Donnerstag, 24. Januar 2013

(queergelesen) Früh übt sich - Mit Kinderbüchern spielerisch Toleranz lernen


Die Autorin Juliette Bensch ("Last minute Liebe") liest und schreibt über queere (Literatur-)Themen.

Früh übt sich
Mit Kinderbüchern spielerisch Toleranz lernen
 
Wer erinnert sich nicht an sein liebstes, erstes Vorlesebuch? Eines, das man sich immer und immer wieder als Kind durchblättern konnte und nicht müde wurde, die Stimme eines Erwachsenen zu hören, der die Bildergeschichten mit Worten unterlegt. Es sind Bücher, an die man sich noch Jahre später mit besonderer Sentimentalität erinnert.
Da queere Themen offenbar in allen Genres der Literatur vertreten sind, muss es auch entsprechende Kinderbücher in den unendlichen Weiten der Literaturwelt geben. Ich bin für euch auf die Suche gegangen und möchte euch in diesem Beitrag einige Beispiele vorstellen. 



Märchenhaft entführt uns „König und König“ von Linda de Haan und Stern Nijland in das Schloss auf dem Berg, in dem eine namlose und in die Jahre gekommene Königin regiert. Sie ist den Job jedoch leid und will in Pension gehen. Prämisse dafür ist die Heirat ihres Sohnes und Thronfolgers. Bei der Suche nach der passenden Partie für den Prinzen erinnert die Geschichte ein wenig an das Märchen vom König Drosselbart. Keine Prinzessin erfüllt die Ansprüche des Regenten in spe. Anstatt jedoch wie die Prinzessin im ‚Drosselbart’ zur Heirat mit einer nicht standesgemäßen Partie gezwungen zu werden, erwischt es den Prinzen beim Anblick des Prinz Herrlich, dem Bruder von Prinzessin Liebegund.
„König & König“ kommt mit dieser simplen Geschichte gänzlich ohne Antagonisten aus und serviert uns damit eine schlichte Liebesgeschichte, deren Figurentiefe jedoch zu wünschen übrig lässt. Die Illustrationen bestehen aus aufwendig gestalteten Collagen, an deren Stil man sich erst ein wenig gewöhnen muss.

Überraschend anders ist auch die Gestaltung von „Irgendwie Anders“ von Kathryn Cave und Chris Riddell. Das gleichnamige Fabelwesen und dessen Umgebung wird von der Farbe Blau – dem Symbol für Traurigkeit – und viel Schatten dominiert. Eigentlich ist Irgendwie Anders ganz putzig mit seinem großen Kopf, den Knopfaugen und der riesigen Nase, wenn ihm nicht alle Welt einreden würde, dass er nicht dazugehört, weil er eben genau so ist, wie sein Name suggeriert. Er sieht anders aus als die anderen, spielt anders und isst anders. Eines Tages steht das Etwas vor seiner Tür und sucht einen Freund. Mit blondem Fusselhaar und Rüssel ist das rote Etwas so ganz anders als Irgendwie Anders. Die jungen Leser können beobachten, wie Irgendwie Anders das gleiche tut, was ihn selbst so oft verletzt hat: er schneidet das Etwas. Doch natürlich bleibt es nicht dabei und trotz des guten Ausgangs hält die letzte Seite dieses bezaubernden Buchs einen besonderen Aha-Moment parat.
„Irgendwie Anders“ thematisiert nicht explizit Homosexualität oder Homophobie. Es ist viel universeller, fernab von Genderzuschreibungen, aber nicht minder effektvoll, da das Buch Anlass gibt, über alle möglichen Ausprägungen von Anderssein und den Umgang damit nachzudenken. Wir sind doch alle ein bisschen anders als die anderen.

