Autorin: Anna Burns
Originaltitel: Milkman
Verlag: Tropen
ISBN: 978-3608504682
Euro: 25,00
Veröffentlichungsdatum: Februar
2020
Seiten: 452
Serie: nein
Come in: vorablesen.de
Inhalt
Eine
achtzehnjährige Irin zieht ungewollt die Aufmerksamkeit des bedeutend älteren
Milchmanns auf sich. Obwohl sie ihm deutlich zu verstehen gibt, dass sie kein
Interesse an einer Beziehung, er ist zudem verheiratet, hat, gibt es schnell
Gerede. Doch Aufmerksamkeit erregen ist das Letzte, was die junge Frau will.
Das Land ist tief gespalten, Vater und ein Bruder sind tot, ein weiterer wird
vermisst. Die Mutter drängt auf baldige Heirat, doch der Vielleicht-Freund
wirkt unentschlossen. Und ist es wirklich das, was sie will? Wie soll man etwas
entkommen, auf das man keinen Einfluss hat? Jeder scheint plötzlich etwas über
sie zu wissen und jeder weiß etwas anderes. Dann muss sie sich entscheiden
– und die Konsequenzen könnten gefährlicher nicht sein.
Mit
diesem Roman gewann Burns 2018 den Man Booker Prize for Fiction und auch, wenn
das vielleicht gerade zu diesem Zeitpunkt nicht ganz unpolitisch gewesen sein
mag, hat sie ihn völlig zu Recht erhalten. Die in Irland geborene Autorin, die
in den Siebzigern etwa im Alter ihrer Protagonistin gewesen ist, hat aus einem
Textfragment, aus dem eigentlich eine Kurzgeschichte entstehen sollte, einen
Roman gestrickt, der keinen einzigen Namen enthält und genau dadurch für viel
Nähe zu den Figuren sorgt.
Schwager
Eins ist einer von denen, die warten, bis die eigene Frau aus dem Raum geht und
dann deren jüngeren Schwestern anzüglich näherkommt. Bruder Zwei ist
verschollen. Irgendwer McIrgendwas wird der Protagonistin eine Waffe an den
Kopf halten – das liest der Leser bereits im ersten Satz, es wird aber bis zum
Ende dauern, ehe zu erfahren ist weshalb.
Es
sind keine einfachen Zeiten die Endsiebziger in Nordirland, es sterben jede
Menge Leute, andere denunzieren oder stehen nur im Verdacht, dies zu tun und
leben allein deswegen gefährlich. Aber nicht nur auf den Straßen der kleinen
Stadt fehlt das Sicherheitsgefühl; vielleicht könnte man sich damit sogar noch
arrangieren. Es ist auch die Gesellschaft, die genau beobachtet, wer was tut und
mit wem oder gerade nicht. Als die Achtzehnjährige immer wieder auf ihren
Stalker trifft, der sie nie körperlich angehen wird, weiß sie zunächst nicht,
wie sie sich wehren soll. Zuerst erzählt sie ihrer Mutter davon, die ihr jedoch
nicht glaubt und sie beschuldigt, ihn irgendwie angespornt zu haben. Danach
kann sie ihm kaum noch entkommen, er ist immer da. Auch wenn sie joggt; der
erzwungene Lauf mit dem Milchmann ist eine richtig schöne Metapher – er, der
sich ungefragt an ihren Jogginglauf dranhängt, obwohl unerwünscht bleibt und
sie bedrängt, verlangsamt erst ihren Lauf, um ihn dann vollständig zu stoppen.
Ein passenderes Bild für alle weiteren Vorkommnisse gibt es kaum. Die äußeren
Unsicherheiten vereinen sich rasch mit den inneren, die die junge Frau stetig entwickelt.
Er isoliert sie am Ende fast vollständig.
Burns
hat ebenfalls einen genauen Blick auf die Frauen in der Gesellschaft geworfen.
Mit achtzehn Jahren ist ihre Protagonistin schon allein deswegen auffällig,
weil sie noch nicht verheiratet ist. Sie hat einen Vielleicht-Freund, der mit
seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Sie liebt ihn – oder auch nicht. Sie
weiß es nicht. Wenn sie ihn lieben würde, würde sie mehr wollen, von ihm und
überhaupt. Aber sie sieht die Frauen ihrer Familie an und versteht, wenn
vermutlich auch unbewusst, welch wichtige Entscheidung sie da fällen wird.
Schwester Eins, die eigentlich in einen anderen verliebt war und den jetzigen
Mann nur als Trostpflaster gesehen hat, dummerweise schwanger wurde und ihn nun
nicht achten kann. Die Geschichten der Nachbarinnen oder auch alles, was ihre
Mutter tun und offenbaren wird, wenn sie sich nach dem Tod des Vaters neu
verliebt.
Es
sind viele einzelne Facetten, die Burns in ihrem Roman zusammengefügt hat. Das
schwierige Männer- und das Frauenbild, gerade auch in einer solchen politischen
Situation, wird von Burns mehr als treffend wiedergegeben und mit dem Schicksal
der Ich-Erzählerin gekonnt verwoben. Das Eingeschlossen werden, ohne körperlich
berührt zu werden – egal ob von einer Person oder mehreren –, das passive
Erdulden, besonders geschildert im Bild einer Nachbarin, die fast die Hälfte
all ihrer Kinder durch den politisch-religiösen Konflikt verliert. Aber auch
die Groupies, die genau wissen, dass ihre Beziehung zu einem „Verweigerer“ wohl
keine große Zukunft haben wird, die aber genau diese Gefahr lieben und die
„Macht“, die von diesen Männern ausgeht. Aber was ist, wenn nur eine(r) nicht
mehr mitspielt? Dabei werden es aber vor allem die Frauen sein, die der
Protagonistin ins Gewissen reden wollen. Denn es ist genau definiert, was/wer
anständig ist und was nicht.
Die
junge Frau geht zum einen mit wachen Augen und klarem Blick für ihre Umgebung
durch ihre eigene Geschichte, ist aber seltsam blind für ihre eigene Rolle
darin. In langen Sätzen und fehlenden Absätzen erzählt sie direkt und eloquent.
So ist die Lektüre – allein schon von Inhalt und Schreibweise her gesehen –
keine leichte, aber wer sich darauf einlässt, wird einen kraftvollen, genau
inszenierten und irgendwie ziemlich raffinierten Roman in die Finger bekommen,
den ich Interessierten nur Wärmstens ans Herz legen kann.
Anna Burns, geboren
in Belfast, Nordirland, ist Autorin mehrerer Romane. 2018 erhielt sie für
»Milchmann« den Man Booker Prize. Das Buch wurde zu einer internationalen
Sensation und mit zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Orwell
Prize und dem National Book Critics Circle Award. »Milchmann« erscheint in 23
Ländern. Es ist der erste Roman von Anna Burns, der auf Deutsch veröffentlicht
wird. Anna Burns lebt in East Sussex, England.
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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