigentlichen Bedürfnisse, aber auch für die Bedingungen, unter denen unsere Smartphones und Sneaker entstehen. Denn der Preis, den die Natur und die Menschen in den Produktionsländern für unseren Hyperkonsum zahlen, ist hoch. Doch nie war die Chance, daran etwas zu ändern, so groß wie heute.

Meinung

Tillessen hat eines der besten Sachbücher geschrieben, die ich seit langer Zeit gelesen habe.

Wer Naomi Kleins „No Logo“ kennt, und das soll an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen sein, wird über den Beginn ein wenig erschrocken sein, weil sich ganz offenbar in mehr als zwanzig Jahren nichts geändert hat. Im Gegenteil, die Lage hat sich noch verschärft. Die Ungleichheit von Besitz existiert nicht nur in unserem Land, sie breitet sich unaufhörlich global aus. Globalisierung ist hierbei übrigens generell das Zauberwort (und kein gutes). Tillessen erwähnt keine Marken wie Klein es tut, er spricht von ganzen Industrien, in seinem Fall „Bekleidung“. Dass vor allem Frauen diese in bereits jetzt sehr armen Staaten nähen und das mit viel Gewalt gegen sich und absolut unterbezahlt, wissen wir alle. Ich würde das gern so oft all jenen entgegenhalten, die es wichtiger finden, ein Gendersternchen durchzusetzen, statt diesbezüglich für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Übrigens muss man dafür nicht nach Indien oder China gehen, einige Marken importieren bereits – auch das kein Geheimnis, es ist nicht so lange her, dass einige Mitarbeiter qualvoll in einem Container erstickt sind – Billigarbeiter nach Europa. All diesen Dingen widmet sich der Autor im ersten Drittel. Für meinen Geschmack hätte er gern mehr und tiefer eintauchen können. Aber auch so ist zu spüren, dass dies ein Thema ist, das ihm quasi unter den Nägeln gebrannt hat und er es einfach loswerden musste.

Er führt dann in einem Kapitel ein Beispiel für einen Kauf von preiswerten Waren (Servietten, Krimskrams) an und wechselt hin zum Titelthema des Buches. Dabei schreibt er in sehr kurzen, überschaubaren Kapiteln und insgesamt sehr ansprechend, informativ und lebendig. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auf, der Mittelstand löst sich stetig auf (lange vor Corona, der alles nur ein wenig beschleunigt). So wie in der Gesellschaft, so ist es auch im Markt, es gibt nur noch sehr billig oder sehr teuer. Warum wir jeweils und was kaufen, legt Tillessen gekonnt dar. Beinahe anregend vermittelt er gute Gründe über das eigene Kaufverhalten nachzudenken. Wie er schreibt, wird der Kauf einer Bambuszahnbürste absolut gar nichts verändern. Ich bin schon eine ganze Weile seiner Meinung. All die Minimalismus-Wellen oder „Kein Plastik“ oder alles zum Klima werden letztendlich gar nichts nutzen, weil das eigentliche Problem seit vielen Jahren ganz woanders zu suchen ist – nämlich hier.

Tillessen hat schließlich auch mit den Medien, vor allem den Social, ein Hühnchen zu rupfen. Vor allem Instagram und seine Nutzer bekommen einiges zu lesen, über das sie einmal nachdenken sollten. Dass die vielen Bilder uns beeinflussen, ist kein Geheimnis, aber wie und vor allem das eigene Kaufverhalten? In „Konsum“ kann das nachgelesen werden.

Nur einen kleinen Hinweis möchte an den Autor bringen: Nicht alle Menschen in Deutschland kaufen billig, weil sie gerade so gelaunt sind oder ihr Belohnungszentrum im Gehirn angeregt werden will. Bei uns gibt es eine erschreckend große Anzahl von Menschen, die keine dreißig Euro plus für ein T-Shirt ausgeben können und so zu dem für fünf Euro plus greifen müssen. Eine kurze Erwähnung dessen hätte ich als i-Tüpfelchen des Werkes verstanden.

