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Freitag, 23. Februar 2024

Dichten gegen das Vergessen: Lyrikerinnen aus zwei Jahrtausenden - Denise Buser

 

Zwölf Lyrikerinnen aus mehr als tausend Jahren. Ihre Kunst durch alle Widrigkeiten stets im Herzen getragen.

 


Titel: Dichten gegen das Vergessen: Lyrikerinnen aus zwei Jahrtausenden
Autorin: Denise Buser
Originaltitel
Verlag: ‎Zytglogge‎
ISBN: ‎ 978-3729651449 ‎
Euro: 29,00
Veröffentlichungsdatum: Oktober 2023
Seiten: 264
Serie: nein
Come in: vom Verlag

 

 

 

Inhalt/Klappentext
Das lyrisch anmutende Werk «Dichten gegen das Vergessen» berichtet über die Stern- und Schattenstunden von zwölf Dichterinnen aus unterschiedlichen Zeiten und Weltregionen, die sich für ihre künstlerische Berufung gegen zahlreiche Widerstände und Hindernisse durchsetzen mussten. Empathisch und pointiert widmet sich Denise Buser den faszinierenden, teilweise erschütternden Lebensläufen dieser poetischen Meisterinnen und erörtert, weshalb ihr Werk vollkommen zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Ein aussergewöhnliches, eindrückliches Buch, das zu mehr Weiblichkeit im literarischen Kanon einlädt. Mit Beiträgen über und Gedichten von al-Khansā (7. Jh.), Comtessa Beatriz de Dia (12. Jh.), Vittoria Colonna (1490/92–1547), Sibylla Schwarz (1621–1638), Anna Louisa Karsch (1722–1791), Akiko Yosano (1878–1942), Gabriela Mistral (1889–1957), Gertrud Kolmar (1894–1943), Helene Bossert (1907–1999), Lenore Kandel (1932–2009), Audre Lorde (1934–1992), Alejandra Pizarnik (1936–1972).

 

 

Meinung
Es fällt mir sehr schwer, dieses Buch zu bewerten, da ich es sowohl empfehlen, als auch kritisieren möchte; als Frau bringe ich ein paar Bedenken mit.

Zunächst sei gesagt, dass es sich um ein hochwertig aufgemachtes Hardcover handelt, das entzückend schlicht, aber ansehnlich daherkommt. Buser hat zwölf Lyrikerinnen aus mehr als tausend Jahren zusammengetragen, von denen im letzten Teil ausgewählte Werke zu finden sind. Eine Struktur im Buch konnte ich leider nicht ausmachen. Die Herausgeberin sagt im Vorwort, dass die Kapitel einem „assoziativen Reigen“ folgen, zeitlich geordnet sind die Lyrikerinnern jedenfalls nicht. Leider sind die ihnen gewidmeten Kapitel nicht mit ihren Namen überschrieben, sondern nennen sich „Ein tödlicher Schluck Wasser“ oder „Geliebter Bruder“. Dann folgt ein Text, der einen sehr kurzen Ausschnitt im Leben der Dichterin zeigt und erst danach eine Kurzzusammenfassung der gesamten Biografie, sowie ein Bild/Foto plus eine Auswahl der verwendeten Literatur. Die Gedichte sind erst gesammelt ganz am Ende in einem einzelnen Kapitel zu finden. Für den Leser ist das definitiv nicht gemacht; es ist anzuraten, zunächst ans Ende des Kapitels zu blättern, die Biografie zu lesen – schon allein, um zu erfahren, um welche Person es überhaupt geht – und erst dann in den eigentlichen Text einzusteigen. Andernfalls hat man als Leser keine Chance. Zwei Kapitel musste ich abbrechen, weil ich nichts verstanden habe, denn Fiktives (aus der Neuzeit? Während der Recherche?), das zumindest für mich nichts Ersichtliches mit der jeweiligen Dichterin zu tun hatte, ist eingeflochten worden. Das zu verstehen, wenn man sich zuvor nie mit der Lyrikerin auseinandergesetzt hat und praktisch nichts zu und über sie weiß, ist nicht einfach. Und das ist sehr, sehr schade. Denn genau darum geht es doch bei solch einem Werk, oder nicht? Andererseits sehe ich nach allen Kapiteln, was die Herausgeberin getan, wie viel Mühe und Arbeit sie in dieses Buch gesteckt hat. Dafür meine volle Hochachtung! Allein die jeweilige Recherche muss teilweise so allumfassend gewesen sein, dass es kaum auszudrücken ist. Jede Zeile zur jeweiligen Dichterin vibriert förmlich davon. Jedes Kapitel ist absolut einzigartig und mit einer eigenen Stimme gemacht. Das fand ich sehr faszinierend. Jedoch glaube ich, dass Buser eben zu tief dringesteckt hat und vermutlich am liebsten zu jeder Frau in diesem Buch ein eigenes geschrieben hätte. Dabei kann es sein, dass sie den unwissenden Leser aus den Augen verloren hat. Was ist das Ziel dieses Buches? Den Leuten Lyrikerinnen vorzustellen? Das sehe ich leider nicht und das möchte ich auch deutlich kritisieren. Dass die Herausgeberin sehr belesen daherkommt, ist schnell ersichtlich und löblich, aber es sollen die Dichterinnen sein, deren Tun im Vordergrund steht und nicht das der Herausgeberin, es sei denn, das habe ich falsch verstanden. Für mich hilfreich das Erwähnen von Namen, sofern noch nicht bekannt und die weiterführende Literatur. Einzig das Kapitel zu Sibylla Schwarz (1621–1638), die während des Dreißigjährigen Krieges lebte und nur siebzehn Jahre alt geworden ist, wird mir im Gedächtnis bleiben. Das geschriebene Kapitel selbst und die Lyrikerin haben Eindruck auf mich gemacht.

