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Dienstag, 20. Februar 2024

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah - Cho Nam-Joo

 

Mani, Mitte dreißig, lebt in einem der ärmsten Stadtteile von Seoul. Ihre Jungmädchenträume sind geplatzt, sie lebt bei ihren Eltern, verliert ihren Job. Dann will jemand das Haus kaufen und sie steht vor einem Dilemma.

 

 


Titel: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Autorin: Cho Nam-Joo
Originaltitel:
고마네치를 위하여
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3462005837
Euro: 14,00
Veröffentlichungsdatum: Januar 2024
Seiten: 288
Serie: nein
Come in: vom Verlag

 

 

 

Inhalt/Klappentext
Manis Familie lebt in einem der ärmsten Stadtteile von Seoul. Ihr Vater arbeitet in einem Imbiss und ihre Mutter ist erwerbslos. Als kleines Mädchen träumte Mani davon, rhythmische Sportgymnastin zu werden, inspiriert durch Fernsehbilder der Olympischen Spiele 1988 in Seoul. Als Kind fängt sie mit dem Turnen an, muss aber schnell einsehen, dass sie im Vergleich zu anderen kein Talent hat. Sie wird ein einfaches, unerfülltes Leben führen, auch geprägt von der Demütigung, mit Mitte dreißig noch keine eigene Familie zu haben.
Die Nachricht von der Stadtteilsanierung lässt die Immobilienpreise in die Höhe schießen, gleichzeitig erfährt Manis Familie zufällig, dass die Sanierung abgeblasen werden solle. Als ein Fremder ihr Haus kaufen will, ist die Familie uneins darüber, ob sie diesem gutmütigen Mann die Wahrheit sagen oder ihn täuschen soll. Ihr ganzes Leben lang haben sie sich an das Prinzip der Ehrlichkeit gehalten. Welche Entscheidung werden sie treffen, wenn sie vor dem größten Dilemma ihres Lebens stehen?

 

 


Meinung
Das Buch ist sehr überraschend direkt vom Verlag bei mir eingetroffen, aber nachdem ich die anderen beiden Werke der Autorin begeistert gelesen habe, griff ich freudig zu. Cho Nam-Joo hat sich eines völlig unzureichend in der Literatur der Neuzeit vertretenem Themas angenommen: Armut. Überall auf der Welt, nicht nur in Korea, auch in Europa leben immer mehr erwachsene Menschen noch oder wieder bei den Eltern, weil sie trotz eines Berufs kein eigenes Leben finanzieren können und weil auch die Eltern immer schlechter zurechtkommen.

In diesem Roman begegnen wir Mani, die mit Mitte dreißig bei den Eltern lebt und das in einem der ärmsten Stadtteile Seouls, wo die Eltern ein kleines Häuschen besitzen. Ihr Vater hat einen kleinen Imbiss, die Mutter, die aufgrund ihrer Schwangerschaft ihre Ausbildung abbrechen musste, sitzt unzufrieden zu Hause. Auf das Geld, das Mani in ihrem ungeliebten Job verdient, sind alle angewiesen – bis sie diesen verliert. Da verliert sie auch ein Stück weit sich selbst.

Der Roman erzählt sich in zwei Zeitebenen, der Jetztzeit und der Vergangenheit. Manis Kindheit und Jugend werden thematisiert, eine Zeit, als das Mädchen noch Träume hatte. Sie wollte Turnerin werden und ihre (geistig beeinträchtigte) Mutter hat alles in Bewegung gesetzt, um ihr das Training zu ermöglichen. Aber es ging einiges schief dabei, nicht zuletzt, dass Mani zu spät damit angefangen hat und dass jede Kleinigkeit immens viel Geld kostet. Geld, das die Familie nicht entbehren kann. Und dann platzt ihr Traum, weil sie zwar gut, aber nicht gut genug ist. In einem Alter, als sie die Welt zu verstehen beginnt, wird ihr klar, dass Träume nichts bringen, wenn man sie sich nicht leisten kann. Es braucht zwar manchmal etwas Stehvermögen, um sich durch diese Seiten zu wühlen, aber es lohnt sich. Bei koreanischen Lesern, die ebenfalls im Jahr der beschriebenen Jugendzeit Manis aufgewachsen sind, muss das alles ganz anders ankommen, denn es gibt zahlreiche Verweise zu Stars und Sternchen in Musik und Literatur. Was man eben mit zwölf toll findet, wen man anhimmelt usw. Mit Fußnoten nimmt der Übersetzer Bezug dazu und erklärt es.

