Autor: Hans Richard Fischer
Originaltitel
Verlag: Walde + Graf
ISBN: 978-3946896449
Euro: 15,00
Veröffentlichungsdatum: September
2019
Seiten: 128
Serie: nein
Come in: vom Verlag
Inhalt/Klappentext
Ein
Meilenstein der investigativen Berichterstattung: Hans R. Fischers
eindringliche Sozialreportagen aus dem Berlin der Gründerzeit erstmals seit
1887 in einer Neuauflage.
1887
sorgte ein schmales Buch mit dem Titel Unter den Armen und Elenden Berlins –
Streifzüge durch die Tiefen der Weltstadt für Furore. Für seine einfühlsamen
Reportagen vom Rand der Gesellschaft hatte der erst 24jährige Journalist Hans
Richard Fischer als Bettler verkleidet einige Nächte im Asyl für Obdachlose in
der Berliner Friedrichstraße verbracht, die unterschiedlichsten Stätten der
Prostitution aufgesucht oder die „Irrenanstalt“ Dalldorf (bis 2006:
Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, Berlin-Wittenau) besichtigt und damit in
Deutschland ein journalistisches Genre mitbegründet, mit dem er engagiert
Mißstände in
der
Gesellschaft aufzeigte. Er unterschied sich im Ton und bei der Auswahl seiner
Themen von den populären Sensationsjournalisten seiner Zeit, die dem bürgerlichen
Publikum im reißerischen Reportagestil und sehr anekdotenhaft die dunklen
Seiten Berlins, sein Dirnen- und Verbrechertum vorführten. Fischers Blick ist
voll Mitgefühl und doch ohne Pathos und deshalb sind seine Schilderungen bis
heute sehr eindringlich und aufschlußreich und ein zeithistorisch bedeutendes
Dokument.
Meinung
Fischers
Buch rund um das Leben am Rand der Gesellschaft erschien erstmals 1887 und war
damals etwas Besonderes. Der erst vierundzwanzigjährige Journalist hat sich für
seine Recherchen als Bettler verkleidet, in Obdachlosenunterkünften genächtigt
und mit Betroffenen gesprochen. Seiner Zeit war er damals weit voraus.
In
Berlin hat er quasi alles, was damals vorhanden war, besucht – auch durchaus
legitim als Pressemitarbeiter – und in lebendigem Erzählton dargelegt. Den
Texten ist anzumerken, dass es ihm nicht darum ging, für Furore und Skandälchen
zu sorgen, sondern darum, eine breite Öffentlichkeit auf die Not der unteren
Schichten aufmerksam zu machen.
Dabei
ist er jede Unterkunft durch. Er hat Obdachlosenunterkünfte (für Männer)
besucht, das von Nonnen betreute Magdalenenstift, Arbeitshäuser, Kinderhäuser,
Irrenanstalten und ein Siechenhaus. Obwohl seine Zeit mehr als spürbar wird,
ist es erschreckend, wie wenig sich in knapp einhundertzwanzig Jahren verändert
hat. Und das ist das wirklich Traurige daran.
Die
Reportagen sind nicht lang und trotz der damals gängigen und nicht der Neuzeit
angepassten Rechtschreibung gut zu lesen. Fußnoten ergänzen das, was heute
nicht mehr allgemeines Wissen darstellt. Im Nachwort wird gewarnt, dass man
Fischer als Zeitdokument lesen müsse, dass in etwa das Frauenbild noch ein
anderes gewesen ist. Allerdings finde ich nur wenig wirklich Sexistisches. Zwar
schreibt er im Haus der Acht- bis Vierzehnjährigen, diese trügen die Unschuld
nicht mehr auf ihren Wangen, wer jedoch zwischen den Zeilen liest, erkennt,
dass er die anklagt, die diesen Mädchen eben jene geraubt haben, in etwa weil
sie sie verkauft hätten. Mehr als solch eine Erwähnung gibt es allerdings
nicht, was genau mit Mädchen und Frauen geschehen ist, damit sie am
alleruntersten Rande der Gesellschaft angekommen sind, dafür verwendet er nur
wenige schmale Worte.
Fischer,
der selbst im Armenhaus gelebt hat, scheint mit einer anderen Herangehensweise
die Zustände schildern zu wollen als die meisten seiner Zeit- und
Arbeitsgenossen. Er hat ein klares Auge, auch für Einzelheiten, und vermag es
gekonnt, seine Umgebung auch denen zu zeigen, die bisher vermutlich nicht
einmal von der Existenz solcher Einrichtungen wussten. Er verweist auf einige
Gesetze, die es den meisten unmöglich machten, aus dem Sumpf herauszukommen. Er
zeigt Männer, Frauen, Kinder, er zeigt Familien. Manchmal war ich nicht sicher,
ob er nicht doch ein bisschen schönschreibt, wenn er in etwa offiziell mit dem
Leiter einer der Unterkünfte in eben dieser umhergeht und alle Bewohner
achtungsvoll grüßen und Lobpreisungen von sich geben oder sogar Lieder singen.
Das könnte auch Stil seiner Zeit sein, denn die meisten sozialen Einrichtungen
wurden nicht vom Staat, sondern Privatleuten (durchaus bekannte Namen, denn
auch Industrielle waren darunter) finanziert. Wenn Betroffene dann artig Danke
sagen und Respekt zollen, müssten sie damit voll im Trend gelegen haben.
Die
Neuauflage dieses unschätzbaren Zeitgeistes ist nicht nur für
Sozialwissenschaftler oder Historiker interessant, sondern liest sich auch für
alle Interessierte sehr angenehm und flüssig. Das waren echte Menschen! Damals
wie heute eine unbedingte Leseempfehlung.
Hans Richard Fischer, geboren
1863 in Jauer (Schlesien) verbrachte als Waise seine Kindheit bei Pflegeeltern
und im städtischen Armenhaus Breslau. Weil er armutsbedingt die Volksschule
nicht bis zum Ende besuchen konnte, bildete er sich durch Selbstunterricht
fort. 1883 ging er zunächst nach Berlin und trat 1898 eine Stelle als Redakteur
beim Mainzer Anzeiger an. 1907 wurde er Chefredakteur der Neuen hessischen
Volksblätter in Darmstadt.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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