Portalzauber

Donnerstag, 23. Oktober 2025

Schwanentage - Zhang Yueran

 

Ein schmales, aber starkes Büchlein, das Bilder mit wenigen Worten malt und einen wachen Geist des Lesers verlangt.

 


Titel: Schwanentage
Autorin: Zhang Yueran
Originaltitel: 鹅旅馆
Verlag: ‎Ecco Verlag
ISBN: ‎978-3753001111
Euro: 18,00
Veröffentlichungsdatum: September 2025
Seiten: 224
Serie: nein
Come in: vorablesen.de

 

 

 

Inhalt
Yu Ling arbeitet als Kindermädchen des siebenjährigen Kuan Kuan bei einer schwerreichen Familie in China. Um sich ein besseres Leben mit ihrem neuen Freund zu ermöglichen, plant sie mit diesem, den Jungen zu entführen und Lösegeld zu fordern. Doch just an besagtem Tag werden Vater und Großvater des Jungen wegen Korruptionsverdacht verhaftet. Seine Mutter bleibt verschollen. Yu Ling, die seit Jahren für den Jungen zuständig ist, muss neue Entscheidungen treffen. Und sich ihrer eigenen Vergangenheit stellen.

 

 


Meinung
Ein kleines, handliches Büchlein, das es in sich hat. Das ist kein Thriller, das ist Literatur, angefüllt mit gesellschaftlichen Themen, Klassenunterschieden wie Geschlechterrollen. Die Autorin entwirft ein Bild, das zunächst klar verteilte Rollen zeigt, die jedoch zunehmend mehr zerfasern und sich in metaphorischen Bildern aufzulösen drohen.

Zu Beginn haben wir das Kindermädchen Yu Ling, das den siebenjährigen Jungen für den Tag, ein Ausflug ist geplant, fertig macht. Der Vater nimmt sie meist nicht wahr, was Yu Ling tatkräftig unterstützt, die Mutter, die sich selbst als verkannte Künstlerin sieht, ist mehr auf sich selbst fixiert. Yu Ling dagegen kämpft mit einer Vergangenheit, die von einer Haftstrafe gekennzeichnet ist, die sie tunlichst geheimzuhalten sucht. Alles in dem großen Haus ist streng geregelt, jeder kennt seinen Platz. Yu Lings neuer Freund, den der Leser wesentlich eher durchschauen wird als sie selbst, wartet mit einem Auto auf sie und den Jungen. Der Kleine will unterwegs einen Schwan kaufen und retten – niemand sagt ihm, dass es eigentlich eine Gans ist, denn er soll bei Laune gehalten werden. Noch auf dem Land kommen die ersten Nachrichten herein, die Männer der Familie wurden verhaftet. Es klärt sich auf, dass auch Yu Ling etwas Frevelhaftes vorhatte. Doch beschützt sie den Jungen auch, was sie von Anfang an sehr sympathisch macht. Die Männer nicht greifbar, die Mutter scheint verschollen, die Großmutter ist so stark erkrankt, dass sie nicht ansprechbar ist. Yu Ling sitzt in der Zwickmühle, was soll sie nur tun? Sie kehren alle unverrichteter Dinge zurück in die Villa. Dort trennen sich die Wege verschiedener Personen, es gibt nichts von Wert, kein Geld. Nach außen hin muss alles normal wirken. Zwischendrin immer die Gans, der der Junge ein Zelt im Wohnzimmer baut. Nach und nach kommen andere Personen zusammen, eine Frau, die sich als die Geliebte des Vaters vorstellt, eine Nachbarin, eine Lehrerin des Jungen, das Dienstmädchen, das mit dem Schmuck der Mutter abgehauen ist. Die Geschichten dieser Frauen verbinden sie, auch wenn sie sich eigentlich fremd sind. Sie zeichnen ein Bild der Gesellschaft aus einer eher ungesehenen Sicht: der weiblichen. Sie zeigen aber auch, wie sehr das Leben schon von Geburt an bestimmt wird, abhängig davon, in welche gesellschaftliche Schicht man geboren wird. Yu Ling macht das deutlich, wenn sie sich den schönen großen Herd der reichen Familie wünscht und überlegt, ob man diesen wohl aus der unbewachten Villa holen könnte. Aber was dann? In das kleine Haus der Familie würde der gar nicht reinpassen. Solche Details sorgen für Lebendigkeit, sie zeigen mit nur wenigen Worten die Probleme auf und das so, dass sie jeder versteht.

Yu Ling nun bleibt wegen dem Jungen, aber es wird ebenso deutlich, dass sie im Prinzip nirgendwo anders hinkann. Ihr Vater ist verstorben und die Mutter kümmert sich um den Bruder und dessen Kinder. Sie ist wie die Gans, die nicht fliegen kann. Für Kuan Kuan ist sie schön und ein Schwan – und was soll er auch ohne sie machen. Nur warum spielt sie sein Spiel mit, ohne ihn zu berichtigen? Ist das nicht auch sehr weiblich, würde es nicht Zeit werden, aus diesem Denkmuster auszubrechen?

Die Autorin nun schreibt sehr pointiert, aber nicht sehr tiefgehend, was bei der geringen Seitenzahl auch nicht verwundert. Sie malt Bilder mit wenigen Strichen, vieles bleibt der Reflexion des Lesers überlassen. Am Ende ist diese Geschichte vieles, von Krimi zu Gesellschaftskritik über ein bisschen Komik hin zu Frauenleben von heute (nicht nur) in China. Und über allem hängt das Geld. Der Leser muss bei allem mit dabei sein, er muss eintauchen und zwischen den Zeilen lesen können, es wird nichts serviert, hinschauen will gelernt sein. Aber es lohnt sich.

 

 

Zhang Yueran ist eine der einflussreichsten Autorinnen Chinas und eine der wichtigsten Stimmen junger urbaner Literatur. Schon 2012 zählte sie das taiwanischeUnitas-Magazin zu den 20 wichtigsten Schreibenden unter 40. Ihre Romane und Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ihr Roman »Cocoon« wurde von der New York Times zu den besten Büchern 2022 gewählt und gewann in Frankreich den Prix Transfuge 2019 für den besten asiatischen Roman.

5 Kommentare:

  1. Anonym31.10.25

    Das klingt ja sehr interessant. Chinesische Literatur ist mir wenig bis gar nicht untergekommen (Ausnahme: Sci-Fi von Liu und und Chen). Wenn mir das in der Buchhandlung über den Weg läuft, lese ich auf jeden Fall rein! Danke für's Vorstellen.
    VG Frau Leseratteffm

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    1. Wenn Du gerne chines. Literatur lesen möchtest, schau unbedingt auch in "Das letzte Viertel des Mondes" von Chi Zijian! Die "Schwanentage" nun gefielen mir sehr gut, meine Mutter hat es jedoch abgebrochen, das habe sich zu langweilig gelesen. Also ja, lies unbedingt vorher mal rein ;-)

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    2. Anonym1.11.25

      Danke für den Tipp!

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  2. Hallo Daniela

    Das Buch ist bei mir eingezogen. Ich bin sehr gespannt. Ich lese gerne zwischen den Zeilen und mache mir mein eigenes Bild.

    Liebe Grüße von der Gisela

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    1. Hallo Gisela,
      schön, dass Du reinschaust! :)
      Ich wünsche Dir ganz viel Spaß beim Lesen! Mir hat das Buch sehr gefallen, meine Mutter hat es allerdings abgebrochen, ihr war es zu trocken und "langweilig geschrieben". Bin gespannt, wie es Dir gefallen wird. :)
      LG
      Daniela

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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