Dienstag, 20. Dezember 2022

Zweckfreie Kuchenanwendungen - Yeoh Jo-Ann

 

Singapur. Der Englischlehrer Sukhin stürzt in eine tiefe Sinnkrise, als ihm seine ehemalige Freundin Jinn als Obdachlose auf der Straße begegnet.

 

 


Titel: Zweckfreie Kuchenanwendungen
Autorin: Yeoh Jo-Ann
Originaltitel: Impractical Uses of Cake
Verlag: ‎ Alfred Kröner
ISBN: 978-3520625014
Euro: 24,00
Veröffentlichungsdatum: Oktober 2022
Seiten: 320
Serie: nein
Come in: vom Verlag

 

 

 

Inhalt
Singapur. Der fünfunddreißigjährige Englischlehrer Sukhin lebt zurückgezogen und gern für sich. Außer seiner Arbeit, dem Besuch der Eltern und seinen Büchern gibt es kaum etwas in seinem Leben. Eine Beziehung ist nicht in Sicht, auch wenn die Mutter es gerne sähe und Sukhins einziger Freund ist sein (schwuler) Kollege Dennis. Als man ihn nötigt, Deko für das Chinesische Neujahrsfest einzukaufen, stolpert er über eine obdachlose junge Frau. Entsetzt erkennt er seine ehemalige Freundin Jinn, die einst alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und verschwunden war. Pflichtbewusst kümmert er sich um sie, bringt ihr Essen und Kleidung. Sie offenbart sich stückchenweise – und Sukhin stürzt in eine Sinnkrise.

 

 


Meinung

Singapur ist ein kleiner Stadtstaat südlich von Malaysia (unter Thailand), der ein globales Finanzzentrum mit einem tropischen Klima besitzt. Die Gesetze sind sehr streng und werden neben Gefängnisstrafen auch mit körperlichen Züchtigungen geahndet. Dazu zählt Kaugummikauen ebenso wie homosexuelle (sexuelle) Handlungen (auch wenn diese seit August 2022 entkriminalisiert wurden). Jedes Jahr reisen über zehn Millionen Menschen aus aller Welt dorthin und lassen sich von den Hochhäusern, Tempeln und anderen imposanten Bauwerken begeistern. Um sich das Leben dort leisten zu können, werden schon einjährige Kinder zur Bildung gedrillt, das Schulsystem ist äußerst streng und hierarchisch. Davon weiß auch Sukhin als Lehrer viel zu berichten. Er, der er sehr belesen ist, möchte seine Schüler zum wirklichen Nachdenken anregen, nicht nur zum bloßen Auswendiglernen. Da der Leistungsdruck so hoch ist, versuchen es die Schüler auch, aber Sukhin fordert sie auf eine Weise, die sie nicht kennen. Was möchte er hören? Ihn frustriert es zusehends, dass die junge Generation offenbar nicht mehr (weiter-)denken kann.

Freunde hat er keine, bis auf Dennis, seinen durch seine Ausdrucksweise und Handlungen rasch als schwul erkannter Kollege. Ob diese Figur ein wenig klischeehaft geworden sein könnte, liegt im Auge des Betrachters. Immerhin, er lässt sich nicht abschütteln und bringt so die ein oder andere neue Note in Sukhins Leben.

Seine Eltern sind gutsituiert und bilden eine gute Mischung der multikulturellen Bevölkerung Singapurs. Sie sammeln Pappkartons in jeder Größe für den Fall, dass sie einmal umziehen werden. Was in den letzten dreißig Jahren nicht der Fall gewesen ist.

Viel Abwechslung bietet sein Leben nicht, aber Sukhin ist zufrieden, selbst wenn er sich unterbewusst fragt, was dieses Leben wohl noch für ihn bereithalten könnte. Der wortkarge Mann, der schriftlich jedoch ein ganz anderer wird, wirkt manchmal etwas grantig, aber genau das macht seinen Charme aus. Er wird nie gemein, bleibt immer ehrlich und denkt frei. Die Autorin hat mit ihm einen sehr sympathischen, einprägsamen Charakter geschaffen.

Als ausgerechnet er nach Chinatown zur Beschaffung von Dekomaterial geschickt wird, kann Sukhin sich nichts Schlimmeres vorstellen. Bis er über eine Kartonwohnung einer Obdachlosen stolpert. Es ist seine Exfreundin Jinn, die einst verschwunden ist, obwohl sie aus einer gutsituierten Familie stammte und einen gut bezahlten Job hatte.

Ab hier muss der Leser die Situation in Singapur bedenken. Einiges wird von der Autorin angerissen und zwischen den Zeilen recht lebendig dargestellt. Es schadet aber nicht, dies noch einmal gesondert nachzulesen. Nicht erst ganz am Ende, das ein wenig verwirrend ist, muss man sich fragen, wie westlich zeitgeistig sich die Autorin ausrichten wollte. Es ist immer ein bisschen schade, wenn die Handlung plötzlich quasi auch in Europa oder den USA spielen könnte und der Bezug zu Singapur damit verloren geht.

Was ist ein Leben und was macht dieses lebenswert? Genau darum dreht sich die Grundfrage. Ist es Geld/Reichtum? Leistung (in einer Leistungsgesellschaft), immer mehr, immer schneller, immer größer? Oder Liebe?

Dass Yeoh Jo-Ann einen Nerv bei ihren Landsleuten getroffen und so einen Preis gewonnen hat, glaube ich gern. Haltet auch einmal inne und erfreut euch an den kleinen Dingen. Vergesst nicht euch selbst bei allem. Jinn jedenfalls scheint ausgestiegen und schafft mit ihrer Obdachlosenspeisung etwas völlig Neues. Sie scheint nicht mehr Teil der strengen, auf Leistung getrimmten Gesellschaft zu sein, in der falsche Werte gefördert werden. Sie hat selbst gedacht, ihre Welt dadurch mit anderen Augen gesehen und Lösungsansätze geschaffen. Wenn alle immer nur dem vorgezeichneten Weg folgen, bringt das eine Gesellschaft nicht unbedingt weiter. Die Autorin und Jinn haben das gut erkannt.

Die Geschichte liest sich weg wie nichts, einmal begonnen, ist es schwer, sie zur Seite zu legen. Wie ein Stück schmackhaften Kuchens, dem man gern noch ein zweiten folgen lässt.

 

 


Yeoh Jo-Ann isst kein Gemüse, trinkt viel zu viel Kaffee und macht viel zu wenig Sport. Als sie klein war, träumte sie davon, eine Katze zu werden – oder Rockstar. Stattdessen arbeitete sie acht Jahre lang in einem Verlag und wurde schließlich Herausgeberin von SPH-Magazines, eines singapurischen Zeitschriftenverbandes, bevor sie ihre Karriere aufgab und eine neue im Digital Marketing begann. Vor ihrem ersten Roman ›Impractical Uses of Cake‹, für den sie aus dem Stand mit dem Epigram Books Fiction Prize ausgezeichnet wurde, hat sie zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht. Momentan arbeitet Yeoh Jo-Ann an ihrem zweiten Roman.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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