Am Ende hält der Autor noch einige Ratschläge bereit. Allerdings möchte ich anführen, dass diese in ähnlicher Form bereits von Naomi Klein angeführt worden sind. Und da sich nichts geändert hat, ist es vielleicht doch nicht ganz so einfach. Das Thema ist einfach ein unheimlich komplexes.

Alles in allem ein hervorragendes Werk, für das ich dem Autor Carl Tillessen herzlich danken möchte.


CARL TILLESSEN ist studierter Betriebswirt und Kunsthistoriker. 1997 gründete er das Berliner Modelabel FIRMA. Als Kreativdirektor und Geschäftsführer entwickelte er nicht nur 17 Jahre lang die Kollektion, die weltweit vertrieben wurde und zahlreiche Preise gewann, sondern auch sechs eigene Läden, einen Onlineshop und eine Kosmetiklinie. Heute arbeitet Tillessen als Trendanalyst für das Deutsche Mode-Institut und berät renommierte Firmen aus der Luxusbranche in Einzelhandelsfragen. KONSUM ist sein erstes Buch, in dem er der Frage nachgeht, wie, wo und vor allem warum wir kaufen. Carl Tillessen lebt in Berlin.

4 Kommentare:

  1. Hi Daniela,

    danke für den Buchtipp, da werde ich auch mal einen Blick reinwerfen. :)
    Ich bin schon seit Jahren konsumkritisch eingestellt und denke daher wirkich bei jedem Kauf nach, ob ich die Sachen wirklich (neu) brauche... Besonders schlimm finde ich ja sowas wie Weihnachten und Black Friday... aber auch, warum schon kleine Kinder das neuste Smartphone und die hippsten Klamotten "brauchen", werde ich wohl nie verstehen.

    Aber wie du auch schreibst, es hängt zum einen mit der Globalisierung zusammen und dass wir einfach zu viel Auswahl zu zu niedrigen Preisen finden. Und zum anderen sich viele Menschen auch wirklich nicht die fair produzierte Kleidung für 100€ aufwärts das Stück kaufen können. Hier muss das Umdenken bei den Betrieben anfangen und ggf. auch politisch durchgesetzt werden.
    Ich jedenfalls informiere mich inzwischen bei jedem neuen Kleidungskauf (überwiegend kaufe ich eh nur gebraucht...), ob das Unternehmen faire und gesunde Arbeitsbedingungen für seine Produzenten bietet und die Lieferketten transparent offenlegt. Aber egal wie gut ich mich informiere, wenn ich meiner Familie davon erzähle und sie bitte, nicht jeden "Mist" zu kaufen, interessiert die das nicht und ich werde wiedermal als "Öko-Hippie" abgestempelt... Puh.

    Ich finde es muss aber auch in der Gesellschaft ankommen, dass "billig" nicht "gut" oder "langlebig" bedeutet. Ich jedenfalls freue mich mehr über eine Hose, die mehrere Jahre hält, als über was von zB Primark, das nach drei Monaten auseinanderfällt...

    Allerdings finde ich schon, dass sowas wie "no plastic" oder Minimalismus etwas ändern können, sofern natürlich genug Leute dabei mitmachen. Nachfrage reguliert schließlich immernoch das Angebot. (Und auf Plastik zu verzichten ist ohnehin grunsätzlich wichtig, sowohl für unsere eigene Gesundheit als auch für die Umwelt.)

