Ein schmales, aber starkes Büchlein, das Bilder
mit wenigen Worten malt und einen wachen Geist des Lesers verlangt.
Titel: Schwanentage
Autorin: Zhang Yueran
Originaltitel: 天鹅旅馆
Verlag: Ecco Verlag
ISBN: 978-3753001111
Euro: 18,00
Veröffentlichungsdatum: September 2025
Seiten: 224
Serie: nein
Come in: vorablesen.de
Inhalt
Yu Ling arbeitet als Kindermädchen des
siebenjährigen Kuan Kuan bei einer schwerreichen Familie in China. Um sich ein
besseres Leben mit ihrem neuen Freund zu ermöglichen, plant sie mit diesem, den
Jungen zu entführen und Lösegeld zu fordern. Doch just an besagtem Tag werden
Vater und Großvater des Jungen wegen Korruptionsverdacht verhaftet. Seine
Mutter bleibt verschollen. Yu Ling, die seit Jahren für den Jungen zuständig
ist, muss neue Entscheidungen treffen. Und sich ihrer eigenen Vergangenheit
stellen.
Meinung
Zu Beginn haben wir das Kindermädchen Yu Ling,
das den siebenjährigen Jungen für den Tag, ein Ausflug ist geplant, fertig
macht. Der Vater nimmt sie meist nicht wahr, was Yu Ling tatkräftig
unterstützt, die Mutter, die sich selbst als verkannte Künstlerin sieht, ist
mehr auf sich selbst fixiert. Yu Ling dagegen kämpft mit einer Vergangenheit,
die von einer Haftstrafe gekennzeichnet ist, die sie tunlichst geheimzuhalten
sucht. Alles in dem großen Haus ist streng geregelt, jeder kennt seinen Platz.
Yu Lings neuer Freund, den der Leser wesentlich eher durchschauen wird als sie
selbst, wartet mit einem Auto auf sie und den Jungen. Der Kleine will unterwegs
einen Schwan kaufen und retten – niemand sagt ihm, dass es eigentlich eine Gans
ist, denn er soll bei Laune gehalten werden. Noch auf dem Land kommen die
ersten Nachrichten herein, die Männer der Familie wurden verhaftet. Es klärt
sich auf, dass auch Yu Ling etwas Frevelhaftes vorhatte. Doch beschützt sie den
Jungen auch, was sie von Anfang an sehr sympathisch macht. Die Männer nicht
greifbar, die Mutter scheint verschollen, die Großmutter ist so stark erkrankt,
dass sie nicht ansprechbar ist. Yu Ling sitzt in der Zwickmühle, was soll sie
nur tun? Sie kehren alle unverrichteter Dinge zurück in die Villa. Dort trennen
sich die Wege verschiedener Personen, es gibt nichts von Wert, kein Geld. Nach
außen hin muss alles normal wirken. Zwischendrin immer die Gans, der der Junge
ein Zelt im Wohnzimmer baut. Nach und nach kommen andere Personen zusammen,
eine Frau, die sich als die Geliebte des Vaters vorstellt, eine Nachbarin, eine
Lehrerin des Jungen, das Dienstmädchen, das mit dem Schmuck der Mutter
abgehauen ist. Die Geschichten dieser Frauen verbinden sie, auch wenn sie sich
eigentlich fremd sind. Sie zeichnen ein Bild der Gesellschaft aus einer eher
ungesehenen Sicht: der weiblichen. Sie zeigen aber auch, wie sehr das Leben
schon von Geburt an bestimmt wird, abhängig davon, in welche gesellschaftliche
Schicht man geboren wird. Yu Ling macht das deutlich, wenn sie sich den schönen
großen Herd der reichen Familie wünscht und überlegt, ob man diesen wohl aus
der unbewachten Villa holen könnte. Aber was dann? In das kleine Haus der
Familie würde der gar nicht reinpassen. Solche Details sorgen für Lebendigkeit,
sie zeigen mit nur wenigen Worten die Probleme auf und das so, dass sie jeder
versteht.
Yu Ling nun bleibt wegen dem Jungen, aber es
wird ebenso deutlich, dass sie im Prinzip nirgendwo anders hinkann. Ihr Vater
ist verstorben und die Mutter kümmert sich um den Bruder und dessen Kinder. Sie
ist wie die Gans, die nicht fliegen kann. Für Kuan Kuan ist sie schön und ein
Schwan – und was soll er auch ohne sie machen. Nur warum spielt sie sein Spiel
mit, ohne ihn zu berichtigen? Ist das nicht auch sehr weiblich, würde es nicht
Zeit werden, aus diesem Denkmuster auszubrechen?
Die Autorin nun schreibt sehr pointiert, aber
nicht sehr tiefgehend, was bei der geringen Seitenzahl auch nicht verwundert.
Sie malt Bilder mit wenigen Strichen, vieles bleibt der Reflexion des Lesers
überlassen. Am Ende ist diese Geschichte vieles, von Krimi zu
Gesellschaftskritik über ein bisschen Komik hin zu Frauenleben von heute (nicht
nur) in China. Und über allem hängt das Geld. Der Leser muss bei allem mit
dabei sein, er muss eintauchen und zwischen den Zeilen lesen können, es wird
nichts serviert, hinschauen will gelernt sein. Aber es lohnt sich.
Zhang
Yueran ist eine der
einflussreichsten Autorinnen Chinas und eine der wichtigsten Stimmen junger
urbaner Literatur. Schon 2012 zählte sie das taiwanischeUnitas-Magazin zu den
20 wichtigsten Schreibenden unter 40. Ihre Romane und Erzählungen wurden in
zahlreiche Sprachen übersetzt. Ihr Roman »Cocoon« wurde von der New York Times
zu den besten Büchern 2022 gewählt und gewann in Frankreich den Prix Transfuge
2019 für den besten asiatischen Roman.


Das klingt ja sehr interessant. Chinesische Literatur ist mir wenig bis gar nicht untergekommen (Ausnahme: Sci-Fi von Liu und und Chen). Wenn mir das in der Buchhandlung über den Weg läuft, lese ich auf jeden Fall rein! Danke für's Vorstellen.
AntwortenLöschenVG Frau Leseratteffm
Wenn Du gerne chines. Literatur lesen möchtest, schau unbedingt auch in "Das letzte Viertel des Mondes" von Chi Zijian! Die "Schwanentage" nun gefielen mir sehr gut, meine Mutter hat es jedoch abgebrochen, das habe sich zu langweilig gelesen. Also ja, lies unbedingt vorher mal rein ;-)
LöschenDanke für den Tipp!
LöschenHallo Daniela
AntwortenLöschenDas Buch ist bei mir eingezogen. Ich bin sehr gespannt. Ich lese gerne zwischen den Zeilen und mache mir mein eigenes Bild.
Liebe Grüße von der Gisela
Hallo Gisela,
Löschenschön, dass Du reinschaust! :)
Ich wünsche Dir ganz viel Spaß beim Lesen! Mir hat das Buch sehr gefallen, meine Mutter hat es allerdings abgebrochen, ihr war es zu trocken und "langweilig geschrieben". Bin gespannt, wie es Dir gefallen wird. :)
LG
Daniela