Titel: Frankensteins Erben
Autor: Jens-Ulrich Davids
Originaltitel, 366 Seiten
ASIN: B01CVSVAKW
Euro: 3,99
Erscheinungsdatum: April 2016
Der Autor Jens-Ulrich Davids über Frankensteins Erben:
Vor
einigen Jahren durfte ich an der Uni Oldenburg eine Theatergruppe
leiten: Studenten und Studentinnen, die Englisch studierten und sprachen
und wie ich Freude am Spiel auf der Bühne hatten. Wir brachten
zeitgenössische britische und US-amerikanische Stücke vor ein ziemlich
begeistertes Publikum. Und eines Tages sagten wir uns in einem Anfall
von Größenwahn: Warum schreiben wir nicht ein eigenes Stück? Als
AnglistInnen kannten wir mehr oder weniger Shelleys Frankenstein-Roman,
lasen ihn (noch einmal) gründlich, fassten, was uns wesentlich schien,
in spielbaren Szenen zusammen, und dann ging's los. Der Zwang, dem Peh
unterworfen ist, war nicht meiner, wie meine Truppe wollte ich lediglich
in angemessener Zeit - zehn Wochen - eine unterhaltsame und anregende
Show auf die universitären Bretter bringen. Das gelang mehr oder
weniger. Und damit war die Erfahrung in der Welt, die ich dann meinem
Roman zugrundlegen konnte.
Es waren, wie jedes Mal, wenn ich ein
Stück probte, herrliche Wochen. Sonst stand ich als Dozent im Seminar in
einiger Distanz zu denen, die bei mir etwas lernen sollten - jetzt
kamen wir uns näher. Nein, nicht wie Peh seiner Tamar, sondern als
probende, erfindende, und nicht selten auch singende, trinkende,
lachende, klamaukende und diskutierende Truppe. Wochenenden eignen sich
dazu wirklich gut. Assoziationen stellten sich ein, Filme und Bücher
wurden zitiert, Wissen erweitert. Vor allem wurde geprobt, von den
entsprechenden Übungen finden sich manche im Roman, und gefeiert. Es war
eine Pracht.
Viktor Frankenstein, da waren wir uns einig, steht
schon in dieser frühen Phase der Industriellen Revolution für
bewundernswert selbständige Forscherneugier einerseits und die
verderbliche menschliche Neigung, das zu tun, was man kann, ohne die
möglichen Folgen zu bedenken. Schon die junge Mary Shelley ahnte, da
waren wir uns sicher, von der langsamen Zerstörung unserer Lebenswelt
durch naturwissenschaftlich angeleitete Technik. Frankenstein wird dann
ja auch dafür massiv bestraft.
Rätselhafter und komplexer
erschien uns das Monster. Schon die Shelley hat ja eine Reihe von
Bedeutungsfacetten angeboten: das Monster als Greuelgestalt aus einer gothic novel,
das Monster als zerstörerisches Produkt, als einsamer Außenseiter, als
lernfähiges kindähnliches Wesen, um einige zu nennen. Was mich dann beim
Schreiben an diesem Wesen darüber hinaus faszinierte, war, dass es sich
über seinen Schöpfer beklagte. Er sei nicht kompetent, kein wirklicher
Vater, usw. Das geht auf John Miltons Paradise Lost aus dem 17.
Jahrhundert zurück, in dem Adam seinen Schöpfergott, also den
christlichen Gott, anklagt.
Und auch der Aspekt AI, artificial
intelligence. So kann man das Monster ja auch noch sehen, in dieser
langen Traditionslinie künstlicher Menschen, Roboter, Maschinen. Das
Thema ist aktueller als je zuvor: Haben Computer Gefühle, können sie
über ihre Programmierung hinaus denken, usw.
Okay, aber es ist
ja nicht alles philosophisch, was Spaß macht. Ich freute mich an meinen
eigenen Einfällen, den abgedrehten Gesprächen der beiden weinfreudigen
Freunde, den schrägen Gestalten wie Anton und Lönsi, den anderen
erfundenen Szenen wie der mit den Ziegen in der Aula, und besonders auch
den Telefonaten zwischen Peh und seinem Vater. Und dann natürlich an
der bittersüßen Sache zwischen Peh und Tamar. Vor Jahren tauchte mal
eine hochgewachsene Studentin in meiner Sprechstunde auf,
Sommersprossen, meergrüne Augen, rötliche Haare, die fand ich einfach
nur schön. Sie hieß Tamar, war nur kurz da und hat nie ein einziges
meiner Seminare besucht. Diese Tamar hatte ich in Erinnerung, ihre
äußere Gestalt, sonst wusste und weiß ich nichts von ihr. Doch, halt:
Sie hat später den Roman gelesen, in der ihr Name als friesischer Name
eingeordnet wird. Stimmt wohl auch, aber in einer Mail wies sie mich
darauf hin, dass er auch im Alten Testament vorkomme. Ich hab's
gecheckt, und es stimmt.
Der Schluss des Romans zeigt noch
einmal mein Vergnügen am Abgedrehten, Unwahrscheinlichen, Fantastischen,
wenn ich es denn mit Bedeutung ausstatten kann. Die locations
gibt es wirklich: das Parkdeck, das hohe Betongebäude mit dem flachen
Dach, das kleine Flüsschen Haare hinter der Uni. Aber meine Truppe und
ich, wir sind damals schön bescheiden auf der Bühne der Aula geblieben,
und mit dem Heißluftballon ist keiner von uns abgeschwirrt. Nur ich in
meiner Vorstellung.
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