Dienstag, 12. September 2023

(Interview) Verlag ohneohren: „Die Autor*innen einfach mal schreiben lassen.“

 

Aus der Kleinverlagsszene nicht mehr wegzudenken, ist der 2013 gegründete ohneohren-Verlag, der in Wien seinen Sitz hat. Herkömmliche Geschichten sind in diesem phantastischen Verlag nicht zu finden. Wie es zur Gründung kam, was hinter dem Namen steckt, warum man Autoren auch einfach mal machen lassen muss und was der Verlag in Zukunft zu bieten hat, kann in diesem Interview nachgelesen werden.
Vielen herzlichen Dank an Verlegerin Ingrid für ihre Zeit und Mühe beim Beantworten der Fragen!

Alle Seiten/Kontaktdaten: https://linktr.ee/ohneohren

 


Wann und aus welchem Impuls heraus wurde der Verlag ohneohren gegründet? Oder: Wie wird man Verlegerin?

Das ist eine sehr persönliche Geschichte und, glaube ich zumindest, bei jedem Verlag ein bisschen anders. Geschrieben habe ich, wie es das Klischee so möchte, quasi schon immer. Mit der Zeit bin ich dann bei diversen Kleinverlagen untergekommen, habe aber eine „schräge Nische“ vermisst, die neue Themen erschließt, also habe ich frech gegründet.
Auf der persönlichen Ebene konnte ich mit klassischem Broterwerb á la 9 to 5 noch nie viel anfangen, der Weg in die Selbstständigkeit war also vorgezeichnet. Und eigentlich bin ich Linguistin.

Was steckt hinter dem Verlagsnamen?
Der Abschied vom symbolischen Elfenohr (und damit die Weigerung, „klassische Völkerfantasy“ zu verlegen, das machen schon andere).

 

Welche (Unter-)Genres umfasst der Verlag, was wird veröffentlicht und was nicht?
Der Schwerpunkt liegt auf Science-Fiction und Dark-/Urban-Fantasy. Es gibt aber immer wieder Ausflüge in andere Welten und Themenbereiche bzw. werden Genres bei uns nicht so extrem dogmatisch-eng gefasst. Wahrscheinlich ist es einfacher, zu sagen, was nicht ins Programm passt: Extrem-Splatter-Horrorkram, zu viel Weltrettungsepik und Dinge, die einfach keine Verbindung zu einer Spielart von Phantastik haben.


Titel wie „Heimchen am Schwert“ und „Urban Fantasy Going Fat“ verraten es: Dem Verlag sind soziale Themen sehr wichtig. Wie genau drückt sich das in der (täglichen) Verlagsarbeit aus? Wovon könnten andere Verlage lernen? Gibt es vielleicht auch Nachteile?

Die tägliche Verlagsarbeit ist ja an sich ein soziales Thema. Autor*innen, Herausgeber*innen und Mitarbeitende kommen aus ganz unterschiedlichen Lebenslagen – der Verlag ist also quasi in der Essenz, was er verlegt. Und dadurch kommen auch immer wieder neue Themen dazu, weil wir Menschen kennenlernen, die auch nahe am eigenen Leben schreiben.

Dass andere davon lernen können, wäre mir zu weit gegriffen. Es funktioniert schließlich nicht immer, auf alle Bedürfnisse einzugehen. Und auch in punkto Repräsentation sind wir ständig dabei, neue Themen zu erschließen. Wenn es eins gibt, das wir ganz gut machen: Die Autor*innen einfach mal schreiben lassen. Verabschiedet man sich erst einmal von den fixen Mustern, die an Phantastik manchmal angelegt werden, kann man ganz frische Dinge entdecken. Und die Lesenden sind da auch oft positiv überrascht. Und am Ende entscheiden ja sie, was gelesen wird.

Nachteile gibt es. In dem, was sich oft „die Bubble“ nennt, gibt es auch Streit, Neid und Missgunst. Nicht jede Mail ist freundlich und man geht nicht mehr auf jede Veranstaltung. Aber wie schon erwähnt: Am Schluss entscheiden die Lesenden und deren Feedback ist sehr überwiegend positiv. Böse gesagt wohne ich in sehr vielen Köpfen mietfrei, seit ich mich für die momentane Verlagsausrichtung entschieden habe. Das amüsiert mich aber. Ich schlafe sehr gut mit dieser seltsamen Allmacht der Themenbestimmung, die uns da zugesprochen wird.

Werden Autoren gesucht? Für wen macht es Sinn, sich an den Verlag zu wenden?
Im Moment suchen wir keine neuen Geschichten, das Programm ist straff durchgeplant bis ca. Ende 2025. In nächster Zeit sind die Chancen da leider schlecht.

