Dienstag, 5. Mai 2020

Das Tor - Basma Abdel Aziz


Titel: Das Tor
Autorin: Basma Abdel Aziz
Originaltitel:
Verlag: Heyne
ISBN: 978-3453320468
Euro: 14,99
Veröffentlichungsdatum: April 2020
Seiten: 288
Serie: nein
Come in: vom Verlag










Inhalt/Klappentext
Ein nicht näher benanntes Land im Nahen Osten: Seit der Niederschlagung der Revolution brauchen die Bürger für jede noch so kleine Kleinigkeit in ihrem Leben – sei es die Überweisung zum Arzt oder die Erlaubnis, Brot zu kaufen – die Genehmigung des Staates. Um die zu erhalten, müssen sie sich vor einem riesigen Tor anstellen, das angeblich jeden Tag nur einer gewissen Anzahl an Anträgen stattgibt. In Wirklichkeit aber öffnet sich das Tor niemals, und die Schlange der Menschen, die in der glühenden Hitze warten, wird länger und länger, ihre Verzweiflung immer größer. Und doch will keiner von ihnen die Hoffnung aufgeben, dass das Tor eines Tages aufgehen wird ...


Meinung
Das Tor ist neu, irgendwie über Nacht entstanden, eine neue Mischung aus Bürokratie, Diktatur und Überwachung. Das Tor ist alles, denn ohne es geht nichts. Die Schlange aus den unterschiedlichsten Menschen der Gesellschaft, die sich davor aufgereiht hat, wird immer länger. Sie warten, denn alle haben ein Anliegen, ohne jenes es nicht weitergehen kann. Doch das Tor öffnet sich nicht – und Gerüchte entstehen, werden zu Mutmaßungen und zu Verdächtigungen. Und mitten drin die einzelnen ausgewählten Charaktere, die ein sehr breit gefächertes Bild einer fiktiven arabischen Welt aufzeigen sollen. Und immer wieder das Tor, das zu wissen scheint, was vor sich geht, das lenkt und vertuscht.
Man sieht, einfach macht es die Autorin ihrer Leserschaft nicht. Und obwohl das Werk gelungen ist, braucht es jedwedes Stehvermögen, um bis zum Ende durchzukommen. Das liegt vor allem daran, dass die Autorin alles nur nacherzählt (in kurzen, knappen Sätzen) und keinerlei aktive Szenen gestaltet. Es stockt mit jeder fortschreitenden Seite mehr und nur sehr beherzte Leser vermögen es, nicht vorzublättern oder Seiten zu überspringen. Denn gleichzeitig arbeitet Abdel Aziz auch mit Bildern, die zu verstehen als Europäer nicht immer ganz einfach ist. Wer sich jedoch die Mühe macht, dranzubleiben und über eine zumindest mäßige politische und kulturelle Bildung verfügt, wird schnell merken, was die Autorin hier geschaffen hat. Sie greift allerhand Themen auf, die sozialkritisch zu betrachten sind, verliert aber nie den Sinn für ihre Erzählung. Vieles wirkt unglaublich, manches abstrus, einiges recht düster. Dass Abdel Aziz jedoch nicht nur fabuliert und philosophiert, sondern aus realen Ereignissen schöpft, macht ihr Werk nur umso besser.
Die Übersetzung direkt aus dem Arabischen ist gelungen, die Übersetzerin auch eine der bekanntesten für Arabisch-Deutsch. Mir sind nur zwei Dinge bei der nachträglichen eigenen Recherche aufgefallen. Im Werk gibt es den „Mann im Dschilbab“, aber ein solches Kleidungsstück für den Mann (eben nur für die Frau) scheint es nicht zu geben. Ich dachte zunächst an dieses bodenlange Gewand, das manche Männer in arabischen Ländern tragen (Kaftan). Ein Dschilbab ist jedoch ein Obergewand, das Kopf und Oberkörper bedecken soll. Handelt es sich um einen Übersetzungsfehler oder soll das so? Des Weiteren kommt nur ein einziges Mal das Wort „Allah“ vor, in allen anderen Fällen ist es „Gott“. Das erschien mir nicht passend und das gleich aus mehreren Gründen.
„Das Tor“ ist keine leichte Lektüre, lohnt aber in jedem Fall. Von einer dystopisch totalitären Welt, undurchsichtigen Befehlen und Weisungen, strengen ideologischen, religiösen, geschlechtlichen und gesellschaftlichen Anschauungen und genug Parallelen zu unserer Zeit und Welt ist alles vorhanden.

