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Dienstag, 23. August 2022

Die Erwählten: Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet - John McWhorter

 


Titel: Die Erwählten: Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet

Autor: John McWhorter

Originaltitel: Woke Racism: How a New Religion Has Betrayed Black America

Verlag: Hoffmann und Campe

ISBN: 978-3455012972

Euro: 23,00

Veröffentlichungsdatum: Februar 2022

Seiten: 256

Serie: nein

Come in: Kauf

 

 

 

Inhalt/Klappentext
Eine neue Religion spaltet die Gesellschaft unter dem Deckmantel des Antirassismus.

Über dieses Buch spricht ganz Amerika: Der Schwarze Sprachwissenschaftler John McWhorter prangert eine Bewegung von selbsternannten Erwählten an, die mit allen Regeln der Vernunft bricht und die soziale Gemeinschaft gefährdet.

Die Debatte um Identität ist entgleist. Nicht nur in den USA, auch in Europa und in Deutschland steht die Frage im Raum: Wie konnte es so weit kommen? John McWhorter wendet sich der treibenden Kraft dieser Entwicklung zu: einer neuen Bewegung von Erwählten, die sich von den Prinzipien der Aufklärung abgewendet haben und im Umgang mit identitätspolitischen Fragen quasi eine neue Religion begründen.

John McWhorter analysiert mit scharfem Blick und anschaulichen Beispielen, wo und wie sich diese politische Haltung durchgesetzt hat, warum sie viel zu radikal und essenzialistisch ist und gerade eines nicht: antirassistisch. Der unbeabsichtigte Neorassismus ist falsch und gefährlich, schadet den Schwarzen und zerstört den integrativen Diskurs.

Am Ende macht McWhorter aber auch Hoffnung und zeigt den möglichen Weg zu einer Gerechtigkeit, die das Schwarze Amerika einen – und nicht spalten – soll.

 


Meinung

Keine leichte Rezension, die ich nun zu schreiben habe, aber das Thema ist wichtig und es muss darüber gesprochen werden.

Der Originaltitel sei zuerst erwähnt, der übersetzt so viel bedeutet wie: „Woker Rassismus: Wie eine neue Religion das schwarze Amerika verraten hat.“ Leider wird das zentrale Wort „woke“ nicht im deutschen Titel erwähnt und ich bezweifle, dass alle Leser diesen Begriff kennen werden. Aber an diesem kommt schon jetzt niemand mehr vorbei. Das, was längst nach Deutschland übergegriffen hat, benennen zu können, hilft ungemein. Weiterhin wird im Original auch deutlich, dass sich der Autor auf die USA und dort vor allem die schwarze Bevölkerung bezieht.

Dass ich mit dem neuen Zeitgeist nicht gut kann und ihn ablehne, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Nur habe ich viel Zeit gebraucht, um zu verstehen wieso (egal ob es um Rassismus oder Feminismus geht). Ich bin sehr froh, dass es immer mehr Autoren gibt, die das Thema aufgreifen und ebenfalls ihre Zweifel äußern, was die (neue) Umsetzung des Themas/der Themen betrifft. Nicht allein zu sein, ist ein befreiendes Gefühl. So schreibt auch der Autor dieses Buches im Vorwort für wen dieses Buch geeignet ist: „Ich möchte die noch Unentschiedenen erreichen, die sich von der Leidenschaft und der Rhetorik jener Ideologen moralisch unter Druck gesetzt sehen, aber ihren inneren Kompass trotzdem nicht verleugnen können.“ (Seite 11) In eben diesem Vorwort listet er auch genau auf, was er mit dem Buch beabsichtigt und wie er es verstanden haben möchte. Er sagt ganz klar, dass er es nicht hätte schreiben können, wäre er kein schwarzer Mann in den USA. Als Universitätsprofessor und bereits veröffentlichter Autor weiß er, wie er ein solches Buch zu verfassen hat. Das ist einer meiner wenigen Kritikpunkte: Auch wenn er schreibt, dass ihn das Thema so arg beschäftigt hat, dass es einfach rausmusste, wäre es schön gewesen, es etwas stringent und gestraffter zu strukturieren und vielleicht ein bisschen weniger polemisch (wütend?) im Ausdruck zu werden. Zudem führt er etliche Beispiele an, die die woke Einstellung der Ideologen im Alltag zeigen sollen (meist indem jemand aus zwielichtigen Gründen entlassen wird), die offenbar so hohe Wellen geschlagen haben (da oft namhafte Personen betroffen waren), dass jeder Bescheid wusste. Nur ich nicht. Daher hätte ich mir jeweils eine kurze Erläuterung des Sachverhaltes statt der bloßen Erwähnung gewünscht.