Wie ist die Coverauswahl vonstattengegangen? Welche Idee und welcher Coverkünstler konnten sich durchsetzen und warum?
Das kommt immer ein bisschen auf das Buch an. Bei „Das Mädchen und der Leuchtturm“ hat zum Beispiel Autor Thilo Corzilius bereits ein fertiges, sehr schönes Cover mitgebracht. Autorin Lena Richter wollte bei „Dies ist mein letztes Lied“ mit der Künstlerin Ephi zusammenarbeiten, was sehr gut gepasst hat. Die meisten Cover mache ich aber selbst. Mein Vater ist selbständiger Grafikdesigner und ich bin damit aufgewachsen, Grafikkram selbst zu machen. Und die Autor*innen haben bei uns ein Mitspracherecht, wenn es schon bestimmte Vorstellungen und Wünsche gibt. Zur Auswahl von Künstler*innen durchforsten wir sowohl klassische Stock-Portale als auch manche Twitter-Accounts. Bisher hat das immer sehr gut funktioniert. Trends werden berücksichtigt, wobei sich die bei uns im Verlag etwas von den „globalen Trends“ unterscheiden. So habe ich in den letzten Jahren bei unseren Lesenden ganz bestimmte Farbpräferenzen bemerkt. Es macht dann Spaß, damit zu spielen und auch einmal zu experimentieren. Science-Fiction muss nicht immer Schwarz-Neonblau sein. 😉


Welche Leser sollten unbedingt reinschauen? Wem sind die Bücher zu empfehlen und wem nicht? Arbeitet der Verlag auch mit Bloggern zusammen?

Wir wenden uns in erster Linie an ein erwachsenes Publikum, das bereits phantastik-affin ist. Allerdings bemerke ich eine spezielle Zielgruppe, nämlich jene der Menschen, „die sowas eigentlich nicht lesen“. Anhand unserer Analysen ist unsere Zielgruppe viellesend, zwischen 25 und 40 Jahren alt und überwiegend weiblich (wobei ich solchen Angaben aufgrund der mangelnden Auswahlmöglichkeiten vieler Portale eher skeptisch gegenüber stehe). Ich würde sagen, dass jede Person, die prinzipiell gerne liest und auch nicht vor einer hohen Dichte an Kurzgeschichten zurückschreckt, bei uns gut fündig wird.
Meine Mitarbeiterin Birgit unterstützt mich bei der Blogger*innensuche und wir veranstalten Leserunden auf unterschiedlichen Portalen. Wir sind da sehr offen und stellen auch gerne Exemplare mancher Bücher zum Verlosen bereit. Das ist immer eine sehr individuelle Zusammenarbeit.

Werden 2023/24 Verlagsveranstaltungen stattfinden? Wenn ja, wo und wann?
Wir haben so eine Dreieinigkeit der Veranstaltungen etabliert, auf denen wir fix zu finden sind: Buch Berlin (letztes Septemberwochenende 2023), BuCon (Dreieich am 21. Oktober) und dann kleine Messen nach Bedarf und Budget. Letzteres können kleine Lesungen sein oder, wie dieses Jahr, neue Veranstaltungen wie die Vegan Fantasy Fair.
Auch online sind wir da sehr aktiv. Einmal im Monat gibt es eine Stunde „Frag den Verlag“ auf unserem Discord-Server und wir versuchen auch so viel wie möglich zu streamen, damit mehr Menschen in den Genuss unserer Veranstaltungen kommen.

Können wir zum Schluss noch einen kleinen Ausblick bekommen? Was erwartet die Leser in der (nahen) Zukunft?

In diesem Jahr rappelt es noch ganz schön in der Buchkiste. Im Oktober wird es den vierten Teil der „Valkyrie“-Reihe von Tina Skupin geben – ein Muss für alle Urban Fantasy- und Schweden-Fans, die gerne mal Humorvolles mit Action lesen. Eleanor Bardilac ist auch für den Oktober mit „Knochenasche rottet nicht“ bei uns gelandet, einer magisch-phantastischen Fortsetzung von „Knochenblumen welken nicht“, das im Knaur Verlag erschienen ist – gerade Sprach- und Weltenbauverliebte werden hier auf ihre Kosten kommen. Und an Halloween erscheint „Verrufen“ eine Grusel-Anthologie von Ana J. Reinhardt, die bewusst auf den Gänsehautfaktor setzt und verrufene Orte erkundet, ohne aber den klassisch-ekligen Horror zu bedienen. Für mich sind das Lagerfeuer-Klassiker, bei denen ich mir mit der Taschenlampe von unten das Gesicht anleuchte. Und vor Weihnachten gibt es noch einen überraschenden Roman für jene Menschen, die Steampunk einmal etwas anders lesen möchten.

Muss sonst noch etwas gesagt werden?
Lest Bücher! Und erzählt weiter, dass sie euch gefallen haben. Oder dass sie euch sauer gemacht, berührt oder verliebt zurückgelassen haben. Die Kleinverlagsszene ist nicht so bekannt, wie wir gerne wären, dabei bringen die Kolleg*innen und ich ganz viel Vielfalt in die Phantastik. Unsere Autor*innen wollen gelesen werden – es lohnt sich.

Danke für das Interview!

 

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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