Samstag, 20. April 2019

Die Geschichte der schweigenden Frauen - Bina Shah


Titel: Die Geschichte der schweigenden Frauen
Autor: Bina Shah
Originaltitel: Before She Sleeps
Verlag: Golkonda Verlag
ISBN: 978-3946503941
Euro: 22,00
Veröffentlichungsdatum: April 2019
Seiten: 336
Serie: nein
Come in: vom Verlag










Inhalt
Irgendwann in der Zukunft hat eine Obrigkeit nach Umweltkatastrophen und großen Kriegen ein Stück der Wüste bewohnbar gemacht, sie haben ihre Technik und die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt, um das Wetter und das Land zu kontrollieren. Genauso kontrollieren sie aber auch die Menschen, die in Green City wohnen. Das Handbuch hat jeder Bürger auswendig zu lernen und zu verinnerlichen. Durch ein tödliches Virus wurde zudem die Anzahl der Frauen minimiert, so dass diese sich den neuen Gesetzen beugen müssen. Ihnen werden mehrere Ehemänner aufgezwungen, damit sie so viele Kinder wie möglich bekommen. Aber es gibt noch die Panah, wo Ilona eine Zufluchtsstätte für jene geschaffen hat, die diesem Schicksal entkommen wollen. Doch auch das ist nicht umsonst.


