Dienstag, 20. Oktober 2020

Streamland: Wie Netflix, Amazon, Prime und Co. unsere Demokratie bedrohen - Prof. Dr. Marcus S. Kleiner

 

Titel: Streamland: Wie Netflix, Amazon, Prime und Co. unsere Demokratie bedrohen
Autorin: Prof. Dr. Marcus S. Kleiner
Originaltitel

Verlag: Droemer HC
ISBN: 978-3426278314

Euro: 20,00
Veröffentlichungsdatum: Oktober 2020

Seiten: 304
Serie: nein

Come in: vom Verlag

 

 

 

Meinung

„Streamland“ ist ein Werk, das mir leider nicht ganz so gut gefallen hat, aus dem ich aber trotzdem einige sehr wertvolle Dinge herausziehen konnte.

Dass ich mit dem aktuellen Zeitgeist nicht gut klarkomme, da ich ihn als äußerst kurios empfinde, ist kein Geheimnis. Kleiner jedoch ist ein starker Vertreter davon und im Zuge dessen ist dieses Buch so überaus politisch korrekt verfasst worden, dass es leider anstrengend wurde. Das allseits beliebte Trump-Bashing (und nein, ich mag den Mann auch nicht sonderlich) gehört ebenso dazu, wie das Gendersternchen, das einige recht interessant anmutende Worte hervorgebracht hat oder der Hinweis auf die durch Streaming negativ veränderte CO2-Bilanz. Als der Autor, Jahrgang ’73, sich dann auch noch vom „alten weißen Mann“ (Seite 30) distanziert, entbehrte das nicht einer gewissen Komik. Wenn er als Dozent das auf einen Diskurs mit einer Studentin bezieht, hat das damit auch wenig zu tun, dann macht er nämlich schlicht seinen Job. Es sei denn, es spielt bereits eine Rolle, dass es sich um eine Judith und eben keinen Carl handelt. Zudem scheint es im Nachhinein so, dass er gern mehr ins jeweilige Thema hineingetaucht wäre, aber sich selbst immer wieder Grenzen gesetzt hat (setzen musste?), obwohl es Sinn gemacht hätte, sich mit den Einzelheiten näher auseinanderzusetzen.

Im Prinzip bietet das Buch nur zwei Thesen: Wie sich die Generation heute verhält und warum und dass das Streamen unsere Interessen durch das Vorschlagen anderer Sendungen / Filme zu sehr in eine Blase drückt, die uns eigene Entscheidungen abnimmt. Dazwischen gibt es jede Menge Zitate von Adorno und Horkheimer. Um so wenig um ein ganzes Buch zu stricken, bedarf es leider sehr viel Füllstoff, was die Sache leider nicht spannender gemacht hat. Geschrieben wird recht dröge, so dass es Stehvermögen braucht, um sich durch die einzelnen Seiten zu arbeiten.

Wer jüngeren Jahrgangs ist oder aus den neuen Bundesländern stammt, kann Kleiners Faszination für Fernsehsendungen aus seiner Kindheit und Jugend vermutlich nicht gut folgen, weil eben diese unbekannt sind. Diese werden aber immer wieder großflächig eingewoben. Es ist leider schwer, den Gedankengängen des Autors zu folgen, wenn er von eben diesen Sendungen, die er beschreibend wiedergibt, hin zu einer Erkenntnis, die er teilen will, hinleitet. Das bündelt sich in einem Exkurs zu „Derrick“ und dem Bild eines im Ausland so gewünschten Deutschen, den er offenbar darstellt, und der sinngemäßen Frage, ob man nun sehe, was daran demokratiefeindlich ist. Nein, lieber Autor, ich sehe es nicht. Es fügt sich ein Zitat an und viel Text, der aber ebenso wenig aussagt. An der Stelle wäre übrigens fast für mich Schluss gewesen. Sich das, was jemand vermutlich aussagen möchte, selbst zusammenreimen zu müssen, ist nicht nur mühsam, es kann auch nach hinten losgehen. Das ist es in diesem Fall leider auch.

