Titel: Thorn Gandir: Aufbruch
Autor: J.H. Praßl
Originaltitel, 540 Seiten
ISBN: 978-3862822102
Euro: 16,90
Helden sind auch nur Menschen
Wie viel Realismus verträgt Fantasy?
„Das
Wissen um die Tatsache, dass ich ein Mensch bin und zwar einer der
unschönen, unwürdigen Art, war wie eine Warnung. Es war mir wie die
Mahnung, meine Finger von allem zu lassen, das für Höheres bestimmt war –
die Geschichte unserer Welt, das Rätsel aller Rätsel.
Doch die
Neugier hat gesiegt. Der blaue Ozean war zu verlockend. Die Wüste in
meinem Rücken zu karg, zu inhaltslos, um mich damit zufrieden zu geben.
Also öffnete ich meine Augen. Ich öffnete meine Augen und sprang ...“
Der
Weg des Helden ist ein Weg des Scheiterns – nicht so in den
Geschichten, die wir aus der fantastischen Literatur kennen. Zwei Säulen
stützen den Plot einer Fantasystory, egal welchen Subgenres: Der Held und Die Mission des Helden.
Am
Einfachsten lassen sich diese Säulen anhand des häufig erwähnten
Klassikers Herr der Ringe von J.R.R Tolkien konkretisieren. Frodo,
Gandalf, Aragorn ... sie stellen die Helden der Trilogie; den einen Ring
zu zerstören ist die Mission, die sie zu bestreiten haben. Bereits im
ersten Abschnitt wird dem Leser diese Mission, der eigentliche Inhalt
des Epos bekannt gegeben und es besteht kein Zweifel, wer hier Held und
wer Gegenspieler ist. Genau das erwarten wir uns von guter Fantasy. Zu
Recht, könnte man sagen, wo doch zumindest die High Fantasy ihre Wurzeln
in der Mythologie bzw. im antiken Epos hat. Und hier spielt nun mal der
Weg des Helden eine zentrale Rolle, der sich meist in einer
archaischen, stilisierten Welt entspinnt. Soweit, so gut. Was aber
passiert, wenn die Fantasyliebhaber unter den Lesern zu einem scheinbar
klassischen FantasyEpos greifen und feststellen, dass der vermeintliche
Held schwächelt, ja Eigenschaften aufweist, die man einfach nicht
billigen kann? Wie finden sie es, wenn besagter „Held“ zunächst an den
Fäden eines geradezu moralisch verwerflichen Machtinhabers tanzt und den
Namen „Protagonist“ gar nicht verdient hat? Was, wenn es zunächst keine
klar artikulierte Mission gibt, keinen in Aussicht gestellten
weltbedrohlichen Krieg Gut gegen Böse?
Wenn
die Protagonisten selbst noch ganz am Anfang stehen und fragwürdige
Prinzipien vertreten, kann einem das ganz schön die Laune verderben.
Wenn man sich mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass sich vermutlich
nur einer, vielleicht zwei aus der Gruppe der Hauptfiguren
herauskristallisieren werden, die nach einem langen Weg des Scheiterns
von einem Menschen der Schwäche zu einem Menschen der Stärke werden (in
der griechischen Mythologe der eigentliche Weg des Helden), fühlt man
sich irgendwie an der Nase herumgeführt. Hat man dann noch Lust darauf
weiterzulesen? Hat man die Geduld, sich mit einem „Schwächling“ auf die
Reise zu begeben, hat man die Nerven, die eigentliche Mission mit ihm zu
suchen und auf seinem beschwerlichen Weg die Wahrheit über die Welt und
die Menschheit aufzudecken, kurz, hat man die Bereitschaft, auf die
Enthüllung des eigentlichen Plots und des eigentlichen Helden
hinzuarbeiten? Haben wir in unserer immer schnelllebiger werdenden
Konsumwelt überhaupt noch die Zeit, in irgend eine Sache zu investieren,
sich damit gedanklich auseinanderzusetzen, sich ganz und gar darauf
einzulassen, wie dem Lesen und Erleben eines Buchs?
Mit der Veröffentlichung von Band Eins der Chroniken von Chaos und Ordnung, Thorn Gandir (Aufbruch),
sahen wir Autoren uns das erste Mal mit eben diesen Fragen
konfrontiert. Ein Teil der Leserschaft fühlte sich vorgeführt. Manche
Leser waren regelrecht verärgert, dass der Held in einem entscheidenden
Moment die Waffen streckte, dass er voll der Zweifel durch die Wirren
seiner Zeit stolperte, ohne zu wissen, wohin er gehört oder wofür es
sich zu kämpfen lohnt. Und da gab es auch keinen „Ring, der zerstört
werden musste“, ein klar umrissenes Ziel, das sie über diese Tatsache
hinwegtröstete. Ich bin eine der beiden Autoren der Chroniken
und hungere beim Lesen von Fantasy selbst oft nach einem Helden, der
meinen hohen Erwartungen gerecht wird. Ich mag auch kaum die Geduld
aufbringen, das Kernthema einer Story in kleinen Schritten aufzudecken.
Doch ich habe die Erfahrung gemacht, dass Geschichten, die sich
allmählich entspinnen, die Raum geben für Fragen, Spekulationen, für das
Sich-Einfühlen und Nachsinnen, jene Geschichten sind, die nicht so
schnell vergessen werden, ja, die einen mitunter noch ewig begleiten.
„Der
Held versteht, dass er nicht aus seinen Siegen erwächst, sondern aus
seinen Niederlagen und akzeptiert, dass er scheitern muss, um wachsen zu
können.“ (Aus Charas privaten Aufzeichnungen)
Stellt sich eine letzte Frage: Kann sich ein Epos wie die Chroniken von Chaos und Ordnung innerhalb des heutigen Trends eines rasanten Verschlingens von Büchern behaupten?
Wer sich diese Fragen selbst beantworten will oder bereit ist, sich auf eine längere Reise einzulassen.
(J. H. Praßl)
"Doch ich habe die Erfahrung gemacht, dass Geschichten, die sich allmählich entspinnen, die Raum geben für Fragen, Spekulationen, für das Sich-Einfühlen und Nachsinnen, jene Geschichten sind, die nicht so schnell vergessen werden, ja, die einen mitunter noch ewig begleiten."
AntwortenLöschenDas ist auch meine Erfahrung. Und bei den Chroniken hat sich die Geschichte gar mit meinem Leben verknüpft. Und das, mein Leben, ist auch eine Geschichte in 8 Bänden. Und wenn man weiß, dass die 8 das Symbol für die Unendlichkeit ist, versteht man, dass es eine Unendliche Geschichte ist. (In die ich bei der Lektüre der "Unendlichen Geschichte" reingefallen bin.)
KM