Ein fesselnder Spionageroman, der mit
intelligenter Handlung, überzeugenden Charakteren und einem präzisen Blick für
historische Details beeindruckt.
Titel: Deckname: Bird
Autorin: Louise Doughty
Originaltitel: A Bird in Winter
Verlag: Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3518474945
Euro: 18,00
Veröffentlichungsdatum: Juli 2025
Seiten: 390
Serie: nein
Come in: vorablesen
Inhalt
Die zweiundfünfzigjährige Heather Berriman ist
britische Agentin – sie hilft dabei, korrupte Agenten in den eigenen Reihen zu
finden und auszuhebeln. Als sie vermutet, dass ihr Chef in etwas verwickelt sein
und sie mit hineinziehen könnte, wird sie hellhörig. Aber der Schlag erfolgt
unerwartet: Während eines Meetings reicht ein Blick, eine Geste, um ihr
klarzumachen, dass sie fliehen muss. Einen Plan hatte sie bereits, doch auf dem
Weg quer durchs Land und über das große Meer hinweg, sind ihr die Kollegen –
und Assassinen – dicht auf den Fersen. Heather weiß, sie muss einen Weg finden,
ihre Unschuld zu beweisen. Doch sie kann niemandem mehr vertrauen.
Meinung
Heather ist kein Superagent, sondern ein Mensch
mit inneren Widersprüchen, Entscheidungen unter Druck und einer Geschichte, die
nachhallt. Der Roman schafft es, sowohl Spannung als auch emotionale Tiefe zu
liefern, ohne ins Pathetische abzudriften. Sie ist keine Mitdreißigerin – die
hat die Fünfzig bereits überschritten. Hier finden sich allerdings keine
Klischees, außer jenem, dass andere in ihr als ältere, kleine Dame weniger
sehen, als das, was in ihr steckt. Was sie auszunutzen weiß.
Die Geschichte beginnt, als sie aus dem
Besprechungsraum fliehen muss. Eine Szene, der wir mehrfach begegnen werden.
Danach wechseln sich einige wenige Kindheitserinnerungen – der Vater war
ebenfalls Agent – mit der anfänglichen Flucht ab. Die wird so anschaulich und
durchdacht geschildert, dass jeder Leser an den Zeilen kleben wird.
Doch dann scheint es erst einmal eine Art Bruch
zu geben. Denn Heather hat schon einiges erlebt in ihrem Leben und nun wird ihr
Werdegang erzählt. Sie hat sich als Kadettin gemeldet und dort eine besondere
Freundschaft mit Flavia geschlossen. Die Ausbildung ist interessant
geschildert, auch was das Frauenbild betrifft. Denn die haben nicht das Kämpfen
gelernt, sondern die Floristik, da niemand sie je gedachte in einen Einsatz zu
schicken. Es heißt trotzt dieser reflektierten Sichtweise Zähne zusammenbeißen,
denn hier scheint plötzlich eine Art andere Geschichte zu beginnen. Der Leser sollte
sich spätestens hier klarmachen, dass es von Anfang an als eine „andere
Geschichte“ geplant war. Nicht das, was man sonst als Einheitsbrei vorgesetzt
bekommt, kein durchtrainierter Mann, dem alle Frauen zu Füßen liegen. Hier ist
die Frau der Mittelpunkt – und die ist nicht perfekt. Um aber verstehen zu
können, wie es überhaupt zu diesem Zeitpunkt kommen konnte, als Heather nichts
anderes blieb, als die Flucht nach vorn, muss man wissen, was sie in ihrem
Leben geformt hat. Und natürlich waren das stets und in besonderen Maße die
Männer, die sie umgaben. Auch scheint es, dass just zu diesem Moment als sie
fliehen musste, alles irgendwie zusammengeflossen ist, es musste exakt zu
diesem Zeitpunkt sein. Der Mittelteil ist also Heather wie sie leibt und lebt.
Erst im letzten Drittel ist der Leser wieder
mit ihr auf der Flucht – und begreift stetig mehr. Wie sehr ihr Leben sie
geformt hat, wie viel sie wirklich durchdenken musste. Und wie viele
Fallstricke es gibt. Sie zeigt es dem Leser am Ende in Form der isländischen
Lavahöhlen. Ein absolut gelungenes Bild.
Die Flucht ist auch ein Weg zu sich selbst. Sie
arbeitet sich selbst und ihr Leben auf. Der größte Punkt war der Bruch mit
Flavia, der Tod der Mutter, dass sie selbst keine Familie (mehr) hat. Dennoch (oder
gerade deswegen?) präsentiert die Autorin hier eine starke Frau mit ebenso
starker Persönlichkeit, die sich nimmt, was sie möchte – auch einen Mann. Das
Ende ist krass, da hat es die Autorin wunderbar geschafft, den Leser plötzlich
in Sicherheit zu wiegen, alles werde gut. Aber wird es das? Es kann sein, dass
es für manche ein bisschen zu offen wirkt, aber wer die ganze Story auf sich
wirken lässt, erkennt, dass es gar nicht anders funktionieren würde. Heather
und ihr Leben können nur so.
„Deckname: Bird“ ist kein Actionthriller, auch
wenn er ein paar actionlastige Szenen enthält. Die Geschichte ist viel
literarischer erzählt, in jedem Fall aber viel weiblicher. Sicher, es war nicht
unbedingt das, was ich anfangs erwartet hatte, aber das hat es für mich nur
umso reizvoller gemacht. Wer Spionageliteratur auf hohem Niveau schätzt, kommt
hier voll auf seine Kosten. Für mich ein fast perfektes Leseerlebnis –
spannend, klug und lange nachwirkend.
Louise
Doughty ist
die Autorin von zehn Romanen. Zu ihren früheren Büchern gehören Platform Seven,
das für ITVX verfilmt und 2023 ausgestrahlt wurde. Black Water wurde New York
Times Notable Book of the Year, ihr Bestseller Apple Tree Yard wurde von BBC
One adaptiert. Nominierungen für u.a. Costa Novel Award, Women's Prize for
Fiction, Times Short Story Prize und den CWA Silver Dagger. Für die BBC hat sie
Crossfire entwickelt und geschrieben. Ihr Werk wurde in dreißig Sprachen
übersetzt.


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