Allerdings bin ich bei den von mir vermuteten Inhalten absolut bei Herrn Kleiner. Auch wenn es heute antiquiert anmuten mag, sich stetig zu bilden und weiterzuentwickeln, scheint genau das aber vielen Neuzwanzigern Probleme zu bereiten. Eine junge Studentin spricht davon, dass er als Dozent sich doch mehr an seiner Zielgruppe (die Studenten) orientieren solle. Es sei viel zu viel zu lesen (in einem Seminar zur Kommunikationswissenschaft!) und ihr Alltag sei eben ein anderer. Theorie-Schinken sind langweilig, sie mag lieber Hörbücher und liest in Blogs. Themen, die sie bewegen seien interessanter und damit besser. Warum solle man etwas machen, womit man nichts zu tun hat? Ich mache in meinem Beruf als Lektorin ähnliche Erfahrungen wie Kleiner. Je jünger die Autoren werden, desto schlechter wird ihr Deutsch (und damit zwangsläufig auch die Inhalte) und sie sind, gerade die 20-25-Jährigen absolut nicht mehr Kritikfähig, egal wie man das aufarbeitet und begründet. Macht nämlich keinen Spaß. An dieser Stelle hätte ich mir mehr Ausführlichkeit vom Autor gewünscht, ein Fingerzeig, wie er zu dem Thema abseits seiner Seminare gefunden hat. Vermutlich könnte man zu dieser neuen Generation auch sonst noch einiges sagen, jene, die wir oft auch Digital-Natives nennen; die ein Leben offline nicht mehr kennen. Erst kürzlich habe ich eine äußerst interessante Dokumentation dazu gesehen, was all diese Bildschirme und deren Inhalte mit unseren Gehirnen und besonders der Entwicklung bei Kindern macht. Es gibt also Untersuchungen und daher vermutlich auch diverse Lektüre dazu.

Das zweite Thema ist ebenfalls bedeutend. Die „Blasenbildung“, die allerorts zu finden ist, hier jedoch nur in Bezug zum Streamen Beachtung findet. Dazu ergeht sich der Autor leider in sehr ausführlichen Beschreibungen dazu, wie einzelne Streamingdienste wie Netflix einst entstanden sind und sich mit den Jahren entwickelt haben. Das füllt etliche Seiten. Das Vorschlagen von „wenn Sie dies mochten, gefällt Ihnen vielleicht auch das“ kennen wir alle von ganz verschiedenen Onlineseiten und –diensten. Dass darin eine gewisse Gefahr bestehen kann – Kleiner glaubt, es wird einst das Selberdenken ersetzen –, ist offensichtlich. Auch in „Code kaputt“ von Anna Wiener thematisiert die Autorin dies kurz. Solange dies jedoch eher dürftig funktioniert – vom Streamen habe ich keine Ahnung, ich verwende diese Dienste aus Prinzip nicht,  aber auch Bücher werden auf die gleiche Weise vorgeschlagen –, wird es vermutlich weniger bestimmend sein. Sollte es technisch allerdings bald treffender werden, eben besser möglich sein, den jeweiligen Nutzer zu analysieren, könnte das auf verschiedenen Ebenen tatsächlich gefährlich werden. Welche Gefahr übrigens in diesem geheimen Sammeln von Daten über den Nutzer liegt – das wird eines Tages bestimmen was und wie wir sehen, wenn genau analysiert wird, wer bis wohin schaut, eventuell zurückspult, einen Film dutzende Male ansieht, etc. – kommt im Buch definitiv zu kurz. Ebenso wie Inhalte von Sendungen, die gar keinen Eingang ins Buch finden. Leider muss resümierend gesagt werden, dass Kleiner irgendwie alles dabei hat, aber trotzdem am Titel(-thema) seines Buches vorbeigeschrieben hat.