Meinung
Spoilerwarnung!
Bina Shah hat ein unterhaltsames und gut zu lesendes Buch geschrieben, das nur leider nicht leicht zu durchschauen ist. Sprich: Ich verstehe nicht, was die Autorin mit dieser Geschichte aussagen möchte. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt es mir.
Green City ist nach Klimakatastrophen und einigen größeren Kriegen entstanden, nach denen und einem nicht näher bezeichneten Virus die meisten Frauen gestorben sind. Als Green City geschaffen wurde, mussten neue Gesetze her und um die nächste Generation zu sichern, wurden Frauen zu einer Art Ware. Sobald sie alt genug sind, werden sie Ehemännern zugeteilt, um die Reproduktion zu gewährleisten. Aber nicht alle Frauen kommen mit Ehemann Nummer sechs oder sieben klar, es gibt Selbstmorde. Auch werden die Frauen nicht oft hinaus gelassen und Kontakte untereinander werden schon im Mädchenalter unterbunden. Allerdings sind viele recht findig und finden Mittel und Wege, zumal die digitale Welt ihnen dabei helfen kann.
Ilona, die bei Beginn der eigentlichen Geschichte nicht mehr lebt, hat zwar an der Gründung Green Citys mitgewirkt, aber rasch die Panah, einen unterirdischen Schutzraum, geschaffen. Sie entführte ihre kleine Nichte Lin, die nach dem Tod der Mutter keine rosige Zukunft zu erwarten hatte. Diese ist nun knapp vierzig Jahre alt und leitet die Panah, in der mehrheitlich jüngere Frauen um die zwanzig leben. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern – Lebensmittel, Medikamente und Geheimhaltung – unterhalten die Frauen eine Art Geschäftsbeziehung zu einflussreichen Männern. Sie werden von diesen gebucht, um ihnen Gesellschaft zu leisten und Streicheleinheiten, aber keinen Sex, auszutauschen. Es ist Sabine, die in der Ich-Form von einigen dieser Treffen erzählt und auch, wie sie sich Goldpuder auf den Körper streicht, weil dieser die Scanner irreführt. Leider wird Green City selbst und auch die Welt an sich nicht näher beschrieben. Die Szenerie spielt sich lediglich in geschlossenen Räumen ab und gibt wenig Ausblick darauf, was genau geschehen ist und wie genau die Welt sich entwickelt hat. Offenbar gibt es nun drei Großreiche, aber dann wird es leider schon recht schwammig.
Die Ausgangslage hat Shah wunderbar beschrieben und dargestellt, die Seiten fliegen nur so vorbei. Doch dann wirkte es, als habe die Autorin nicht so recht gewusst, wo sie mit ihrer Erzählung eigentlich hin wollte. Da diese aus einer Kurzgeschichte heraus entstanden ist, könnte das auch gut sein.
Um ihr Leben in der Panah, wenige kleine Räume unterhalb einer alten Lagerhalle, aufrecht erhalten zu können, musste Lin Kontakt zu Männern der Obrigkeit aufnehmen und dort ihre Dienste anbieten. Leider wird es genau hier auch sehr wacklig. Es sollen Intimitäten, aber kein Sex ausgetauscht werden, die Mädchen werden oft mehrere Nächte im Monat von einem Mann gebucht. Warum ein Ehemann das mit seiner Frau nicht auch haben sollte, selbst wenn da noch andere Ehemänner neben ihm sind, erschließt sich mir nicht. Auch die Panah-Mädchen gehen noch zu anderen Männern. Wütend aber macht mich, dass die Frauen Kontakt zu den allerhöchsten Männern der Stadt, in der alles streng verreglementiert ist, bekommen und nicht einmal annähernd versuchen, etwas an ihrer eigenen Situation oder der anderer Frauen in der Stadt zu verändern. Es kommt sogar zu Szenen, wenn ein Mann einer Frau seine Liebe gesteht und sie heiraten möchte (und dafür sorgen, dass sie in der Ehe allein bleiben), aber keine der Frauen denkt weiter als bis … ja bis wohin eigentlich? Der nächsten Mahlzeit? Dass sie der Gesellschaft „eins ausgewischt“ hat? Keine einzige reflektiert ihr Leben, obwohl Kindheit und Jugend sehr wohl hier und da thematisiert werden. Aber wer sie als Frauen sind und wie es früher war, wo sie sich zukünftig sehen oder wie es anderswo auf der Welt ist – alle besitzen ein DigiTab – scheint sie nicht zu interessieren. Lin ist mit ihren knapp vierzig Jahren auch die älteste, was ebenfalls seltsam ist. Denn ihre Tante Ilona hat vermutlich noch mehr Mädchen „befreit“, die etwa in Lins Alter sein müssten. Wo sind diese geblieben? Wäre es so unlogisch, dass eine „ältere“ Frau für die Dienste gebucht wird? Dienste, die leider so fadenscheinig sind, dass es ärgerlich wird. Dann doch lieber Nägel mit Köpfen und den ganzen Weg gehen. Sex außerhalb einer Ehe ist nicht verwerflich, Prostitution ebenfalls nicht. Zumal es hier leider nichts anderes ist. Die Frage, die im Mittelpunkt hätte stehen sollen, wäre gewesen, was die Freiheit einer Frau wirklich bedeutet, eben mit Konstitutionen wie Ehe, Prostitution, Fertilität im Allgemeinen usw.
Sabine muss einiges durchstehen und wird durch eine Eileiterschwangerschaft, die sie nach einer Vergewaltigung durch Einnahme eines neuen Medikamentes (Zusammenhänge absolut unverständlich) erleidet, ins Krankenhaus gebracht. Dort trifft sie in Form eines jungen Arztes quasi ihre große Liebe, mit der sie aber nicht mehr als wenige Tage verbringt, bis sie zusammen fliehen müssen. Etwas zynisch an dieser Stelle ist übrigens die Einordnung der deutschen Ausgabe in der Onlinebuchhandlung unter anderem in die Kategorie „Erotikromane & -erzählungen“. Weder das Kuscheln noch die Vergewaltigung werden näher beschrieben und da die meisten Mädchen nicht gern zu den Männern gehen, verbindet der Roman mit Erotik schlicht gar nichts.
Eine Lösung bietet der Roman nicht. Lin findet ihre persönliche Freiheit im Selbstmord. Da hat sie den Heiratsantrag des Allerhöchsten abgelehnt, der sie aufrichtig liebt und auf den sie positiv in der Ehe hätte einwirken und so einiges bewirken können. Sie verbrennt all ihre Sachen, darunter auch alte Speichermedien mit Aufzeichnungen von Ilona. Dass ihr Verehrer die anderen Frauen wegbringen soll, hat sie noch arrangiert. Wohin und was dort mit ihnen geschieht, bleibt ungewiss. Vorher all die eben erwähnten Aufzeichnungen auf das DigiTab einer der Frauen, Rupa, zu laden und ihr einzubläuen, damit könne sie die Männer zwingen, sie in Ruhe zu lassen, macht absolut keinen Sinn. Die richtige Strategie, nur viel zu spät und ohne Plan. Sabines Freiheit besteht darin, dass sie den Zaun, der Green City umgibt, durchbricht. Da bisher nichts darauf hindeutete, dass es außerhalb überhaupt noch etwas gibt (und die Frauen sich auch nicht dafür interessiert haben), kam das mehr als überraschend. Dass dort zwei Grenzer sitzen, einer davon eine rothaarige Frau, ebenfalls. „Sie sind nun in Sicherheit.“ Aha. Inwiefern denn? Und sollte nicht genau hier die eigentliche Geschichte beginnen? Was macht Rupa mit den Aufzeichnungen? Werden sie auch ins Draußen fliehen und die Frauen in Green City sich selbst überlassen so wie auch zuvor? Werden sie kämpfen? Ehrlich gesagt deuten die wenigen Details darauf hin, dass die meisten Frauen sich Ehemänner ihrer Wahl nehmen und Kinder bekommen werden. Wie ihr Leben aussehen und wo es stattfinden wird, bleibt ungewiss. Ich glaube, an diesem Punkt hat sich die Autorin quasi ein wenig selbst im Weg gestanden.
Bis zur Einlieferung ins Krankenhaus habe ich „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ sehr gern gelesen, dann wird es einfach zu schwammig und unglaubhaft. Das Ende kommt auch reichlich zackig und ergibt zudem keinen Sinn. Da die Stadt und die Welt im Allgemeinen nur sehr unzureichend beschrieben werden, kann das leider auch nicht der Phantasie des Lesers überlassen werden. Das hat Hazem Ilmi in „Die 33. Hochzeit der Donia Nour“ sehr viel besser verstanden, als er seinen Roman ebenfalls in der Zukunft in einem ähnlichen Szenario und mit ähnlich schlechter Lage der Frauen angesiedelt hat. Vielleicht muss Frau Shah da auch ein wenig mehr aus sich herauskommen, direkter werden. Aber in erster Linie überlegen, was genau die Grundaussage ihrer Geschichte und damit auch der Lage der Frauen in ihr sein soll. Sonst ist es schlicht zu unverständlich, was sie ihren Lesern mit auf den Weg geben wollte.


Bina Shah studierte am Wellesley College und der Harvard Graduate School of Education. Heute lebt sie in Karachi, Pakistan, wo sie als Journalistin arbeitet. Regelmäßig erscheinen ihre Artikel über die pakistanische Gesellschaft, Politik und Frauenrechte in der "International New York Times". Außerdem schreibt sie Romane in englischer Sprache. Bisher sind vier Romane und zwei Kurzgeschichtenbände erschienen.


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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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