In der aktuellen Zeit der erwachsenen Mani, die gerade ihren Job verloren hat, geht die Welt nur noch langsam voran. Mani lässt sich hängen, was schwer möglich ist, wenn das Haus nur zwei Zimmer hat und die Eltern quasi immer anwesend sind. Wie wertvoll Privatsphäre ist, ist heute nur jenen bewusst, die eben diese genießen können. Menschen, die eng zusammenleben müssen, die keine Tür haben, die sie hinter sich zumachen können, wissen, was ich meine. Es werden immer mehr.

Schließlich scheint es so, als würden die Immobilienpreise steigen, denn der heruntergekommene Stadtteil soll saniert werden. Was das für die Leute, die noch dort wohnen, bedeutet, wird sehr anschaulich gezeigt. Denn sie werden sich die Lebenshaltungskosten danach dort nicht mehr leisten können.

Bei Manis Eltern steht ein Käufer vor der Tür, der es ihnen ermöglichen könnte, zumindest einen kleinen Sprung in ein bequemeres Leben zu machen. Mani verdeutlicht das an der Toilette: Wasserspülung – ein Traum. Ich habe als Kind bei den Besuchen bei den Großeltern noch das sog. Plumpsklo benutzt, bis sie eine Kanalisation erhalten haben, ich kann es Mani zum Teil nachfühlen. Die Familie wird dann jedoch vor eine Herausforderung gestellt. Sollen sie sich selbst treu bleiben – oder nach Höherem streben?

Mir hat die Geschichte aus mehreren Gründen sehr gefallen, wenn ich sie auch nicht so gelungen fand, wie „Kim Jiyoung, geboren 1982“ (die ungefähr zeitgleich entstanden sind). Auch die Übersetzung las sich leider nicht so glatt wie in den Vorgängerbänden. Trotzdem möchte ich das Buch uneingeschränkt empfehlen. Viel zu wenige Storys drehen sich um die völlig normalen Leute, die ein völlig normales Leben leben. Und die Armen. Arm trotz Arbeit, in diese geboren, kaum eine Chance ihr zu entkommen. Dabei sind sie fleißig und versuchen ihr Bestes. Ich mochte die Familie, weil sie waren wie sie sind. Der Ton wird auch mal rauer, nicht immer verstehen sich alle. Das Leben auf beengtem Raum wird sehr anschaulich beschrieben. Obwohl ihr niemand Vorwürfe macht, weiß Mani, was von ihr als Frau erwartet wird. Und Mitte dreißig nicht verheiratet zu sein und bei den Eltern zu leben, gehört nicht dazu. Als sie ihren Job verliert, der nichts Besonderes war, aber immerhin, fühlt sie sich direkt unten angekommen. Und was soll die Zukunft bereithalten? Ohne Träume, ohne Ziele im Leben? Eine sehr bedrückende Situation. Und eine, der man unbedingt entkommen will.

Ich bin Autoren wie Cho Nam-Joo sehr dankbar, dass sie diese Themen aufgreifen und in gefühlvolle Geschichten verpacken. Es geht nicht sehr actionlastig zu, die Story erzählt sich in ruhigen Worten, es geht nicht sehr tief, es verlangt das Mitdenken des Lesers. Einfach mal reinlesen.

 

Weitere Empfehlungen zum Thema Armut:
ARMUTSSAFARI: Von der Wut der abgehängten Unterschicht - Darren McGarvey

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Maid. Harte Arbeit, wenig Geld und derÜberlebenswille einer Mutter. - Stephanie Land

 

Cho Nam-Joo war neun Jahre lang als Drehbuchautorin fürs Fernsehen tätig. Ihr Roman »Kim Jiyoung, geboren 1982« hat sich weltweit über zwei Millionen Mal verkauft und war auch in Deutschland ein großer Bestseller. Cho Nam-Joo lebt in Korea.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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