Samstag, 23. Mai 2020

Der letzte Mensch - Mary Wollstonecraft Shelley

Titel: Der letzte Mensch
Autorin: Mary Wollstonecraft Shelley
Originaltitel: The Last Man
Verlag: BoD
ISBN: 978-3752869842
Euro: 22,90
Veröffentlichungsdatum: August 2018
Seiten: 532
Serie: nein
Come in: vom Verlag










Inhalt
England im 21. Jahrhundert. Lionel Verney und seine Schwester Perdita sind als verarmte Waisen aufgewachsen, doch war ihr Vater einst ein enger Freund des letzten Königs. Durch Zufall lernt Lionel dessen Sohn Adrian kennen und beide freunden sich an. Doch in einer Republik ist kein Platz für altes Denken, auch wenn Adrians Mutter ihn gern zurück in Stand bringen würde. Dann verliebt sich Lionel in Adrians Schwester Idris und heiratet sie. Perdita indes verliebt sich in Raymond, den reichsten Mann im Staat und ehelicht diesen. Die Truppe an Gleichgesinnten scheint unzertrennlich. Ein Keil wird zwischen Perdita und ihren Mann getrieben und dieser geht nach Spanien, um gegen das Osmanische Reich zu kämpfen. Während des Krieges bricht die Pest aus und entvölkert ganze Landstriche. Die Freunde kehren nach England zurück, aber die Pest ist ihnen auf den Fersen – und sie macht keine Unterschiede in ihrem tödlichen Werk.


Meinung
Mary Shelleys bekanntestes Werk ist sicherlich „Frankenstein“, dieses hier jenes, welches ihr selbst am meisten bedeutete. Es entstand in den Jahren 1824-1826 und ist stark autobiografisch geprägt. Da die Familie ihres Ehemannes ihr eine Biografie über ihn untersagte und sie finanziell von ihnen abhängig war, schuf sie dieses fiktive Werk, dessen Handlung sie mehrere hundert Jahre in die Zukunft legte. Die vorliegende Ausgabe, herausgebracht von der Übersetzerin Maria Weber über BoD, ist die erste vollständig vorliegende deutsche Übersetzung. Zwar gab in den Achtzigerjahren der Bastei Lübbe Verlag eine Version des Werkes heraus, doch war diese so stark gekürzt, dass sie harsche Kritik einstecken musste. Leider ist über Maria Weber nur wenig herauszufinden, doch sie hat hervorragende Arbeit geleistet. Zum einen hat sie die Sprache der Zeit und Shelleys genau getroffen und zum anderen deren viele Andeutungen und bezugnahmen zu Legenden/Mythologie und Literatur ihrer Zeit in zahlreichen Fußnoten aufgegriffen und erklärt.
Die Figur des Lionel nun, die diese Geschichte sehr persönlich erzählt, verkörpert Mary Shelley selbst. Adrian soll ihr Ehemann sein und Raymond verkörpert Lord Byron.
Diese Tatsache macht bereits klar, dass es sich nicht um einen typischen Endzeitroman handelt. Auch wer sich schnell an die wunderschöne, aber schwer zu lesende Schreibweise gewöhnt, findet zunächst nichts anderes als einen Beziehungsroman vor. Die politischen Gegebenheiten treten stark in den Hintergrund zurück und natürlich erinnert der Alltag der Figuren an die Zeit Shelleys mit ihren moralischen Dünkeln. Die Figuren lernen sich kennen, sie verknüpfen sich und leben einige Jahre in Eintracht, bekommen Kinder, ehe der Streit Perdita und ihren Mann trennt. An dieser Stelle ist bereits ein Drittel des Romans gelesen.
Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Handlung dann auch deutlich an Fahrt auf. Bei allem was geschieht – und es wird sich nie in Einzelheiten vergraben – steht die Gruppe mit ihren Beziehungen stets im Vordergrund. Als die Pest ausbricht, sind schwere Entscheidungen zu treffen. Wer denkt, dass eine Autorin dieser Zeit weich, emotional und auf ein glückliches Ende hinarbeitet, der irrt und zwar gewaltig. Der letzte Mensch ist genau das. Der letzte von allen. Es wird also zunehmend sentimentaler, düsterer, beinahe auch philosophisch.
Obwohl es sich um einen Zukunftsroman handelt, schreibt Shelley weniger über technischen Fortschritt, irgendwelche Maschinen oder sonstige Einzelheiten. Ihr geht es um den Wandel des Geistes der Menschheit, was verlieren wir, wenn es ums nackte Überleben geht. Die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die kulturellen. Sprachlich ausufernd, lyrisch, poetisch. Grandios. Ich wünschte, ein Teil der Autoren heute würde sich noch immer auf diese Art ausdrücken und ein Teil der Leser es verschlingen.
„Der letzte Mensch“ stammt zweifellos von einer herausragenden Autorin, die genau wie ihr Werk mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.


Mary Wollstonecraft Shelley (1797-1851) wurde im englischen Somers Town als Tochter eines mit dem Anarchismus sympathisierende Sozialphilosophen und einer Frauenrechtlerin geboren. 1814 folgte sie dem Dichter Percy Bysshe Shelley auf den Kontinent und lebte dort mit ihm zusammen. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete sie ihn 1816. Gemeinsam mit Lord Byron unternahmen beide eine Schweizreise, während der der Roman «Frankenstein» entstand. Percy Shelley starb bereits 1822; daraufhin kehrte Mary Shelley nach England zurück.

2 Kommentare:

  1. Oh, das ist ja interessant, dass es über BoD erschien und quasi in Eigenregie einer Übersetzerin. Ich frage mich wie das rechtlich ist!? Aber muss ja gehen, sonst wäre es wohl nicht erschienen. Die Prämisse klingt jedenfalls interessant und ich frage mich wieviel Zeit in das Buch geflossen ist und wie lang der Prozess bis zur Veröffentlichung war ...
    aber sehr wahr, dass Shelley wie viele ihrer Zeitgenössinnen zu wenig Aufmerksamkeit bekam. Ich selber kenne auch nur ihren "Frankenstein", aber zumal mir jetzt das Buch über den Weg lief und ihre Reisebriefe, sollte ich das dringend mal ändern ...

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    1. Na ja, die Werke von Shelley sind ja alt genug, um nicht mehr im Urheberrecht drin zu sein (irgendwas um siebzig Jahre). Und wenn die Übersetzerin die Übersetzung selbst gemacht hat - und das hat sie ja -, dann hält sie auch die Rechte an eben dieser Übersetzung.
      Ich habe danach nach "Frankenstein" gesucht, weil mir eben obiges Buch so gut gefallen hat, vor allem sprachlich, aber auch hier gibt es viele Ausgaben von vielen Übersetzern. Ich habe einige erste Seiten davon gelesen, die waren teilweise so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Gefallen hat mir bisher keine so recht. Vergleichbar mit obiger ist auch keine gewesen. Das war sogar teilweise recht modern, fast umgangssprachlich. Mag ja sein, dass manche das präferieren, ich nicht. Ich will das, was Shelley geschrieben hat und keine Neuinterpretation (auch rein sprachlich nicht).
      Auf die Reisebriefe wäre ich auch noch "scharf", aber auch hier muss ich wohl erst mal den Text checken, wie er sich liest.
      Für Empfehlungen aus der Feder der Autorin bin ich immer dankbar :)

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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