Donnerstag, 15. Juli 2010

Honigkuss - Salwa Al Neimi


Vorab: Es ist schwierig, den Inhalt dieses Buches wiederzugeben. Das liegt vor allem daran, das in diesem autobiografischen Buch lose Geschichten zu einer großen gesponnen werden und daher nicht leicht abzuwägen ist, was gesagt werden sollte und was nicht. Immerhin soll auch nicht zu viel verraten werden.

Sie ist eine Frau mit arabischen Wurzeln, Bibliothekarin in Paris und verheiratet. Schon früh kam sie mit den Klassikern der arabischen Erotikliteratur in Kontakt und las alles, was ihr in die Finger kam. Für sich und ihr Leben hat sie daraus einige Schlüsse gezogen. Gott (Allah) hat nicht gewollt, dass sich die Menschen, am allerwenigsten die Frau, mit nur einem Partner begnügen. Sexualität ist ein Geschenk und sollte genutzt werden. Frei nach dem Motto: "In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist." Sex ist für die Gesundheit lebenswichtig.
Darum nimmt sie sich Männer neben ihrem Mann, wohlwissend, dass dies gegen die Gesetze aller Länder ist und entweder mit Gefängnis oder mit Peitschenhieben bestraft wird.
Aber auch die falsche Moral der muslimischen Männer thematisiert sie, denn noch in den Klassikern findet sie starke Frauengestalten, die sich nicht schämten, ihre Begierden zu erfüllen. Die Unterdrückung der heutigen Gesellschaft von allem was sexuell anmutet, kann sie nicht verstehen. Denn Sex ist in der muslimischen Gesellschaft alltäglich, auch vor- und außerehelich.
In vielen einzelnen Gedankengängen und kleineren Geschichten bringt sie das in diesem Aufsatz dem Leser näher - und befreit dadurch nicht nur sich selbst.

Andere Sprachen waren ein wenig mutiger, was die Gestaltung des Cover angeht. Dieses ist einfarbig, Rosa und Violett gehalten, dezent gemustert. Sehr weiblich, obwohl auch Männer sich nicht scheuen sollten, das Buch zu lesen.

Wer hier hofft, einen erotischen Roman mit mehr oder weniger expliziten Szenen zu lesen, wird enttäuscht sein. Bei "Honigkuss" handelt es sich viel mehr um eine autobiografisch angehauchte philosophische Abhandlung.
Ich war zunächst eine dieser enttäuschten Leserinnen, denn vom Klappentext habe ich mir wesentlich mehr versprochen. Aber die Passagen aus den arabischen Erotikklassikern sind jeweils nur sehr kurz und die Ich-Erzählerin erinnert sich nur, diese mal mit Mann X oder Y nachgestellt zu haben - in einem Satz.
Aber schon bald wurde ich in den Text hineingesogen und die Seiten flogen nur so an mir vorüber. Es ist ein gängiges Vorurteil, dass die muslimische Welt und Sex sich nicht vereinbaren lassen und schon gar nicht, wenn es dabei um eine Frau geht. In den zahlreichen kleinen Erzählungen ist aber zu erfahren, dass das nicht stimmt. Dennoch sind die arabischen Frauen stark an ihre Erziehung gebunden. Obwohl die meisten hochgebildet sind und im Ausland leben, lassen sie sich "den Weg der Rückkehr" (Analverkehr, beschädigt das Jungfernhäutchen nicht) offen.
Sie genießt es, das, was sie in den Klassikern liest selbst zu durchleben - allerdings nie mit ihrem Mann. Das war ein Punkt, der mich gestört hat. Ihr Ehemann wurde nie erwähnt und so blieb die Frage offen, warum sie ihre sexuelle Erfüllung nicht mit ihm suchen konnte. Ob er vielleicht ebenfalls mit anderen Partnern zugange war. Ob er ihr von denen erzählt ...
Zum Ende hin ist mir die "Sie" leider unsymphatisch geworden und dadurch verändert sich die gesamte Aussage des Buches. Ihr Egoismus, nicht nur in ihrer Sexualität, steigt ins Unermessliche. Natürlich ist es eine Aussage des Buches, dass Frauen den Mut haben sollen zu leben, was sie sich insgeheim wünschen. Aber doch sicher nicht um jeden Preis?
Seltsam finde ich im Nachhinein ebenfalls, dass alle Personen - Freundinnen, Arbeitskollegen, Nachbarn - namentlich genannt werden. Die Partner der Erzählerin aber sind einfach der Denker, der Schnelle, der Weltenbummler. Seltsam also insofern, dass von einem gewissen Schutz dieser Männer nicht die Rede sein kann, denn die privaten Geschichten von Freundinnen und Co. posaunt sie ja auch hinaus ...
Nichts desto trotz handelt es sich bei Salwa Al Neimis Roman um Seiten, die stark zum Nachdenken anregen und so manches Vorurteil verdrängen. Ich wünschte, davon gäbe es mehr, aber schon "Honigkuss" ist in der arabischen Welt größtenteils verissen und teilweise auch verboten worden (was ihm zweifellos zu mehr Bekanntheit verholfen hat).
Die einzelnen Kapitel und Geschichten verbinden sich am Ende zu einem großen Ganzen. Bis dahin sollte man die 126 Seiten schon durchgehalten haben um zu verstehen, was die Autorin sagen will. Manches wird mit einem Nicken begleitet und manches mit einem Kopfschütteln, aber letztendlich wird klar, dass es Auslegungssache ist. Jedem das Seine - oder nicht?
Die Klassiker im übrigen haben nichts mit dem "Kamasutra" gemein, sondern sind Anleitungen für Genuss und Sinnlichkeit. Warum Viagra?, fragt sie sich. In den Klassikern steht so vieles, was wir längst vergessen haben. Also lest selbst ...


Die Autorin
Salwa Al Neimi wurde in Damaskus geboren und studierte an der dortigen Universität arabische Literatur. Später zog sie nach Paris, wo sie ein Studium der Theaterwissenschaften absolvierte. Sie lebt als Journalistin und Publizistin in Paris und veröffentlichte bislang Erzählungen und Lyrik. Honigkuss ist ihr erster Roman, der 2007 im Libanon erschien. Das Buch war in den arabischen Ländern ein Skandal, wurde von Rezensenten als "sexuelle Intifada" (Emirates Media) bezeichnet und markierte für viele die „Ankunft der sexuellen Revolution“ (Al-Kifah al-arabi).

3 Kommentare:

  1. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber die genannten klassischen Werke könnten zum Beispiel 1001 Nacht sein. Ich meine, ich hätte vor vielen Jahren einmal gelesen, daß der Originaltext (von dem sich die Märchenversionen erheblich unterscheiden) ganz entschieden nichts für Kinder sein soll. Vielleicht lohnt es sich da noch mal nachzugehen. Wie schon gesagt, es ist ewig her, klingelte nur gerade so im Hinterkopf.

    Viele Grüße
    Bianca

    Viele

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  2. Klingt nach einem durchaus interessanten Buch, wenn auch offensichtlich etwas kontroversiell. Auf jeden Fall werd ich mir den Titel merken, falls ich das Buch mal zufällig wo finde.

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  3. Anonym25.11.10

    Thomas fragt Soleil:

    Welchen - arabischen oder französischen - Titel hatte die 2007 im Libanon veröffentlichte Original-Fassung? Verlag vielleicht auch bekannt?

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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