    So viel dazu, damit der Kommentar nicht zu lang wird. :D

    Liebe Grüße
    Alica

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  2. Hallo Alica,
    mir geht es genauso. Gerade das Billigzeug hat man oft gar nicht angeschafft, weil man es brauchte und es daher auch oft sehr schnell wieder aussortiert. Darum denke ich fünfmal nach, ehe ich etwas anschaffe. Und tue ich es, muss etwas anderes meinen Haushalt verlassen.
    Das mit den Smartphones erschließt sich mir auch nicht. Vor allem die neue Werbung, man wolle es doch "nachhaltig" kaufen. Äh ...
    Wo ich leider nicht mitgehen kann, sind diese neumodischen Wellen (Minimalismus, Plastik etc.). Du schreibst "wenn genug Leute mitmachen". Genau da liegt der Knackpunkt. Es bilden sich um diese Trends einfach neue Industrien und die verändern auf Dauer gar nichts, außer dass sie noch mehr Armut schaffen (ob die Arbeiterin T-Shirts näht oder Zahnbürsten feilt, spielt im Grunde keine Rolle). DIE ist aber das große Problem, sprich: die Umverteilung der Rohstoffe, die für alle Menschen ausreichen würden, aber oft nur bei einem winzigen Prozentsatz der Menschen gebunkert und eben nicht umverteilt werden. Auch ein "ich informiere mich vorher" bringt nichts, denn auch dazu schreibt der Autor etwas. So etwas wie "faire Arbeitsbedingungen" kann es gar nicht geben, wenn jemand verdienen will. Und ja, die meisten Betriebe/Marken (auch die, die dann ihr Zeug für mehrere hundert Euro verkaufen) müssen sich schon jetzt gesetzlich an "gerechte Bedingungen" halten. Aber wer soll das wie kontrollieren? Wenn dann einmal im Jahr einer am anderen Ende der Welt vorbeigeschlendert kommt, passt es halt grad. Oder, wie auch in der Rezi angedeutet, die Arbeiter werden nach Europa (in dem Fall z.B. Italien, weil Taschenmarke) gebracht und leben hier nicht sehr viel besser. Es ist SO leicht, mit etwas auf einem Produkt zu werben (nachhaltig, von freilebenden Kühen, klimaneutral), aber was steckt hinter diesen Bezeichnungen? Richtig: Geld. So ein Label ("nachhaltig hergestellt") kostet nämlich eben dieses. Und das nicht mal wenig. Das will verdient werden und Du errätst sicher, wie. Klingt gut, heißt nicht, dass es auch gut ist. Wie gesagt, eine "klimaneutral hergestellte" und "plastikfreie" Zahnbürste ändert nichts, null, nada. Die wirklichen Probleme sitzen ganz woanders. Und die, die sie schaffen, verdienen an eben dieser Zahnbürste noch mal zusätzlich. Wir kaufen also schlicht ein (gutes) Gefühl - und mit diesen hat die Werbeindustrie noch immer am besten verdient.

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    1. Die "nachhaltige" Smartphone-Werbung kenne ich gar nicht (ich schaue ja generell keine Werbung mehr, seit ich keinen TV-Anschluss mehr habe). Ich war Anfang des Jahres passend dazu echt erschrocken, als bei meinem Smartphone der Akku den Geist aufgab und es einfach mal fast genauso teuer sein sollte, den Akku austauschen zu lassen wie ein neues Smartphone zu kaufen. :(

      Es ist definitiv auch kein einfacher Weg, unser auf Kapitalismus basiertes Wirtschaftssystem zu verändern und faire Bedingungen weltweit zu schaffen. Es muss grundsätzlich ein Umdenken stattfinden, weg von maximalen Gewinnen um jeden Preis. Das Ganze ist ja leider extrem komplex und im Grunde hängt alles mit allem zusammen. Es gibt ja auch schon diverse Ansätze, um unser Wirtschaftssystem zu verbessern (z.B. nach dem Donut-Modell).
      Und klar, Greenwashing ist derzeit extrem beliebt und wirklich durchzusteigen, welche Unternehmen tatsächlich "fair" und "nachhaltig" sind, ist extrem schwer. Ich bin daher schon länger der Ansicht, dass ein Lieferkettengesetz, z.B. umgesetzt über Blockchains, der einzige Weg ist, richtige Transparenz zu schaffen. Aber bis es soweit ist, muss man ja irgendwo anfangen und versuchen, die Unternehmen zu unterstützen, die zumindest nachvollziehbar gerecht wirken.

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    2. Die läuft mir auf youtube immer wieder über den Weg ;-)
      Zum Rest nicke ich einfach mal. Wie denken das Gleiche, aber in der Umsetzung sehen wir ein paar Unterschiede. Aber immerhin denken wir darüber nach und das ist mehr, als die meisten anderen tun.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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