„Streamland“ bietet gute Anreize, kommt aber leider nicht auf den jeweiligen Punkt und schlängelt eher weniger elegant daran vorbei. Trotzdem ist es wichtig, dass das Thema „Streamen“ und welche Folgen es haben kann, aufgegriffen und angegangen wird. In Deutschland hinkt man leider an allen Fronten diesbezüglich hinterher und hängt leider immer noch an einem Zwangsbeitrag für eine Art des Fernsehens, das ohnehin kaum noch jemand nutzt bzw. bald noch nutzen wird. Die Diskussion ist eröffnet und es bleibt zu hoffen, dass sich mehr Autoren anschließen werden. Gerne auch im Sinne der jungen Studentin Judith, aber bitte neben allen Befindlichkeiten immer mit Sinn und Verstand.

 

 

Marcus S. Kleiner, geb. 1973, ist Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der SRH Berlin University of Applied Sciences und dort Vizepräsident für Kreativität und Interaktion. Freiberuflich arbeitet er als Medienberater, Projekt- und Eventmanager, Veranstalter, Moderator, Texter und Hörspielautor für Print, Radio und Fernsehen. Seit September 2015 ist er für den SWR als Radio-Medienexperte tätig.

2 Kommentare:

  1. Hi Daniela,

    ich finde es immer schade, wenn jemand ein ganzes Buch schreibt, aber scheinbar den eigenen Punkt nicht richtig ausdrücken kann. >.> Wirkt besonders mit dem Titel schon ziemlich nach "Click-Bait" im Buchformat. XD
    Die Richtung, die die ganzen Algorithmen annehmen, wie viele Daten über uns erfasst und personenbezogenen ausgewertet werden, sehe ich auch kritisch. Wie sehr das allerdings tatsächlich die Meinung stark beeinflusst, kann ich nicht einschätzen.
    Ich nutze Netflix, aber ich schaue dort tatsächlich so viel verschiedenes, dass es Netflix scheinbar nicht gelingt, mir wirklich angepasste Vorschläge zu machen. Jedenfalls taucht unter "Könnte dir auch gefallen" immer nur Quatsch auf. XD
    Ich glaube, deutlich problematischer ist, dass Eltern ihren Kindern kritisches und reflektiertes Nachdenken nicht mehr beibringen. Und in der Schule lernt man das auch nur selten... (War zumindest in meiner Schulzeit so, da wurde nur vorgekaut, dasselbe im Studium.) Wie sollen sich aus den Kindern/Jugendlichen, die in ihrer digitalen Blase (und hier sehe ich die Sozialen Medien als deutlich größeres Problem als Streamingdienste) aufwachsen und nichts anderes kennen, denn noch differenziert interessierte Erwachsene entwickeln, die in der Lage sind, eine eigene Meinung zu vertreten?
    Naja, das geht bezogen auf deine Rezension jetzt vllt auch etwas weit. :D

    Liebe Grüße
    Alica

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    1. Hallo Alica,

      na ja, das Cover sieht generell eher wenig ansprechend und sogar ein bisschen zum Fürchten aus. Aber vielleicht soll das auch so?
      Ich glaube, dass all diese Algorithmen sogar sehr stark einmal uns und unsere Meinung (sofern wir dann noch eine haben) beeinflussen werden. Wie Du schreibst ja auch vor allem bei jenen, die es nicht mehr anders kennen werden. Auch der Autor schreibt übrigens, dass die Vorschläge bei Netflix im Moment noch wenig taugen, aber dass das ja immer weiter verbessert wird. Und nun ... die ganze Werbeindustrie ist darauf ausgerichtet, dass wir Menschen es vor allem bequem und einfach haben wollen und warum sollte man selber denken, wenn es so eine Vorschlagliste für einen tut? :)
      Streamingdienste, genau wie Social Media, gehören immer jemandem - hier hätte sich gelohnt, näher hinzusehen. Denn wenn man - übrigens auch für deutsche Medien - einmal geschnallt hat, wer im Hintergrund wirkt, dann kommt man schon recht schnell ins Grübeln. Das ist jedenfalls mein Grund, nicht erst mit der Sache anzufangen. Ich glaube persönlich auch nicht, dass ich viel verpasse.:)
      Und nein, gar nicht. Das kommt als Thema auch im Buch vor. :)

      LG
      Daniela

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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