Titel: Die Geschichte der
schweigenden Frauen
Autor: Bina Shah
Originaltitel: Before She
Sleeps
Verlag: Golkonda Verlag
ISBN: 978-3946503941
Euro: 22,00
Veröffentlichungsdatum: April
2019
Seiten: 336
Serie: nein
Come in: vom Verlag
Inhalt
Irgendwann
in der Zukunft hat eine Obrigkeit nach Umweltkatastrophen und großen Kriegen ein
Stück der Wüste bewohnbar gemacht, sie haben ihre Technik und die Möglichkeiten
der Digitalisierung genutzt, um das Wetter und das Land zu kontrollieren.
Genauso kontrollieren sie aber auch die Menschen, die in Green City wohnen. Das
Handbuch hat jeder Bürger auswendig zu lernen und zu verinnerlichen. Durch ein
tödliches Virus wurde zudem die Anzahl der Frauen minimiert, so dass diese sich
den neuen Gesetzen beugen müssen. Ihnen werden mehrere Ehemänner aufgezwungen,
damit sie so viele Kinder wie möglich bekommen. Aber es gibt noch die Panah, wo
Ilona eine Zufluchtsstätte für jene geschaffen hat, die diesem Schicksal
entkommen wollen. Doch auch das ist nicht umsonst.
Meinung
Spoilerwarnung!
Bina
Shah hat ein unterhaltsames und gut zu lesendes Buch geschrieben, das nur
leider nicht leicht zu durchschauen ist. Sprich: Ich verstehe nicht, was die
Autorin mit dieser Geschichte aussagen möchte. Und je mehr ich darüber
nachdenke, desto weniger gefällt es mir.
Green
City ist nach Klimakatastrophen und einigen größeren Kriegen entstanden, nach
denen und einem nicht näher bezeichneten Virus die meisten Frauen gestorben
sind. Als Green City geschaffen wurde, mussten neue Gesetze her und um die
nächste Generation zu sichern, wurden Frauen zu einer Art Ware. Sobald sie alt
genug sind, werden sie Ehemännern zugeteilt, um die Reproduktion zu gewährleisten.
Aber nicht alle Frauen kommen mit Ehemann Nummer sechs oder sieben klar, es
gibt Selbstmorde. Auch werden die Frauen nicht oft hinaus gelassen und Kontakte
untereinander werden schon im Mädchenalter unterbunden. Allerdings sind viele
recht findig und finden Mittel und Wege, zumal die digitale Welt ihnen dabei
helfen kann.
Ilona,
die bei Beginn der eigentlichen Geschichte nicht mehr lebt, hat zwar an der
Gründung Green Citys mitgewirkt, aber rasch die Panah, einen unterirdischen
Schutzraum, geschaffen. Sie entführte ihre kleine Nichte Lin, die nach dem Tod
der Mutter keine rosige Zukunft zu erwarten hatte. Diese ist nun knapp vierzig
Jahre alt und leitet die Panah, in der mehrheitlich jüngere Frauen um die
zwanzig leben. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern – Lebensmittel, Medikamente
und Geheimhaltung – unterhalten die Frauen eine Art Geschäftsbeziehung zu
einflussreichen Männern. Sie werden von diesen gebucht, um ihnen Gesellschaft
zu leisten und Streicheleinheiten, aber keinen Sex, auszutauschen. Es ist
Sabine, die in der Ich-Form von einigen dieser Treffen erzählt und auch, wie
sie sich Goldpuder auf den Körper streicht, weil dieser die Scanner irreführt.
Leider wird Green City selbst und auch die Welt an sich nicht näher
beschrieben. Die Szenerie spielt sich lediglich in geschlossenen Räumen ab und
gibt wenig Ausblick darauf, was genau geschehen ist und wie genau die Welt sich
entwickelt hat. Offenbar gibt es nun drei Großreiche, aber dann wird es leider
schon recht schwammig.
Die
Ausgangslage hat Shah wunderbar beschrieben und dargestellt, die Seiten fliegen
nur so vorbei. Doch dann wirkte es, als habe die Autorin nicht so recht
gewusst, wo sie mit ihrer Erzählung eigentlich hin wollte. Da diese aus einer
Kurzgeschichte heraus entstanden ist, könnte das auch gut sein.
Um
ihr Leben in der Panah, wenige kleine Räume unterhalb einer alten Lagerhalle,
aufrecht erhalten zu können, musste Lin Kontakt zu Männern der Obrigkeit
aufnehmen und dort ihre Dienste anbieten. Leider wird es genau hier auch sehr
wacklig. Es sollen Intimitäten, aber kein Sex ausgetauscht werden, die Mädchen
werden oft mehrere Nächte im Monat von einem Mann gebucht. Warum ein Ehemann
das mit seiner Frau nicht auch haben sollte, selbst wenn da noch andere
Ehemänner neben ihm sind, erschließt sich mir nicht. Auch die Panah-Mädchen
gehen noch zu anderen Männern. Wütend aber macht mich, dass die Frauen Kontakt
zu den allerhöchsten Männern der Stadt, in der alles streng verreglementiert
ist, bekommen und nicht einmal annähernd versuchen, etwas an ihrer eigenen
Situation oder der anderer Frauen in der Stadt zu verändern. Es kommt sogar zu
Szenen, wenn ein Mann einer Frau seine Liebe gesteht und sie heiraten möchte
(und dafür sorgen, dass sie in der Ehe allein bleiben), aber keine der Frauen
denkt weiter als bis … ja bis wohin eigentlich? Der nächsten Mahlzeit? Dass sie
der Gesellschaft „eins ausgewischt“ hat? Keine einzige reflektiert ihr Leben,
obwohl Kindheit und Jugend sehr wohl hier und da thematisiert werden. Aber wer
sie als Frauen sind und wie es früher war, wo sie sich zukünftig sehen oder wie
es anderswo auf der Welt ist – alle besitzen ein DigiTab – scheint sie nicht zu
interessieren. Lin ist mit ihren knapp vierzig Jahren auch die älteste, was
ebenfalls seltsam ist. Denn ihre Tante Ilona hat vermutlich noch mehr Mädchen
„befreit“, die etwa in Lins Alter sein müssten. Wo sind diese geblieben? Wäre
es so unlogisch, dass eine „ältere“ Frau für die Dienste gebucht wird? Dienste,
die leider so fadenscheinig sind, dass es ärgerlich wird. Dann doch lieber
Nägel mit Köpfen und den ganzen Weg gehen. Sex außerhalb einer Ehe ist nicht
verwerflich, Prostitution ebenfalls nicht. Zumal es hier leider nichts anderes
ist. Die Frage, die im Mittelpunkt hätte stehen sollen, wäre gewesen, was die
Freiheit einer Frau wirklich bedeutet, eben mit Konstitutionen wie Ehe,
Prostitution, Fertilität im Allgemeinen usw.
