Autorin: Darren McGarvey
Originaltitel: Poverty
Safari: Understanding the Anger of Britain's Underclass
Verlag: Luchterhand
ISBN: 978-3630876122
Euro: 15,00
Veröffentlichungsdatum: August
2019
Seiten: 320
Serie: nein
Come in: vom Verlag
Meinung
McGarvey,
der nie viel gelesen, umso mehr gedacht, aber nicht viel gesagt hat, legt nach
einem bewegten Leben dieses Buch vor, das so intensiv und auf den Punkt
gebracht das Problem – nicht nur in England/Schottland, sondern europaweit –
analysiert, das es schwer ist, sich emotional zu entziehen. Dabei mischt er
Fakten mit Details seines eigenen Lebens, Erlebnisse als Kind und Jugendlicher
genauso wie Begebenheiten aus seiner Arbeit. Wer zudem mehr über Randgebiete
des Landes, das bei uns nur in Bezug auf „Brexit“ in die Medien kommt, erfahren
will, z.B. lokale Gruppen, die sich sozial oder ökologisch engagieren, sollte
ebenfalls zugreifen. Ein bisschen Eigenrecherche gehört aber nach dem Lesen
dazu.
Aufgewachsen
mit mehreren Geschwistern bei einer alkoholabhängigen Mutter, die früh
verstarb, schien McGarveys Leben vorgezeichnet. Er wurde selbst drogenabhängig,
hatte keine (Aus-)Bildung und lief sogar Gefahr, obdachlos zu werden. Bis er
seine Einstellung zu sich und seinem Leben geändert und seitdem eine Menge
geschafft hat. Doch sein Leben fließt nur hier und da ein, das ist keine
Biografie.
Im
Grunde hangelt sich der Autor an zwei Grundprinzipien hoch, die er
verantwortlich für Armut und ihre (sehr weitreichenden) Folgen hält: die
Bedingungen von außen und die Eigenverantwortung des Einzelnen bzw. deren
Fehlen. An beide Punkte geht er sehr sozialwissenschaftlich und teilweise auch
psychologisch heran, nimmt sich aktuelle politische oder gesellschaftliche
Ereignisse und verflechtet sie mit eigenen Erfahrungen.
Äußere
Bedingungen können verfehlte Sozialpolitik sein, unrealistische Schulbildung
und das Fehlen eines Sprachrohres in der Öffentlichkeit. All das führt
letztendlich zu einer Art Verdrossenheit, ohnehin nichts gegen „die da“
unternehmen zu können und das in das in jungen Jahren Erlernte, das Unterordnen
und keine Schwäche zeigen, mündet. Dabei geht er auch konkret an die Medien
heran: worüber wird oft tagelang berichtet; niemand in den medialen Kreisen,
der sich für die Unterschicht und ihre Situation interessiert und sie versteht?
Aber
auch mit den Mitgliedern der Unterschicht selbst geht er hart ins Gericht. Wie
das eigene Leben geführt wird, welche Menschen man ins eigene Umfeld lässt, wie
man sich selbst gibt, dass man in etwa auf die eigene Ernährung achtet (klingt
unwichtig? McGarvey hat sich jahrelang nur von Fastfood ernährt), die eigene
Bildung, wenn sie möglich gemacht wird, etc. Das, was trivial klingt, ist es
nicht in einem Umfeld, in dem der Autor aufwuchs, wo es nicht „cool“ war,
gebildet zu sein, in der es eine bestimmte Art gab sich auszudrücken, in der
man nach außen hart wirken musste, um unbeschadet durch den Tag zu kommen.
Er
sagt im Grunde: Lasst die Betroffenen selbst mitentscheiden, wie man politisch
und gesellschaftlich agieren könnte, um die Situation zu verbessern – und ihr
Betroffene nutzt dann auch die Möglichkeit, mitzureden.
Aber
McGarvey wird auch politisch und geht gerade mit der Linken hart ins Gericht,
einer Linken, die die Entwicklungen der letzten Jahre verschlafen hat und sich
selbst derart verändert, dass sie kaum mehr für ihre eigentlichen Wurzeln
steht.
Ich
kann leider nur sehr unzureichend widergeben, was Darren McGarvey pointiert,
erzählt, analysiert, aber dass ich „ARMUTSSAFARI: Von der Wut der abgehängten
Unterschicht“ für ein äußerst gelungenes Statement halte, sollte ersichtlich
sein. Es ist zu hoffen, dass es noch viel öfter gelesen und besprochen wird,
denn einen Platz in der Bestsellerliste, wie in England erreicht, hätte es
schon deswegen verdient, weil damit vielleicht eine Diskussion angeregt werden
könnte, die auch in Deutschland mehr als notwendig wäre. Denn das, was McGarvey
für England/Schottland beschreibt, ließe sich sehr leicht auf andere
europäische Staaten übertragen. Wer ein bisschen abseits der hippen
Mainstreamthemen politischer werden möchte oder sich generell für die Situation
interessiert, ist mit dem Buch bestens beraten. Und J.K. Rowling fand es auch
super.
Darren McGarvey, auch
bekannt unter seinem Künstlernamen "Loki", ist Autor, Kolumnist und
Rapper. Er wuchs in Pollock am südlichen Rand Glasgows auf. 2015 wurde er
"Rapper-in-Residence" in einem Programm der schottischen Polizei zur
Gewaltprävention. Sein erstes Buch "Armutssafari" war Sunday Times
Top Ten Bestseller und wurde mit dem Orwell Prize 2018 ausgezeichnet.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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