Zudem muss ich leider auch eine andere Sache ansprechen, vor der ich zunächst zurückschrecken wollte, die ich aber angehen möchte. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Frauen, die ich selten so extrem politisch gelesen habe. Der Versuch, die Frauen als Opfer (weil Frau) darzustellen, ist gottlob nicht geglückt. Ich vermute auch, dass jede einzelne der Lyrikerinnen die Stirn runzeln würde, wüsste sie davon. Ich habe nur jede Menge starke Frauen gesehen, die sich in ihrer jeweiligen Zeit zurechtfinden mussten und sich durchzusetzen wussten. Im Buch selbst an einer Stelle zu behaupten, Frauen hätten nie eine Chance gehabt und man(n) würde ihnen alles nehmen, wird allein durch diese Zusammenstellung ad absurdum geführt. Zumal es eben doch Männer, nicht zuletzt den berühmten Michelangelo, gegeben hat, die intelligente, talentierte Frauen zu schätzen wussten. Auch Sibylla Schwarz hat einen Verleger gefunden oder er sie, der ihre Werke auch nach ihrem Tod – der besagte tödliche Schluck Wasser – noch veröffentlicht hat. Anerkannte Trobairitze, das weibliche Gegenstück zu den Trobadours, die ihr Können an den Königshöfen zeigen konnten. Und so viel mehr! Davon sollte ein solches Buch handeln!

Ein Kapitel erzählt von der Schweizer Lyrikerin Helene Bossert, die 1953 nach einer Russlandreise so stark gemobbt wurde, dass sie ihr Schaffen einige Jahre unterbrechen musste. Sie wurde als „Linke“ beschimpft und niemand wollte sie mehr drucken. Nur – wieso? Da fehlt mir persönlich Kontext. Heute wäre es vermutlich die andere Hand, die man heranziehen würde. Aber eben diese fehlenden Informationen machen das Buch so anstrengend. Zudem, und hier folgt nun endlich meine Kritik, halte ich es für absolut falsch, so extrem modern politisch bzw. im aktuellen Zeitgeist (den ich für mich ja ablehne) an die Sache heranzugehen. Frauen in allen Zeiten zeigen, die viel geschafft haben, in diesem Fall Lyrikerinnen wurden, ja. Aber nach welchen heutigen Standards ausgewählt? Es gab garantiert wesentlich mehr Frauen, die auszuwählen sinnvoll gewesen wäre, auch wenn einige Namen natürlich nicht fehlen dürfen. Aber was, wenn heutige Dichterinnen Großartiges schaffen und dann in zwei-, dreihundert Jahren nicht mehr genannt werden, weil sie zu diesem Zeitgeist nicht mehr passen? In zweihundert Jahren nicht mehr auf der „richtigen Seite“ stehen? Wenn sie vielleicht einzig nur (vor hunderten Jahren!) in einem „falschen“ Land geboren wurden – das Fehlen einer slawischen Stimme in dieser Sammlung fällt nach dem Beispiel Bossert dann eben doch auf. Wenn sie sich für soziale Dinge stark gemacht haben, sich später aber ein nüchternes System durchgesetzt hat? Wenn sie …

Man kann natürlich eine Zusammenstellung vornehmen, die im eigenen Interesse liegt, die genau das aussagt, was zur eigenen (politischen, gesellschaftlichen, etc.) Meinung passt, aber ob man sich und dem Leser damit einen Gefallen tut, ist fraglich. Ärgerlich ist für mich persönlich vor allem, dass damit eben auch genau das gemacht wird, was man den Jahrhunderten zuvor quasi zwischen den Zeilen vorwirft. Ich denke in letzter Zeit immer wieder, dass es so, so, so wichtig ist, dass Kunst in jeglicher Form frei bleibt! Aber wir haben derzeit eben auch etliche Beispiele, bis hin zur neusten Idee, die sogar gesetzlich verankert werden sollte, die dem entgegenstehen. Dabei hatten wir das alles schon einmal – und wissen, wohin es geführt hat.

Zurück zum Thema. Es sind hier zwölf Lyrikerinnen versammelt, von denen ich gern noch viel mehr erfahren hätte. Die Auswahl an weiterführender Literatur wird es mir jedoch einfach machen, weiterzulesen. Erfreulich für mich ganz persönlich, dass ich von Dichterinnen erfahren habe, die ich bisher nicht kannte. Dazu zählen die Trauergedichte von Al-Khansāʾ, von denen ich gern vor einem Jahr gewusst hätte, als ich selbst getrauert habe. Dazu zählt die siebzehnjährige Sibylla, Gabriela Mistral sowieso. Und die hier gezeigten Gedichte von Akiko Yosano, die haben mir besonders gefallen. Sie waren wie Tupfer mit dem Pinsel genau an der richtigen Stelle, nur eben als Worte.

Ein lachendes und ein weinendes Auge am Ende. Für die Verbreitung dessen, was Frauen besonders auch künstlerisch in den vergangen Jahrhunderten/-zehnten geschaffen haben, gern noch mehr solcher Sammlungen. Aber bitte unpolitischer. Einfach Frauen. Einfach Talente. Großartige Kunst, gebunden an nichts als eben dieser. Danke.

 

 

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Denise Buser ist Autorin und Juristin und hat in verschiedenen Funktionen als Unidozentin und als Strafrichterin gearbeitet. Neben wissenschaftlichen Texten und Kulturreportagen publiziert sie Belletristik und Lyrik. Sie lebt in Basel, zeitweilig in Berlin und Tanger (Marokko).

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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