Mich meiert an diesem speziellen Thema eher dieses alte Kolonialdenken an, das viele immer noch vor sich hertragen, es inzwischen aber als aufrechte, antirassistische Lebenseinstellung verkaufen wollen. Da sollen alle anderen wieder nach der eigenen Art leben bzw. der Art und Weise, wie eben diese woken sich und die Welt sehen. Dass die Welt bunt ist, wird zwar gesagt, aber leider nicht verstanden. Unser Planet ist reich an Kulturen und Religionen, die alle eigene Historien und Werte mit sich gebracht haben. Ihnen jetzt diese neue Mischung, die eigene Denke, überbügeln zu wollen, macht schlicht keinen Sinn. Hinzukommt, dass mit so einer Einstellung auch immer eine Art Selbstgerechtigkeit einhergeht und Hochmut noch dazu. Zu glauben, nur man selbst habe es verstanden und die anderen müssen eben gebildet oder „angepasst“ werden, kann nur ungesund sein – und hält zudem für uns alle auf lange Sicht nichts Gutes bereit (genug Beispiele für Ähnliches können in der Geschichte der letzten hundert Jahre gefunden werden). Das thematisiert im Grunde auch McWhorter, der genau erkannt hat, dass Schwarze in seinem Land eher wie ungebildete, hilflose Kinder, die zu retten sind, und eben nicht auf Augenhöhe gesehen werden. Und schlimmer: Dazu erzogen werden, so von sich selbst zu denken. „Die Vorstellung, dass diese Indoktrination auf meine Töchter abfärbt, finde ich ganz besonders grauenvoll. (…) Aber diese anti-humanistische Ideologie könnte bald in die Lehrpläne der Schulen einsickern. (…) … indem sie die Köpfe meiner Töchter mit Performance-Kunst füllen, die ihnen beibringt, keine Individuen, sondern Musterbeispiele zu sein. Mit seinem Buch „Zwischen mir und der Welt“ wollte Ta-Nehisi Coates seinen Sohn lehren, dass ganz Amerika gegen ihn ist; ich möchte meinen Kindern lieber ihre Lebensrealitäten im 21. und nicht die im frühen bis mittleren 20. Jahrhundert vermitteln.“ (Seite 15)

So eine (innere) woke Einstellung ist ungesund. Der Autor nennt jene, die sich selbst so sehen „die Erwählten“ (daher auch der deutsche Titel). Er vergleicht sie und ihre Lebensweise mit Religion, speziell der christlichen (vermutlich, weil er sich mit dieser besser auskennt, und vorab: Er mag beides nicht). Hier ist leider nicht immer alles zu verstehen, ganz besonders für jemanden wie mich, der in meinem Teil der Welt ohne jeden Religionsbezug aufgewachsen ist. Dennoch schält sich Seite um Seite heraus, dass der Autor die woke Einstellung mit der Doktrin einer Religion vergleicht. Es gibt die Anhänger, die absolute Ergebenheit fordern und keine Religion (Sichtweise) neben der eigenen dulden. Alles und jeder, der nicht mit ihrem Gedankengut konform geht, wird quasi ausradiert und als Hexe verbrannt. Anders gesagt: Gläubige und Ketzer, ein eigens erdachter Schöpfungsmythos und Brutstätten für die eigene Lehre. Schlimmer geht es fast nicht mehr. Doch. Denn wie in jeder Religion gibt es keine Logik, nur Gefühle. Wenn jemand sich beleidigt fühlt, egal in welchem Kontext, ist das endgültig. Keine Erklärung, keine Logik, kein Zusammenfinden. Das Beispiel des chinesischen Wortes „nay-gah“, das so viel wie „mhm“ oder „ähm“ bedeutet und vom Autor genau beleuchtet wird, soll hier genannt werden.

