Titel: Losbruch der Weltenläufte
Autor: Marko Z. Kristin
Originaltitel, 505 Seiten
ISBN: 978-3981606911
Euro: 15,99
http://www.allwind-verlag.de/
Ein paar Eindrücke aus meiner Zeit in Asien, und deren Einfluss auf WüstenEis.
Fortsetzung ...
Deshalb
hatte uns die Frau des Dorfältesten auch begleitet, da wir uns nicht
direkt mit ihr verständigen konnten. Bereits im Vorfeld hatte sie die
Schamanin (indonesisch: Dukun) über unser Ersuchen informiert, und so
schien bereits alles für die Zeremonie vorbereitet. Im Inneren ihrer
Stelzenhütte war es noch dunkler als die späte Dämmerung im Freien. Im
Kreise angeordnet brannten dicke Kerzen auf dem Boden, deren Lichtkegel
unruhige Schattenbilder auf den verwitterten Holzwänden zittern ließen.
Mit unserem Eintreten begann die Schamanin unausgesetzt in sich hinein
zu murmeln; Worte einer wunderschön klingenden Sprache, von der ich zu
meinem Bedauern nichts verstand. Langsam traten wir vor die Kerzen. Die
Schamanin bedeute uns, uns um den kleinen Kreis der Kerzen
niederzulassen. Die Frau des Dorfoberhauptes und ich setzten uns auf den
Holzboden. Meine Begleiterin wurde angewiesen, sich auf den Bauch zu
legen, ihre Stirn auf verschränkte Handrücken gebettet, den Blick zu
Boden gerichtet.
"Damit der Ritus seine Wirkung entfalten kann,
ist es sehr wichtig, dass sie nichts von der Zeremonie mit eigenen Augen
sieht", erklärte mir die Frau des Dorfältesten in rücksichtsvoll
langsam gesprochenem Indonesisch. Wir, als ihre Begleiter, hingegen,
mussten den Ritus verfolgen, um den Geist der Erkrankung zu vertreiben,
wenn er erst aus ihrem Körper gewichen sei. Während die Schamanin an uns
beide Begleiter Betelnüsse und grüne Blätter weitergab, die wir kauen
sollten, entdeckte ich in der Mitte des Kerzenkreises ein Ei und daneben
den großen Totenkopf eines Orang-utans, den ich sofort an seinen
typischen Reißzähnen und der menschenähnlichen Gestalt als solchen
erkennen konnte. Plötzlich konnte ich mich einer auftreibenden Unrast
nicht mehr erwehren und war unfassbar gespannt, was sie wohl mit diesen
Requisiten anstellen würde. Allein durch die geheimnisvolle Atmosphäre
wurde mir heiß im Körper und beim Anblick meiner kranken Begleiterin
konnte ich mir schon jetzt vorstellen, dass das Ganze eine Wirkung
entfachen würde, welcher Art auch immer. Dann wurde ich aus meiner
Aufgeregtheit gerissen, da man mich mit Nachdruck darauf hinwies, nun
die Betelnuss und das Blatt zu kauen. Die leicht berauschende Wirkung
dieser, hier verbreiteten Gewohnheit, hatte ich bereits einmal erfahren.
Es nun aber in dieser ohnehin schon aufregenden Atmosphäre zu tun,
bereitete mir ein wenig Unbehagen. Doch war klar, dass dies ein
Bestandteil des Ritus war, und nicht abgelehnt werden konnte. Also kaute
ich. Und bis heute kann ich nicht sagen, ob es im Anschluss meine
veränderte Wahrnehmung war, die die Stimme der Schamanin in meinem Kopf
anschwellen und immer klarer werden ließ, oder ob ihr Singsang
tatsächlich immer lauter wurde, da sie begann, in rhythmischen Schritten
um uns herum zu tänzeln. Doch begann die Betelnuss mit Gewissheit zu
wirken, wie ich es bislang nicht erlebt hatte. Heiße Wellen wohliger
Unrast krochen mir den Rücken hinauf und pochten in den Kopf.
Merkwürdigerweise hatte ich das Gefühl schärfer sehen zu können, wenn
auch alle Bewegungen in meiner Sicht verwischten.
Und dann ging
alles sehr schnell, sodass es mir kaum möglich war bewusst zu folgen.
Erst im Nachhinein konnte ich den Ablauf im Gedächtnis wieder ordnen.