Erste deutsche Coverversion.

Zweite deutsche Coverversion.

Englischsprachige Coverversion.

Basma Abdel Aziz wurde 1976 in Kairo, Ägypten, geboren. Sie arbeitet als Künstlerin, Schriftstellerin und Psychiaterin, wobei sie auf die Behandlung von Folteropfern spezialisiert ist. In ihrer Heimat setzt sie sich unermüdlich für den Kampf gegen Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte ein. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Kairo.

6 Kommentare:

  1. Interessant, die unterschiedlichen Cover hier zu zeigen. Wie bist Du an sie gekommen? Interessant auch, dass ich in diesem Fall nachvollziehen kann, dass für den deutschen Titel nicht "Die Schlange" verwendet wurde, sondern "Das Tor", was ich gleichfalls passend ist.
    Dass "Allah" durch das neutralere Wort "Gott" ersetzt wurde (wenn das im Original nicht auch schon so war, wer weiß?), dürfte sicherlich an der deutlich empfindsameren Natur der Muslime liegen, wenn der Name Gottes in einem in ihren Augen nicht rechten Licht steht. Dem Buch ist ja durchaus an allem Ecken und Kanten anzumerken, dass die Autorin provozieren möchte, ohne irgendwem direkt auf die Füße zu treten.

    Wenn Du Lust zum stöbern hast.

    Viele Grüße
    Frank

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    1. Hallo Frank,

      willkommen im Blog!
      Ich habe das originale Cover (also das arabische) gesucht und bin auf die anderen Cover aufmerksam geworden. Das vorherige deutsche Cover mit dem orangen Auge war es, das mich einst auf das Buch aufmerksam gemacht hat (und das ich immer noch favorisiere). Ich glaube aber, dass das jetzige als Verkaufsargument vielleicht doch die bessere Wahl ist. Übrigens heißt es im Original wohl sogar "Die Warteschlange", aber stimmt, es passt beides. :)
      Nun, das Wort kommt ja nur einmal, dafür aber in einer Wortzusammenfügung vor, die zumindest in Europa für ziemlich viel Empfindsamkeit sorgt. Wie es im Original ist, kann ich leider nicht sagen, gibt es dort zwei Wörter für "Gott"? Vielleicht ist es auch die Entscheidung des deutschen Verlages gewesen, wer weiß.
      Danke, ich schaue schon regelmäßig vorbei ;-)

      LG
      Daniela

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    2. Ja, im Englischen heißt es ja auch Queue - ich hadere ja oft mit den deutschen Lokalisierungen, aber in diesem Fall find ich die auch gelungen. Ich glaub aber nicht, dass der Verlag Einfluss auf die Wortwahl genommen hat und ich habe keine Ahnung, ob es im Arabischen auch eine Unterscheidung zwischen Allah und Gott gibt. Interessante Fragestellung :)

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    3. Stimmt. Ich bin mit dem deutschen Titel allerdings auch sehr einverstanden. Und nun, wie viele Worte haben wir für "Gott"? ;-)

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    4. Ich habe geforscht und tatsächlich ist "Allah" die Übersetzung für Gott im Allgemeinen, also nicht nur für den islamischen, sondern auch für den christlichen oder jüdischen oder wen es da sonst noch so gibt. Es dürfte sich demnach um einen Fehler im Buch handeln, wenn dort noch Allah zu finden ist, da ja schon durchgängig von Gott die Rede ist.

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    5. Ich glaube nicht an einen Fehler, es ist ja die Wortzusammensetzung an dieser Stelle, um die es geht. Und mit Gott würde die nun wieder nicht funktionieren, da das zweite Wort ebenfalls nicht übersetzt wurde.
      Ansonsten sehr interessant. :) Ich gebe zu, so etwas interessiert mich sehr, so dass ich mich daran "festbeißen" könnte. :)

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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