Ein besonderes Kleinod ist das schwedische „Luzie Libero und der süße Onkel“ von Pija Lindenbaum. Es beginnt damit, dass Luzies Eltern in den Urlaub fahren. Sie bleibt daheim und wird von ihrer Oma umsorgt. Bei ihr im Haus wohnen auch drei von Luzies Onkeln, der vierte, Onkel Tommy, kommt ab und an zu Besuch und kümmert sich ebenfalls um sie. Wenn er da ist, blüht Luzie auf. Der Frisör mit den fröhlich gemusterten Hemden ist so anders als seine spießig dargestellten Brüder. Er stylt Luzies Haare und spielt genau das mit ihr, was sie möchte, auch wenn die meisten Erwachsenen das ein oder andere pädagogisch bedenklich finden würden. Dann tritt jedoch Günther in das Leben von Tommy und Luzie. Die ist plötzlich von Eifersucht geplagt und spielt dem „langweiligen“ Günther allerhand Streiche. Ihr kindlicher Trotz spitzt sich so sehr zu, dass man schmunzeln muss, ohne je an der Authentizität von Luzies Gefühlen zu zweifeln. Im Schwimmbad fragt Günther beispielsweise nach dem Turmspringen: „‚Wie viele Punkte gibt das?’ – ‚Volle zehn, ganz klar’, antwortet Tommy. – Null Millionen, denke ich, sage aber nichts, weil ich ja so tue, als wäre er gar nicht da.“ Und während man Luzie beim Schmollen zuschaut und hofft, dass sie ihren Stolz überwinden kann, bemerkt man kaum, dass Onkel Tommy und Günther offenbar schwul sind.
„Luzie Libero und der süße Onkel“ geht wunderbar selbstverständlich mit dem Thema um und man spürt, dass es Luzie nicht um den Mann an Tommys Seite geht, sondern darum, dass sie jetzt neben ihrem Onkel für ihn Platz machen muss.

Die letzte Empfehlung ist das Sachbuch „Alles Familie: Vom Kind der neuen Freundin, vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten“ von Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl. Sehr simpel, aber doch mit heiteren Beispielen wird erklärt, was ausnahmslos jeder hat: die Familie. Jedoch kennt jeder nur die eigene mögliche Familienkonstellation und läuft damit Gefahr, alles, was diesem Schema nicht entspricht, zu verurteilen. Das Buch lässt keine Fragen offen. Es zeigt die historische Entwicklung von Familienkonstellationen und stellt mögliche Familienverhältnisse dar: die klassische Kinderbuch-Vater-Mutter-Kind-Konstellation, Scheidungsfamilien, unverheiratete Eltern bzw. solche mit neuen Partnern, verwitwete Elternteile, Patchworkfamilien, Adoptionen, Wahlverwandtschaften, Kinderheimfamilien und natürlich auch Regenbogenfamilien.
Es geht aber nicht nur darum, zu zeigen, was es alles geben kann, sondern nebenbei werden immer auch Gefühle mit ins Spiel gebracht. Welche Beziehung kann man zu seinen Verwandten haben? Wie geht man damit um, wenn man zwei Kinderzimmer hat, eines beim Vater, eines bei der Mutter? Wie fühlt man sich bei einem Familienstreit? Am Ende – und das liegt auf der Hand – fordert „Alles Familie“ dazu auf, von der eigenen Familie zu berichten. Jetzt ist auch klar: es gibt kein richtig oder falsch, besser oder schlechter. Und wenn, dann wird dies nur anhand der Zufriedenheit des Kindes gemessen. Sollte in keinem Kindergarten und keiner Grundschulbibliothek fehlen!

Insgesamt fällt auf (auch mit Blick auf die weitere, unten aufgeführte, Kinderliteratur), dass in Kinderbüchern zum Thema Homosexualität ein deutlicher Fokus auf Männern liegt. Das entspricht der medialen Repräsentation von Homosexualität (schwule Politiker, schwule Superstars, kein Frauenfilm ohne den besten, schwulen Freund der Protagonistin). Auf der anderen Seite richtet sich homophobe, (physische) Gewalt zu einem Großteil gegen Männer, weshalb der Abbau von Vorurteilen gegenüber Schwulen durchaus berechtigt ist (immerhin ist „schwul“ Schimpfwort Nummer eins auf deutschen Schulhöfen). In Anbetracht der Tatsache, dass jedoch das Thema Familienplanung in lesbischen Partnerschaften längst kein Tabu mehr ist, fehlt auf dem deutschen Markt durchaus noch ein Titel, der diese Familienkonstellation in besonderer Weise berücksichtigt. In anderen Ländern hat man das schon vor 20 Jahren erkannt. Bis es soweit ist, lesen wir einfach noch mal „Alles Familie“.

Weitere Kinderbücher zu diesem Thema (teilweise jedoch nicht mehr lieferbar):
Carola Holland, Edith Schreiber-Wicke: Zwei Papas für Tango (ISBN: 978-3522435284)
Gabriele Kreuzsaler, Mario Jorge da Cunha Machado: Eberhard, die schwule Sau (ISBN: 978-3932657078)
Michael Link, Sabine Schöneich: Komm, ich zeig dir meine Eltern (ISBN: 978-3935746229)
Michael Willhoite: Papas Freund (ISBN: 978-3928951081)

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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