McWhorter fragt sich anschließend, warum diese neue Religion so viele Anhänger findet und das besonders auch unter Schwarzen, denen sie maßgeblich schadet. Dazu greift er spezielle Beispiele auf, bei denen klar wird, dass bestimmte Dinge nicht thematisiert werden dürfen, andere übertrieben ins woke Weltbild gepresst werden und am Ende das alles zu gar nichts führt. Wenn Dinge nicht klar benannt werden (dürfen), dann können sie auch nicht verändert werden. Er greift insbesondere Demonstrationen auf, wenn ein Weißer (er verwendet stets dieses Wort, schreibt jedoch im Vorwort, was und wen er alles in die Definition einbezieht), oft Polizist, einen Schwarzen erschossen hat. Er vermisst daran jedoch die Debatte, dass die meisten schwarzen Bürger der USA von anderen Schwarzen erschossen werden. Hier müsse unbedingt angesetzt werden. Oder auch Beschlüsse, wenn der Wokismus beschließe, es sei rassistisch, wenn schwarze Jugendliche vom Unterricht ausgeschlossen werden, weil sie gestört haben. Eine Statistik sage, dass es überproportional viele dieser Teens seien und es könne nach diesem Weltbild nur Rassismus sein. Dass aber die Gegenden wo das passiere und die Klassenzusammensetzung dabei ignoriert werden und dies schließlich auf alle Schüler zurückfalle, wenn der Störenfried nicht ausgeschlossen werden darf (und das weiß), schaffe noch viel größere Probleme. Als Professor für Linguistik, Musikgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaften denkt er über ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt recht ähnlich. In den USA sind die Aufnahmebedingungen für ein Studium etwas anders als bei uns. Die Voraussetzungen sollen und werden inzwischen dort herabgesetzt, damit mehr schwarze Studenten an die Unis kommen. Doch was nütze das, wenn diese dann später mit den Studieninhalten völlig überfordert sind und das Studium deswegen abbrechen müssen? Auch in Deutschland hat man lange über ähnliche Dinge nachgedacht. Aber schon jetzt ist unsere Schulbildung so ideologisch durchsetzt und leider auch so schlecht geworden, dass mir oft angst und bange wird. Gerade die Sprachkenntnisse (wohlgemerkt der Muttersprache) in Deutsch sind so schlecht geworden, dass ich mir wünschen würde, dass die alte Lehrweise wieder an unsere Schulen zurückkehren könnte. Ähnliches formuliert McWhorter auch für Englisch an amerikanischen Schulen. Es sei besonders die phonetische Methode, mit der schwarze Schüler zurechtkämen und daher sollte diese bevorzugt werden. Überhaupt ist Bildung ein ganz zentrales Thema für ihn. Da kann ich ihm nur beipflichten. Leider wird in den USA unter Schwarzen (und eben nicht nur da!) gutes Lernen als weiß angesehen bzw. als weiße Lebensweise und daher würde kein Schüler lernen und sich in der Schule hervortun. Generell verweist er nun auf Probleme, die mir in dieser Form so noch nicht klar gewesen sind, die ich jedoch absolut nachvollziehen kann. Denn offenbar fehlt den Schwarzen eine Art Identität, denn einst sind sie aus unterschiedlichen Regionen Afrikas auf den Kontinent gebracht worden, waren Sklaven und hatten auch danach keine richtige Vergangenheit, nichts was die Bildung einer Identität gerechtfertigt bzw. bedingt hätte. Außer der Ablehnung von quasi allem anderen gäbe es nichts. Bis eben die neue Opferrolle, die sehr bequem sei, aber niemandem auf Dauer helfe. (Eine Identität, die ihnen gegeben wird, die sie nicht selbst für sich finden!) McWhorter spricht es nicht ganz so offen aus, aber es wird deutlich, dass er sich wünscht, dass die Schwarzen die Vergangenheit hinter sich lassen und in eine Art neue Zukunft blicken und gehen können. Aber das Thema Rassismus sei seit Jahrzehnten allgegenwärtig und heute mehr denn je. Sie werden einfach nicht daraus entlassen – jetzt ohnehin nicht mehr. Er fragt an einer Stelle explizit, ob der Leser des Buches schwarze Autoren benennen könne (ich konnte, alles Frauen und in der Phantastik, yes!), die nicht über Rassismus schrieben (ei, ei …). Die Frage stamme nicht von ihm, sondern bereits aus den Dreißigerjahren, als die Frage sinngemäß hieß, wer denn schwarz sei und schlicht über einen Vogel an einem schönen Morgenhimmel schreibe. Schaut man sich an, was neuerdings an Büchern geschrieben und/oder auf Deutsch übersetzt wird, ist die Antwort so klar wie traurig. Das ähnliche Thema bei Frauen(-rechten) hat mich kürzlich beschäftigt. Warum gibt es plötzlich so viele Romane, in denen gezeigt wird, wie Frauen ausgegrenzt, misshandelt und eben nicht gleichberechtigt behandelt wu/erden. Immer und immer wieder. Warum zeigt man in (oft fiktiver!) Literatur nicht von vorneherein starke Frauencharaktere, die eben keine Opferrolle einnehmen, sondern stets nur um dieses ewig gleiche Thema herumkreisen, als gäbe es kein Morgen mehr? Das macht in beiden großen Themenbereichen einfach keinen Sinn.