Mit einem kleinen Satz, der mir in jenem Moment als mächtiger Sprung
erschien, setzte die Schamanin in den Kreis der Kerzen über. Der Aufstoß
ihrer Füße war uns eine kraftvolle Erschütterung, die die
Kerzenflämmchen auflodern ließ, durch den Boden fuhr und wummernd auf
unsere Körper übergriff. Die Schamanin schnappte sich das Ei auf dem
Boden, sprang wieder aus dem erleuchteten Kreis, direkt neben meine
Begleiterin. Sie kniete neben ihr nieder, krempelte ihr T-Shirt etwas
nach oben, so dass der untere Bereich ihres Rückens frei war. Ihr
Singsang wurde merklich lauter. Dann knackte die Schale des Eis, und an
glibberigem Faden kleckste Eiweiß auf den Rücken meiner Begleiterin. Die
Schamanin ließ sich auf alle viere herab und beugte sich mit ihrem
Gesicht dicht über den verschmierten Rücken, als versuchte sie etwas aus
dem Eiweiß zu lesen. Bedacht hob sie die linke Hand und nutzte den
besonders langgewachsenen Nagel ihres kleinen Fingers als Pinsel, um
mit der schleimigen Eimasse Hakenlinien und sich überschlagende Kreise
auf den nackten Rücken zu Zeichnen. Dann blickte sie unvermittelt von
ihrer Arbeit auf, stierte mir direkt ins Gesicht als hätte sie etwas
entdeckt, das auf mich hinwies. Mir stockte der Atem. Doch im nächsten
Augenblick sprang sie zurück in den Kreis, und griff sich rasch den
Orangutan-Totenkopf. Sie hielt ihn mit beiden Händen, und führte ihn
dicht über die Kerzenflammen einmal den vollen Kreis entlang. Einen
schaurigen Schatten ließ der Totenschädel durch den düsteren Raum
gleiten, ehe er sich auf meine Begleiterin herab ließ. Denn als nächstes
führte ihn die Schamanin einmal um die liegende Gestalt herum, wobei
sie nun mit dem Kiefer des Schädels klapperte, während sich der Rhythmus
ihres Singsangs an das gespenstische Klappern anpasste. Im Anschluss
legte sie den Schädel behutsam neben den Kopf ihrer Patientin, womit ihr
Singsang verstummte. Sie beugte sich noch einmal dicht über den
verschmierten Rücken, und nach wiederholtem innigen Blick, mochte es
scheinen, als zöge sie etwas Kleines, Spitzes aus Eiweiß und Haut
hinaus. Wieder blickte sie mich mit starrer Miene an. Dann hielt sie
etwas in den Schein des Kerzenfeuers, das wie ein blutiger Holzsplitter
aussah. In völlig nüchternem Ton sprach sie ein paar Worte zu der Frau
des Dorfältesten, die daraufhin ein ernstes Nicken zeigte. Die Schamanin
stand auf und schmiss den Splitter durch eine offene Fensterluke
hinaus. Dann wandte sie sich fürsorglich ihrer Patientin zu, wischte das
Eiweiß vom Rücken, bedeutete ihr sanft sich aufrecht hinzusetzen und
wickelte ihr mit geschickten Handgriffen eine Art Turban auf den Kopf.
Fragend schaute mich meine Begleiterin an. Doch wir beide spürten, dass
man jetzt keine Fragen stellte. In einem Handschwung löschte die
Schamanin alle Kerzen, und damit auch alles Licht im Raum, mit einem
großen Bambusfächer. Mondlicht strömte durch die Fensterluke. Auf der
Türschwelle wurde ich von der Frau des Dorfältesten angehalten, das Ei
zu bezahlen. Ich legte 10.000 IDR ( 0,7 €) auf die Türschwelle.
"Das
war der kranke Splitter deines Körpers, die Schamanin hat ihn entfernt,
und mit ihm den Geist der Erkrankung. Du bist geheilt, doch sehr
geschwächt. Deshalb muss dein Kopf bedeckt sein, solange wir im Freien
sind. Der Geist schweift vielleicht noch durch diesen Abend. In unserem
Haus kannst du den Sarung wieder abnehmen. Er ist ein Geschenk an dich,"
erklärte uns die Frau des Dorfältesten auf dem Weg zurück zu ihrer
Hütte.
Anhand eines Bluttests wurde knappe zwei Monate später
festgestellt, dass meine Begleiterin an keinem ernsten Blutfieber
erkrankt war. Doch nach jenem Abend bei der Schamanin ging es ihr am
nächsten Morgen wieder deutlich besser, und keine drei Tage später war
sie wieder völlig gesund.
Ich hingegen hatte tatsächlich das
Pech, mir am Ende dieses Field-Trips, der ca. 1,5 Monate dauerte,
Denguefieber einzufangen. Vier Tage quälte mich das Blutfieber in einer
Wellblechhütte bei 40 Grad tropischer Hitze. Das Klima in Verbindung mit
dem hohen Fieber und der Dehydration erzeugte Halluzinationen. Vierzehn
Stunden über den Flussweg war jenes Dorf vom nächsten Krankenhaus
entfernt. Am fünften Tag blieb uns nichts anderes mehr übrig, als die
anstrengende Bootsfahrt hinter uns zu bringen. Doch das ist eine andere
Geschichte.
MZK
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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!
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