Sabine
muss einiges durchstehen und wird durch eine Eileiterschwangerschaft, die sie
nach einer Vergewaltigung durch Einnahme eines neuen Medikamentes
(Zusammenhänge absolut unverständlich) erleidet, ins Krankenhaus gebracht. Dort
trifft sie in Form eines jungen Arztes quasi ihre große Liebe, mit der sie aber
nicht mehr als wenige Tage verbringt, bis sie zusammen fliehen müssen. Etwas
zynisch an dieser Stelle ist übrigens die Einordnung der deutschen Ausgabe in
der Onlinebuchhandlung unter anderem in die Kategorie „Erotikromane &
-erzählungen“. Weder das Kuscheln noch die Vergewaltigung werden näher
beschrieben und da die meisten Mädchen nicht gern zu den Männern gehen,
verbindet der Roman mit Erotik schlicht gar nichts.
Eine
Lösung bietet der Roman nicht. Lin findet ihre persönliche Freiheit im
Selbstmord. Da hat sie den Heiratsantrag des Allerhöchsten abgelehnt, der sie
aufrichtig liebt und auf den sie positiv in der Ehe hätte einwirken und so
einiges bewirken können. Sie verbrennt all ihre Sachen, darunter auch alte
Speichermedien mit Aufzeichnungen von Ilona. Dass ihr Verehrer die anderen
Frauen wegbringen soll, hat sie noch arrangiert. Wohin und was dort mit ihnen
geschieht, bleibt ungewiss. Vorher all die eben erwähnten Aufzeichnungen auf
das DigiTab einer der Frauen, Rupa, zu laden und ihr einzubläuen, damit könne
sie die Männer zwingen, sie in Ruhe zu lassen, macht absolut keinen Sinn. Die
richtige Strategie, nur viel zu spät und ohne Plan. Sabines Freiheit besteht
darin, dass sie den Zaun, der Green City umgibt, durchbricht. Da bisher nichts
darauf hindeutete, dass es außerhalb überhaupt noch etwas gibt (und die Frauen sich auch nicht dafür interessiert haben), kam das mehr
als überraschend. Dass dort zwei Grenzer sitzen, einer davon eine rothaarige Frau,
ebenfalls. „Sie sind nun in Sicherheit.“ Aha. Inwiefern denn? Und sollte nicht
genau hier die eigentliche Geschichte beginnen? Was macht Rupa mit den
Aufzeichnungen? Werden sie auch ins Draußen fliehen und die Frauen in Green
City sich selbst überlassen so wie auch zuvor? Werden sie kämpfen? Ehrlich
gesagt deuten die wenigen Details darauf hin, dass die meisten Frauen sich
Ehemänner ihrer Wahl nehmen und Kinder bekommen werden. Wie ihr Leben aussehen
und wo es stattfinden wird, bleibt ungewiss. Ich glaube, an diesem Punkt hat
sich die Autorin quasi ein wenig selbst im Weg gestanden.
Bis
zur Einlieferung ins Krankenhaus habe ich „Die Geschichte der schweigenden
Frauen“ sehr gern gelesen, dann wird es einfach zu schwammig und unglaubhaft.
Das Ende kommt auch reichlich zackig und ergibt zudem keinen Sinn. Da die Stadt
und die Welt im Allgemeinen nur sehr unzureichend beschrieben werden, kann das
leider auch nicht der Phantasie des Lesers überlassen werden. Das hat Hazem
Ilmi in „Die 33. Hochzeit der Donia Nour“ sehr viel besser verstanden, als er
seinen Roman ebenfalls in der Zukunft in einem ähnlichen Szenario und mit
ähnlich schlechter Lage der Frauen angesiedelt hat. Vielleicht muss Frau Shah
da auch ein wenig mehr aus sich herauskommen, direkter werden. Aber in erster
Linie überlegen, was genau die Grundaussage ihrer Geschichte und damit auch der
Lage der Frauen in ihr sein soll. Sonst ist es schlicht zu unverständlich, was sie
ihren Lesern mit auf den Weg geben wollte.
Bina
Shah studierte am Wellesley College und der Harvard Graduate
School of Education. Heute lebt sie in Karachi, Pakistan, wo sie als
Journalistin arbeitet. Regelmäßig erscheinen ihre Artikel über die
pakistanische Gesellschaft, Politik und Frauenrechte in der "International
New York Times". Außerdem schreibt sie Romane in englischer Sprache.
Bisher sind vier Romane und zwei Kurzgeschichtenbände erschienen.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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