Mit all dem – und ich kratze es nur kurz an – gibt sich der Autor jedoch nicht zufrieden. Er gibt am Ende Anreize, wie man den Woken und ihrer Ideologie begegnen und was man gegen sie und ihre Gefahr für alle tun könnte. Wichtig für die schwarzen Bürger der USA sei es zum einen die Drogen zu entkriminalisieren (er legt in einem langen Text dar, weshalb), die Kids besser zu bilden, besonders was das Lesen lernen anbelangt und hier vor allem auch etwas gegen die negative Grundeinstellung dem Lernen insgesamt gegenüber etwas zu tun, mehr Schwarze in Ausbildung zu bringen. Auch in Deutschland fährt man (nicht so schwer zu erraten, welche Gesellschaftsschicht sich dahinter verbirgt) die Ansicht, alle müssten in ein Studium bzw. an die Uni gebracht werden. Das gute alte Handwerk wird jedoch einerseits weder in Aussicht gestellt noch gebrieft und was die Politik mit eben diesem (Mittelschicht und so) anstellt (und sich wundert, wo die Fachkräfte hin sind), ist auch kein Geheimnis. McWhorter befürwortet, dass mehr Schwarze in Ausbildungsberufe gebracht werden, statt Standards an Unis herabzusetzen und damit allen Studenten zu schaden.

Und – das ist die größte Aufgabe – alle müssten sich der woken Masse entgegenstellen, nicht nur, aber besonders, wenn sie Unsinniges fordere, besonders gern in den sozialen Medien (Twitter, Facebook, etc.). Wenn ein Shitstorm dieser Art über eine Privatperson oder ein Unternehmen hereinbreche, solle er/es stark bleiben und sich nicht dem Zeitgeist anpassen. Er hält an dieser Stelle einige Beispiele bereit, die deutlich machen, dass die Ideologie längst jedes Maß verloren hat. In Deutschland möchte ich an diverse Fußballer oder Kommentatoren erinnern, über die ein solcher Sturm hereinbrach und die (fast) alles verloren haben, was sie hatten.

Zuletzt noch ein Wort zur Übersetzung. Es kann wohl nur als zynisch zu bezeichnen sein, wenn ein Text dieser Art vorgelegt wird, die deutsche Übersetzung es aber trotzdem schafft, den Text in jeder Hinsicht dem Duktus dieser Ideologie anzupassen. Nicht nur, dass beständig gegendert wird, es gibt offenbar noch weitreichendere Sprachneuerungen, wenn z. B. das Wort „Schwarz“ immer groß und das Wort „weiß“ immer klein geschrieben wird. Mir war nicht klar, wie weit das bereits reicht (ich musste es googlen, da ich es für Rechtschreibfehler hielt). In einigen anderen Meinungen zum Buch ist gar zu lesen, dass ganze Abschnitte im Sinn verändert (eben wokisiert) wurden. Darum möchte ich jedem Leser raten, das Buch im englischen Original zu lesen, wenn die Sprachkenntnisse dazu ausreichen. Als persönliche Anmerkung und Denkanstoß: Als ehemaliges Kind, das noch neun Jahre DDR mitgemacht hat, wurde ich danach in meiner Schullaufbahn von etlichen Lehrern darin gebrieft, worauf zu achten ist, dass keine neue Ideologie entsteht bzw. wie man das erkennen kann – vermutlich, weil sie selbst gerade erst aus einer solchen gekommen sind. Das Erste, was sich verändert, habe ich gelernt, ist die Sprache – und von da an geht es nur noch abwärts.

John McWhorters Werk ist kein literarisches Meisterwerk, aber es liefert etliche sehr gute Ideen, Anmerkungen und Denkanstöße, über die nachzudenken sich in jedem Fall lohnt, auch wenn nicht jeder mit allem einverstanden sein wird. Ich danke dem Autor für dieses Werk, mir hat es geholfen, einige Dinge besser zu verstehen. Und genau dafür hat er es ja geschrieben.

 

John McWhorter ist Professor für Linguistik, Musikgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaften am Center for American Studies der Columbia University in New York. Er ist ein renommierter Experte für Antirassismus, Autor von über zwanzig Büchern und Kolumnist der New York Times. Außerdem schreibt er regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften, darunter The Atlantic und The New Republic. Auf Twitter hat er unter @JohnHMcWhorter mehr als 220.000 Follower. In den USA wurde sein Buch Die Erwählten unmittelbar nach Erscheinen zum Erfolg und stieg sofort auf der New York Times-Bestsellerliste ein.

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Es ändert sich nichts am Kommentieren, nur muss jetzt dieser lange untere Absatz dabeistehen. Ich danke allen, die mir einen Gruß dalassen!

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